Lena Richter, 09.02.2023
Wie haben sich Raumschiffcrews verändert? Star Wars und Star Trek sind wohl die bekanntesten Beispiele für einen Trend zur Diversität und Queerness. Autorin Lena Richter betrachtet die Entwicklung in der Science Fiction.
Frühe Space Operas und die ersten Raumschiff-Crews
Ab den 1920er-Jahren entstand das, was wir heute als Space Opera kennen, auch wenn der Begriff erst in den 1940ern geprägt wurde. Pulp-Magazine wie AMAZING STORIES veröffentlichten Abenteuergeschichten im Weltraum, in denen es abweichend zu anderen Science-Fiction-Geschichten um Spannung, Drama und Romantik und weniger um wissenschaftliche Gedankenexperimente ging. Als erste Space Opera gilt vielen der 1928 als Fortsetzungsgeschichte veröffentlichte Roman The Skylark of Space von Edward E. Smith und Lee Hawkins Garby mitsamt seinen Fortsetzungen. Dort finden sich sowohl erste Ansätze eines Teams, das längere Zeit zusammenarbeitet, als auch das Konzept eines männlichen, übermenschlich begabten Helden, der das Zentrum dieses Teams bildet; eine Vorstellung, von der sich die Space Opera bis heute noch oft beeinflussen lässt. Protagonist Seaton ist der Weltbeste in so vielen Dingen, dass man eine solche Figur heute wohl völlig übertrieben fände, passt aber gut in die Zeit, in der auch die ersten Superheldencomics entstanden. Auch das Konzept von Raumschiff-Familie kommt hier schon vor: Seatons Verlobte Dorothy ist ursprünglich zwar nur das Entführungsopfer, das ihn ins Abenteuer lockt, doch in späteren Teilen reisen er und sein Kollege Crane immer mit ihren Ehefrauen durchs All. Zusammenarbeit mit Außerirdischen wird thematisiert, auch wenn es bis zum ersten regulären Alien-Bordmitglied eines Raumschiffs noch etwas dauern sollte.
Denn Aliens und Roboter als Teil eines Teams wurden erst einige Jahre später modern. Als Marketingmaschinen für Merchandise und gesponsert durch Firmen wie Kellogs oder Nestlé erlangten in den 1950ern Serien wie TOM CORBETT, SPACE CADET, CAPTAIN VIDEO AND HIS VIDEO RANGERS und SPACE PATROL große Beliebtheit, auch über die Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen hinaus. Teilweise basierend auf Romanen, teilweise auf Radiohörspielen, wurden sie günstig und größtenteils live produziert und wiesen alle irgendeine Art von Team auf.
Hier finden sich weiterhin übermenschliche Gestalten, aber auch die Ansätze von Elementen, die auch später bei Raumschiffcrews beliebt werden würde: Roboter (der erste Roboter in einer Fernseh-SF-Serie war I Tobor aus CAPTAIN VIDEO), Aliens (Venusier Astro aus TOM CORBETT war das erste Alien-Mitglied einer Crew) und ein Team mit verschiedenen Kompetenzen. Auch die Vorstellung einer übergeordneten Organisation, wie hier beispielsweise die »United Planets Space Patrol«, wurde bereits zu dieser Zeit eingeführt und entwickelte sich später zu Konzepten wie der Sternenflotte und der Föderation aus STAR TREK weiter. Die Geschichten der besagten Serien sind größtenteils unzusammenhängend, haben aber viele Elemente, die auch spätere Space Operas wieder aufgreifen: Aliens, Raumschiffpirat*innen, Besuche auf fremden Planeten und generell eine Mischung aus klassischen Science-Fiction-Elementen auf der einen und Fantasy-Wesen wie Weltraumspinnen und unsichtbaren Monstern auf der anderen Seite. Später wird diese Verschmelzung zu Science Fantasy von anderen Formaten wieder aufgegriffen, am berühmtesten darunter sicherlich STAR WARS.
In den Crews dieser frühen Fernsehserien zeigen sich schon einige Strukturen, die später weiter auftauchen, beispielsweise Kommandostrukturen und militärähnliche Ränge, aber auch Geheimdienstmitarbeitende und Wissenschaftler*innen. Die beliebte Trope der Space Cadets, die gemeinsam ihre Ausbildung an einer Art Militär-Akademie durchlaufen und dann zusammen auf Reise durchs All gehen, stammt ebenfalls aus dieser Phase der Space Operas. Verschiedene politische Systeme, denen die Figuren entstammen, finden sich hier ebenfalls schon, wie beispielsweise Tonga, eine Figur aus SPACE PATROL, die der königlichen Familie des Neptuns entstammt. Bereits erwähnt werden die ersten nicht menschlichen Crew-Mitglieder. Einerseits werden hier also verschiedene Kompetenzbereiche geschaffen und das Spektrum der Figuren erweitert, andererseits ist aber der Einfluss von Pulpheften und hyperkompetenten Hauptfiguren noch immer groß und es kann durch die unzusammenhängenden Geschichten kaum von einer kontinuierlichen Charakterentwicklung die Rede sein.
Freundschaft und Familie
1966 startete die erste STAR TREK-Serie, die das Genre der Space Opera und die Konzepte von Raumschiffcrews bis heute prägt. Die erste Besatzung der Enterprise ist bis heute eine der ikonischsten und beliebtesten Crews aller Zeiten. Und auch wenn die Enterprise in jeder Folge ein neues Abenteuer erlebt, ist doch die Kontinuität der Figuren groß genug, dass sich diese in ihren Beziehungen zueinander entwickeln können, was in den sich anschließenden Filmen noch fortgesetzt wird. STAR TREK entwirft seine Hauptfiguren nicht nur mit Augenmerk auf ihre Kompetenzen, sondern auch auf ihre Persönlichkeiten: Der impulsive und wagemutige Kirk, der analytische und gefühlskalte Spock und der aufbrausende, moralisch integre McCoy, der beide immer wieder bremst, wenn sie zu weit gehen wollen, sind so angelegt, dass zwischenmenschliche Konflikte und deren Beilegung ein fester Bestandteil der Geschichten sind. Dabei sind alle drei in gewisser Weise ein überzeichnetes Klischee – so sehr, dass es in den späten Neunzigern sogar eine Analyse des SF-Autors Peter David dazu gab, wie die drei die freudschen Konzepte von Es, Ich und Über-Ich verkörpern (und somit eigentlich erst zusammen eine runde, glaubhafte Person ergeben würden). Die Beziehung zwischen der Enterprise-Crew jedenfalls, vor allem die zwischen Kirk und Spock, ist bis heute vermutlich eine der prägendsten des Space-Opera-Genres, und es ist sicher auch kein Zufall, dass die ersten modernen Fanfictions davon inspiriert wurden. Dass die persönlichen Beziehungen innerhalb des Teams eine so große Rolle spielen und ein Teil der Zuschauenden genau deshalb dranblieb, ist der Beginn einer Entwicklung, die später noch mehr Gewicht erhalten würde.
Doch STAR TREK setzte auch neue Maßstäbe in punkto Diversität der Figuren, ob das nun Lt. Uhura als Schwarze Frau auf der Brücke ist, der russische Chekov als Hoffnung eines irgendwann überwundenen Kalten Krieges, der japanisch-amerikanische Sulu oder Spock als Alien. Trotzdem war die Serie ein Kind ihrer Zeit: Die ursprünglich von Roddenberry geplante Brückencrew (zu sehen noch in der ersten Pilotfolge “The Cage”) beinhaltete neben Spock als Wissenschaftsoffizier eine Frau als erste Offizierin, was vom Sender abgelehnt wurde. Auch die Idee von Rodenberry, Sulu solle sämtliche asiatischen Menschen repräsentieren, würde heute zurecht kritisiert werden. Damals jedoch war Star Trek diesbezüglich revolutionär, und das Franchise ist bis heute oft eine Speerspitze des SciFi-Fernsehens, was Diversität angeht. Schon die erste Serie vermittelte die Idee, dass eine Crew in einer utopischen Zukunft die Unterdrückungen und Konflikte der Gegenwart überwunden haben sollte.
Ein durchgehendes Thema im Star Trek-Franchise ist ein Aspekt, der auch schon in den Serien der 50er-Jahre auftauchte und das Space Opera-Genre noch immer prägt: Die übergeordnete, wohlmeinende Organisation und die Kommandostruktur, die der eines Marine-Schiffs entspricht. Die Föderation und die Sternenflotte sind auch dafür wohl die bekanntesten Beispiele. Interessanterweise sind oft die Grundsätze der Föderation und der Umgang damit im Fokus der Folgen, während die Sternenflotte als Institution nur in ausgewählten Geschichten eine Rolle spielt. Obwohl bei allen Crews der verschiedenen Star Trek-Generationen zumindest der überwiegende Teil in die Rangstrukturen der Sternenflotte eingeordnet ist, sorgen die Ideale dieser und der Föderation gleichzeitig dafür, dass es auf der Brücke selten zugeht wie in einer Bundeswehrkaserne. Dass Probleme von vielen klugen Köpfen besser gelöst werden können als von einer Person allein und dass alle die Chance haben sollten, ihre Meinung zu äußern, ist oft wichtiger als wer wen im Rang übertrumpft. Zwar ist es in hektischen Situationen wichtig, dass klar ist, wer gerade das Kommando hat, und es wird schon einmal “Dies ist ein Befehl!”, gerufen, aber es würde wohl niemand Star Trek auch nur entfernt unter Military-Science-Fiction einsortieren. Somit findet sich bei Star Trek eigentlich durchgehend eine Crew, die in ihren Kompetenzen und Rangordnungen klar sortiert ist, in der aber trotzdem alle frei sprechen dürfen und freundschaftliche Beziehungen miteinander pflegen.
Auch in der ersten deutsche Science-Fiction-Serie Raumpatrouille Orion, die ebenfalls 1966 ausgestrahlt wurde, gibt es sowohl die utopische Vorstellung von überwundenen Nationalstaaten auf der einen Seite als auch die militärischen Strukturen und Behörden wie den Galaktischen Sicherheitsdienst auf der anderen Seite. Doch auch dort dauert es nicht einmal alle sieben Folgen der Serie, bis die Sicherheitsbeamtin, die den aufmüpfigen Raumschiffkapitän überwachen soll, doch einsieht, dass seine Alleingänge oft gut und richtig sind und sich darüber hinaus natürlich in ihn verliebt. Neben der Idee von Freundschaft und Vertrauen als verbindendem Element kommt zur selben Zeit die von einer Familie als Crew auf: 1965, ein Jahr vor Star Trek, startete die Serie Lost in Space, die seither mehrfach neu aufgelegt wurde. Die fünfköpfige Familie Robinson, die auf einem Raumschiff neue Welten besiedeln soll, aber durch die Sabotage des feindlichen Agenten Smith verloren geht, entwirft eine ganz andere Vorstellung von Crew, und auch das ursprüngliche Ziel der Reise ist nicht Entdeckung oder Forschung, sondern das Gründen einer neuen Heimat. Dabei ist allerdings die Weltallreise der Familie fortschrittlich, während das Familienbild seiner Zeit gerecht wird: Maureen Robinson, die Ehefrau und Mutter, hat zwar einen Doktortitel, verbringt aber die meiste Zeit mit Kochen, Gärtnern und anderer Sorgearbeit. Will, der einzige Sohn, ist ein Technik-Genie, während die älteste Tochter Judy oberflächlich und weniger intelligent als ihre Eltern ist und die Reise vor allem antritt, weil sie sich in den Piloten verguckt hat. Die mittlere Tochter Penny mag Tiere und Musik und adoptiert schnell ein Alien-Haustier. Interessanterweise entwickelte sich im Laufe der ersten Staffel der eigentliche Gegenspieler Smith, der nach seiner Sabotage nicht mehr von der Familie wegkam, zu einer der beliebtesten Figuren und dem heimlichen Publikumsliebling – vielleicht schon ein früher Fingerzeig zu den Antihelden und beliebten Bösewichten, die erst später die Bildschirme bevölkern würden.
Auch in den ersten Staffeln von DOCTOR WHO, die ab 1963 ausgestrahlt wurden, gibt es eine Familiengeschichte. Der erste Doktor reist mit seiner Enkelin Susan (und zwei ihrer Lehrer*innen) durch Raum und Zeit. In den ersten Konzepten der Serie sollte der Doktor eigentlich in Begleitung einer Alien-Prinzessin namens Suzanna sein, die telepathische Kräfte hat und die TARDIS ebenso gut fliegen kann wie der Doktor. Doch dieses Konzept wurde verworfen: Die jüngeren Zuschauenden sollten sich mit einem ganz normalen Teenage-Mädchen identifizieren können. Anthony Coburn, der Drehbuchautor der ersten Folge, fügte dann die Großvater-Enkelin-Beziehung hinzu, da ihm ansonsten die gemeinsame Reise von älterem Mann und junger Frau unbehaglich erschien. Susan hatte in der Serie dann allerdings wenig zu tun außer gut auszusehen und verängstigt zu sein, was die Schauspielerin Carole Ann Ford so frustrierte, dass sie die Serie nach 51 Folgen verließ.
Die 1960er-Jahre und ihre Raumschiffcrews zeigen sich also einerseits geprägt von der Hoffnung, dass die Menschheit ihre Konflikte überwinden wird. Trotz ordnender Strukturen prägen vor allem Freundschaft und gegenseitiges Vertrauen die Zusammenarbeit. Andererseits ist auch die Kernfamilie als Crew-Konzept beliebt, die dabei aber fest in den Rollen- und Möglichkeitsvorstellungen der Zeit verhaftet bleibt. Ob Sternenflottenbrücke oder Familienschiff, die Crewmitglieder haben eine positive und vertrauensvolle Beziehung zueinander und spiegeln damit die hoffnungsvolle Aufbruchsstimmung der Epoche wider.