Swantje Niemann, 04.07.2024
Kaum ein*e Fantasy-Autor*in dürfte sich in Zeiten zurücksehnen, in denen Monarch*innen und Adlige echte politische Macht hatten. Trotzdem wimmelt es in Fantasyromanen von ihnen, während Demokratien – die Regierungsform, mit der eine Menge Autor*innen persönliche Erfahrungen haben – eher ein Schattendasein führen. Warum eigentlich?
Autokratisch, praktisch, gut
Ein wichtiger Grund ist zweifellos Tradition: Das Fantasy-Genre zieht viel Inspiration aus Märchen, Mythen und historischen Ereignissen. Es hat eine lange und lebendige Tradition, die Idee des „guten Königs“ zu konstruieren, dekonstruieren, rekonstruieren ... Es ist also nicht überraschend, dass sich immer neue Autor*innen in diesen Dialog einschalten.
Es steckt aber auch mehr als Tradition dahinter. Eines der narrativen „Probleme“ von funktionierenden Demokratien ist, dass sie die Macht Einzelner reduzieren. Und das erschwert es unter Umständen, eine der Lieblingsfragen des High-Fantasy-Genres zu stellen: Was passiert – und vor allem: was kann schiefgehen – wenn einer Person sehr viel Macht in die Hände fällt? Und was beschränkt die Handlungsoptionen der vermeintlich mächtigsten Menschen? Geschichten über Herrschende lassen sich als eskapistische Power Fantasy, warnendes Beispiel, wendungsreicher Machtkampf oder Charakterstudie erzählen. Sie eröffnen also eine Menge Möglichkeiten. Es sind gerade die Sollbruchstellen von Alleinherrschaft, die sie so reizvoll für Literatur machen.
Hinzu kommt noch ein weiterer Grund: Monarchien und vergleichbare Systeme sind schlichtweg praktisch, denn sie reduzieren die Anzahl der Akteur*innen, die Schreibende und Lesende im Blick behalten müssen. Das ist bei Büchern, die eine Menge komplexes Worldbuilding kommunizieren müssen, ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Demokratien hingegen, die nicht ausschließlich im Hintergrund existieren, bringen immer eine große Prise Komplexität in die Handlung. Als ich mich beispielsweise entschieden habe, ein klassisches Völker-Fantasy-Setting ins ungefähre Äquivalent des 19. Jahrhunderts inklusive einer Steampunk-Zwergenrepublik zu schleifen[1], kam von einigen Lesenden die Reaktion, dass sie sich von Namen und Parteikürzeln erschlagen gefühlt haben.
Es ließe sich argumentieren, dass es eigentlich gar nicht so schwierig sein sollte, Bücher über Fantasy-Demokratien zu finden. Immerhin müssen Schreibende hier nicht das Rad neu erfinden und können auf die Erfahrung vieler Lesender verweisen. Also ein Fall von „Write what you know“. Aber auch irgendwie nicht. Zum einen ist da die Frage: „How much do we know?“ Zumindest bei mir kommt schnell Google ins Spiel, wenn es um einige Abläufe und Institutionen unserer Demokratie geht und ich bin da wahrscheinlich nicht die Einzige.
Zum anderen kommt man mit dem Winken in Richtung einer vertrauten Herrschaftsform nicht um durchdachtes Worldbuilding herum. Ich würde rein intuitiv sagen, dass man mit einer unrealistischen Fantasy-Monarchie eher davonkommt, während Lesende bei weniger durch Genretraditionen etablierten Demokratien eher nachfragen, wie sie funktionieren und ob sie sich „realistisch“ anfühlen. Man braucht also schon ein paar plausible Ideen, wie demokratische Institutionen und Prozesse in dem Fantasy-Setting funktionieren könnten. Genau das kann aber eine Menge Spaß machen und zu spannenden Resultaten führen.
[1] Ich würde heute in meiner Debütreihe vieles sensibler und informierter schreiben wollen, aber die grundlegende Idee, mich bei den Leuten einzureihen, die sich an High-Fantasy-Demokratien versuchen, gefällt mir immer noch.