Zu Höherem geschaffen
Manchmal steckt auch nicht das Universum hinter einer Bestimmung, sondern Protagonist*innen werden von gewöhnlichen Menschen in die Auserwähltenrolle hineinmanipuliert. In Die Tribute von Panem von Suzanne Collins wird die Protagonistin zum Symbol von Freiheit stilisiert, um eine Rebellion zu befeuern, aber auch die politische Macht der Führungsriege zu sichern. Auserwählende mit einer Agenda, seien es Menschen oder Gottheiten, bieten erzählerisch viel reichhaltigere Möglichkeit als „das Universum hat entschieden“ oder „das Gute will es“ oder „Liebe hat es gemacht“. Ist man vielleicht nur eine*r von vielen Auserwählten, die immer wieder scheitern? Ist die ganze Auserwähltennummer nur ein Scam, und der vermeintliche Prinz in Nöten entpuppt sich als Dämon, der befreit und auf die Menschheit losgelassen werden will? Im bereits erwähnten Black Sun wird der Lebenslauf eines Kindes von Kultist*innen, zu denen auch seine Mutter gehört, sorgfältig orchestriert, damit es dem Krähengott als Avatar dient.
Ein besonders finsteres Beispiel ist der durch Eugenik herbeigezüchtete Auserwählte Paul Atreides in Frank Herberts Dune. Dieses Auserwählten-Exemplar stellt das Trope auf den Kopf, indem Paul zwar zunächst Freiheit für die Unterdrückten erstreitet, wie es sich für Auserwählte gehört, in dessen Namen später aber millionenfaches Leid über die Galaxie gebracht wird. Er scheint auch Genderstereotype zu sprengen, indem er als einziger Mann eine Magie beherrscht, die eigentlich nur Frauen zusteht (schon bekannt von Odin, der sich Seiðr-Zauberei bemächtigt oder aus dem Rad der Zeit von Robert Jordan). Allerdings muss hier ein Auge auf die Machtstruktur geworfen werden, und sich die identitätsstiftende Macht einer ansonsten marginalisierten Gruppe anzueignen, ist nicht gerade progressiv.
Der Preis der Bestimmung
Ein häufiger Preis für das Auserwählt-Sein stellt die überwältigende Aufgabe dar, einem mundanen Alltag und den Aufgaben der eigenen Bestimmung gerecht zu werden. Versuchen sich die Auserwählten an diesem Balanceakt, gibt ihnen das eine große Portion Menschlichkeit mit. Beispiele hierfür sind das Rollenspiel City of Mist von Amit Moshe oder alle Inkarnationen von Spider-Man. Ms. Marvel hebt diese Art Handlung von einem kleinen Umfeld in das einer ganzen Gemeinschaft, in diesem Fall mit migrantisch-pakistanischem Hintergrund.
Eine weitere Alternative ist, sich selbst auszuerwählen oder die Bereitschaft mitzubringen, den dafür nötigen Preis zu zahlen. In Nora Bendzkos Die Götter müssen sterben muss eine Hauptfigur ihre körperliche Unversehrtheit opfern, um die Gunst einer Göttin zu erlangen. In Schildmaid von meiner Co-Autor*in und mir muss ebenfalls ein hoher Preis gezahlt werden, um als Frau von Odin auserwählt zu werden. (Wobei das ganze sowieso ein Trick ist, wie es sich für Odin gehört.)
Es kann nicht nur einen geben
Um zu verhindern, dass Auserwählte zu bloßen Instrumenten werden, um einen Plot voranzubringen, sondern die Möglichkeit haben, als Figuren mit anderen zu interagieren, können sie in Ensembles einbettet sein oder in größere Gemeinschaften. Die Sidekicks in Avatar – The Last Airbender haben alle ihre eigenen Probleme, die sie überwinden müssen, der*die Auserwählte ist nur eine Figur von vielen, wenn auch eine wichtige. Das verhindert, dass Nebenfiguren zu Backgroundtänzer*innen verkommen und dekonstruiert das Trope, in dem traditionell eher eine Person im Scheinwerferlicht steht. In Die Chroniken von Beskadur von James A. Sullivan nutzt der wiedergeborene Elf Ardoas seine Bestimmung vor allem, um seine Gemeinschaften zu unterstützen, im gleichen Maße, wie er von ihnen unterstützt wird. In Buffy verteilt die Jägerin ihre Macht und Verantwortung schließlich auf viele Schultern.
Manchmal jedoch sind keine Auserwählten die besseren Auserwählten. In Jade City von Fonda Lee verweigert sich ein Charakter seiner Bestimmung, indem er sich entgegen großen Widerständen einen neuen Job sucht. Manchmal müssen Hauptfiguren auch einfach ein Problem angehen, weil sonst niemand da ist, der dazu willens ist. Progressive Phantastik tendiert dazu, oft genau diesen Weg zu wählen. Es ist aber müßig, entsprechende Titel hier auszuwählen, weil es eben keine Auserwählten-Plots mehr sind. Dennoch werden viele Geschichten, die nach Auserwählten schreien, gerade dadurch interessant, dass niemand von höheren Mächten dazu bestimmt ist, den Tag zu retten. Wir wissen, dass viele der komplexen Probleme unserer heutigen Welt nicht von einer Person gelöst werden können, die in einer einzigen Großtat zur Rettung eilt, sondern wir müssen auf verteilte Verantwortung und Graswurzelbewegungen hoffen.
Zusammenfassend werden Auserwählte dann interessanter, wenn die Antworten auf Fragen nach dem Wer?, von Wem?, Wie? und Warum? Überraschungen und Haken parat halten, wenn Gut vs. Böse nicht banal vor uns liegen oder wenn die Last der Verantwortung auf vielen Schultern lastet.