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Bücher-Tuning: Wie Luxusausgaben und Farbschnitte Fans begeistern – und enttäuschen

"Es"-Luxusausgabe. Hier halb aus dem Pappschuber herausgezogen. Auf dem roten Cover ein schwarz gezeichneter Pennywise. Davor steht ein Papierschiffchen.

Judith Madera, 13.10.2023

Bücher werden immer schöner – sie glänzen und glitzern und zeigen farbenfrohe Motive auf dem Buchschnitt. Pracht- und Luxusausgaben bekannter Genreklassiker konkurrieren mit aufgemotzten Erstausgaben auf den Büchertischen, das normale Taschenbuch verschwindet zwischen all dem Glanz und Glamour. Welcher Fan freut sich nicht über schön gestaltete Bücher – doch zählt der Inhalt noch?

Wer Bücher aus verschiedenen Jahrzehnten im Regal stehen hat, wird einige optische Veränderungen erkennen. Taschenbücher wurden zu einem großen Teil durch stabilere Klappenbroschure ersetzt, die oft ein größeres Format haben. Auf die Innenseite der Klappen lassen sich wunderbar Fantasylandkarten oder stimmungsvolle SF-Motive drucken. Durch digitale Techniken haben sich Coverdesigns verändert und wenn man so manch alte Coverillustration betrachtet, muss man sagen, dass Bücher heute oft – nicht immer – besser aussehen. Doch damit ist es nicht getan, Buchdeckel kommen immer öfter im Metallic-Look und/oder mit Spot- und UV-Lack daher, sodass der Buchtitel nicht nur optisch, sondern auch haptisch heraussticht. Insbesondere in der Jugendfantasy und Romantasy wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Die Bücher schimmern, glitzern, fühlen sich wie Samt an und leuchten im Dunkeln – und neuerdings werden sie mit dem Buchschnitt nach vorne ins Regal gestellt, weil dieser immer öfter selbst ein kleines Kunstwerk ist.

Diese Entwicklung hängt mit Social Media und dem E-Book zusammen, dem vor zehn Jahren noch nachgesagt wurde, Printbücher fast vollständig zu verdrängen. Doch der Marktanteil der elektronischen Bücher hat sich auf einem relativ geringen Wert eingependelt, die Leserschaft liebt nach wie vor Bücher, die man anfassen und ins Regal stellen kann – und für Instagram fotografieren. Wer optisch nicht heraussticht und sich dem aktuellen Ideal anpasst, hat es schwer auf Social Media. Das gilt inzwischen auch für Bücher. Und mit Blick auf die Games-Industrie, wo Collector’s Editions regelmäßig Fanherzen höherschlagen und ihre Geldbeutel ausbluten lassen, haben Verlage in den letzten Jahren neue, aufwändig gestaltete Sonderausgaben für sich entdeckt.

Pracht-, Schmuck- und Luxusausgaben

Seit dem gigantischen Kinoerfolg von Der Herr der Ringe vergeht gefühlt kein Jahr ohne Sonderausgabe des Fantasyklassikers. Fans können zwischen unterschiedlichsten Ausgaben mit Illustrationen von verschiedenen Künstler*innen wählen – oder einfach alle sammeln. 2021 erschien eine besonders edle Luxusausgabe des Herrn der Ringe, erstmals mit Illustrationen von J.R.R. Tolkien selbst. Passend dazu folgten die Luxusausgaben zu Das Silmarillion 2022 und Der Hobbit 2023 inklusive Leineneinband, Schuber, Farbschnitt, Kartenmaterial und den Illustrationen des Autors. Ob es sich bei diesen Luxusausgaben nun wirklich um die besten aller Sonderausgaben handelt, ist letztlich Geschmackssache und wir werden in Zukunft sicher noch einige ausgefallene Ausgaben von Büchern Tolkiens sehen.

Schön gestaltete Sonderausgaben, insbesondere von phantastischen Klassikern, gibt es schon lange und mit einem einfachen Hardcover statt einem Taschenbuch lassen sich die Fans kaum noch locken. Heute muss es oft eine „Pracht-“ oder „Luxus“-Ausgabe sein, am besten illustriert und natürlich limitiert. Die hohen Preise der Pracht- und Luxusausgaben lassen sich am ehesten mit edel gestalteten Gesamtausgaben rechtfertigen. So ist die illustrierte und neu übersetzte Gesamtausgabe von Ursula K. Le Guins Erdsee ganze 1118 Seiten stark. Elric wurde ebenfalls neu übersetzt und kommt mit stolzen 1178 Seiten, was sowohl vom Umfang als auch vom Preis her in etwa drei Büchern entspricht. Dazu gibt es zahlreiche Illustrationen, die für die meisten Fans wohl das Beste an solchen Prachtausgaben sind. Solche Gesamtpakete sind perfekt als Geschenke geeignet – oder auch um den eigenen Fanherz etwas zu gönnen.

Inzwischen gibt es auch häufiger aufwändig gestaltete Neuauflagen von Einzelromanen wie beispielsweise Stephen Kings umfangreicher Klassiker Es. Die Luxusausgabe ist 1360 Seiten stark und begeisterte die Fans mit einer tollen Gestaltung inklusive edlem Schuber und großartigen Illustrationen. Da wurde auch der stolze Preis verschmerzt. Von der Ausstattung der trotz viel geringerer Seitenzahl nur geringfügig günstigeren Luxusausgabe des Friedhofs der Kuscheltiere zeigten sich Fans hingegen enttäuscht. Nach der Verfilmung von Dune erhält auch dieser SF-Klassiker eine Luxusausgabe mit herausnehmbarer Karte und „umfangreichem Bonusmaterial“. Es kommt auf den Umfang und die Qualität dieses Bonusmaterials an, ob sich die Ausgabe für Fans lohnt – oder ob sich der Eindruck verstärkt, dass solche Luxusausgaben vor allem höheren Gewinnen dienen und dabei ihren hohen Preis oft nicht rechtfertigen können.

Wer nicht so tief in die Tasche greifen und phantastische Klassiker in neuem, schillernden Gewand entdecken will, sollte sich mal das Programm von Coppenrath anschauen. Da erscheinen aktuell Schmuckausgaben von Genreklassikern wie Dracula, Reise zum Mittelpunkt der Erde oder auch Frankenstein für einen im Angesicht der wunderschönen Gestaltung und Extras guten Preis. Frankenstein oder Der neue Prometheus kommt beispielsweise in edlem Schwarz und Blau daher, hat einen farbigen, schimmernden Buchschnitt und bietet Illustrationen, kleine Extras sowie spannende Hintergrundinformationen.

Der Buchtrend 2023: Farbschnitte

Farbschnitte gab es früher vor allem bei Sonderausgaben. Bei phantastischen Jugendbüchern konnte man vor zehn Jahren öfter Blütenranken oder Tierpfoten als Schnittverzierung entdecken, doch ein echter Trend wurde damals nichts daraus. Dank digitaler Drucktechniken sind inzwischen auch komplexe, mehrfarbige Motive möglich und so erleben Farbschnitte aktuell einen regelrechten Boom, der bei den einen zu Schnappatmung und bei anderen zu Kopfschütteln führt. Bunte Farbschnitte findet man vor allem im der Jugendfantasy, Romantasy und bei Young / New Adult, aber auch Thriller wie Ingenium kommen heutzutage mit farbigem Buchschnitt daher. Eines der ersten Bücher, das mit einer grün-goldenen, filigranen Schnittverzierung auffiel, war 2022 A Song of Wraiths and Ruin. Die Spiele von Solstasia von Roseanne A. Brown. So schick ausgestattet fällt ein Buch in den Vorschauen und in den Buchhandlungen natürlich auf – und es lässt sich auf Social Media wunderbar in Szene setzen.

Dort liegt auch der Ursprung des aktuellen Farbschnitt-Trends: Onlineshops wie Bücherbüchse oder Chest of Fandoms haben sich auf Fantasy und Romance spezialisiert und bieten Bücherboxen voller Goodies wie Postkarten, Kerzen und sogar T-Shirts sowie aufwändig gestaltete Sonderausgaben, oft mit exklusiven Farbschnitten. Da quillt das Fanherz schnell über vor Begeisterung – und die schicken Bücher lassen sich perfekt auf Instagram und TikTok präsentieren. Bücher mit Farbschnitt (und Metalliceffekt, UV-Lack etc.) lassen sich wunderbar in die Kamera halten und von allen Seiten fotografieren und abfilmen.

Kaufdruck, Drama, hohe Preise

Verlage haben den Trend für sich entdeckt und bieten inzwischen viele Neuerscheinungen mit Farbschnitt an – oft limitiert in der ersten Auflage. Die schicke Optik sorgt für einen Hype auf Social Media und durch die Limitierung wird ein Kaufdruck erzeugt, sodass die Erstauflagen oft schnell ausverkauft sind und die Chance für eine Platzierung auf Bestsellerlisten steigt. Wenn Leser*innen den schicken Farbschnitt wollen, müssen sie schnell zuschlagen oder besser vorbestellen. Das treibt die Verkaufszahlen erst einmal hoch, doch inzwischen haben in der Jugendfantasy und Romantasy gefühlt fast alle Neuerscheinungen einen Farbschnitt. Entsprechend dürfte sich der Effekt, dass sich Bücher mit Farbschnitt besser verkaufen, bald abschwächen, weil es viele nachmachen.

Die Limitierung bei den Farbschnitten hat auch schon zu so manchem Drama geführt, wie bei der Veröffentlichung von Fourth Wing – Flammengeküsst von Rebecca Yarros. Hier wurden so viele Bücher vorbestellt, dass die Erstauflage mit Farbschnitt noch vor der Veröffentlichung ausverkauft war und manche Vorbesteller*innen entsprechend einen Nachdruck ohne Farbschnitt bekamen – was zu enttäuschten und wütenden Kommentaren und Rezensionen führte. Und dazu, dass Fans aus solchen Enttäuschungen lernen und so beim nächsten Buch mit Farbschnitt gleich mehrere Exemplare vorbestellen, um sicher zu gehen. Und so gibt es inzwischen auch das Phänomen der Buch-Scalper = Leute, die gezielt solche Farbschnittausgaben kaufen und sie dann überteuert bei ebay und Co. anbieten (analog zu Scalpern bei Games).

Bei den großen Verlagen sind die Farbschnittausgaben oft limitiert und folgende Auflagen kommen ohne Farbschnitt. Dadurch ist der Preis oft nicht oder nur wenig höher als bei normalen Ausgaben. Kleinere Verlage wie Drachenmond sowie Bücherbüchse und Co. bieten Farbschnittausgaben mit zusätzlichen Extras wie Softtouch, Prägungen, Veredelungen und Ausstanzungen und/oder (oft digitalen) Signaturen von den Autor*innen, die teilweise deutlich teurer sind.  Für jedes Extra entstehen schlicht zusätzliche Kosten und auch die Künstler*innen, die die Farbschnitte und Extras gestalten, wollen natürlich ihren verdienten Anteil. Ob es das wert ist oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Kritisch wird es, wenn sich nicht nur die Optik verschiedener Ausgaben eines Buches unterscheidet, sondern auch der Inhalt. So erscheint die Sonderausgabe von House of Flame and Shadow von Sarah J. Mass mit fünf verschiedenen Bonuskapiteln – verteilt auf fünf unterschiedliche Ausgaben, die in unterschiedlichen Geschäften zu bekommen sind. Die Fans wollen natürlich alle Bonuskapitel haben und während manche tatsächlich alle fünf Bücher dafür kaufen würden, sind andere zu Recht wütend über dieses Vorgehen und fühlen sich abgezockt.  Entsprechend gibt es bereits einige empörte Booktube-Videos und Fans wollen die Kapitel ins Netz stellen, damit sie allen zugänglich sind, womit wir schnell bei Urheberrechtsverletzungen sind. Fairerweise sollte der Verlag oder die Autorin die Bonuskapitel online bereitstellen. Vielleicht ist die Aufregung vom Marketing auch beabsichtigt, denn natürlich wird über dieses Buch jetzt wahnsinnig viel gesprochen – wobei Sarah J. Mass das gar nicht nötig hätte.

Zählt noch die Geschichte?

Viele Leser*innen schauen bei der Suche nach neuer Lektüre zuerst aufs Cover. Wenn dieses ansprechend gestaltet ist, wird der Klappentext gelesen und dann oft schon eine Entscheidung getroffen. Wenn ein Buch nun auch noch schimmert und glitzert und mit einem bunt bedruckten Buchschnitt daherkommt, erregt es natürlich noch mehr Aufmerksamkeit. Gerade junge Leser*innen sind für solche Extras zu begeistern und ignorieren dann schnell die Bücher, die farblos und klein daneben liegen. Auch sprechen Farbschnittausgaben vor allem Buchhorter*innen an, die schöne Bücher für ihren Social-Media-Auftritt sammeln. Da kommt es mehr auf das hübsche Shelfie (Foto vom Buchregal) an, als auf den Inhalt. So manche lassen sich gar zu Aussagen hinreißen wie, dass sie keine Bücher ohne Farbschnitt mehr wollen.

Es ist natürlich legitim, Bücher als Dekorationsobjekte zu sammeln. Doch leidenschaftlichen Leser*innen drängt sich bei dem Trend zu Farbschnitten und Sonderausgaben die Frage auf, ob es noch auf die Geschichten ankommt. Wie viele gute Bücher liest man nicht, weil das Cover nicht ansprechend ist? Wie viele gute Bücher verpasst man, wenn man alle ohne Farbschnitt ignoriert? Und wie viele Bücher haben grandiose Cover, einen schimmernden Buchtitel, einen wunderschön bedruckten Buchschnitt und innen eine langweilige oder toxische Geschichte?

Ein Buch mit Farbschnitt, Spotlack und Co. sieht schön aus und macht vielen Fans Freude. Doch wer viel liest, weiß, dass die Verpackung oft täuscht und selbst Klappentexte manchmal in die Irre führen. Letztlich sind es die Geschichten, die ihre Bilder in die Erinnerung brennen, die uns emotional mitreißen, uns vor Spannung schlaflose Nächte bescheren und mit ihren phantastischen Ideen begeistern.

Judith Madera

Judith Madera ist Literatopia-Chefredakteurin und Herausgeberin des Online-Fanzines PHANTAST. Seit 2019 schreibt sie gelegentlich für TOR online über Science Fiction, Anime und Manga. Mehr unter www.literatopia.de

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