Judith Madera, 12.01.2024
Was ist Science Fiction? Was Fantasy? Und was nicht? Diese Fragen werden in der Phantastik endlos diskutiert. Wir haben zwar klare Vorstellungen davon, was Science Fiction und Fantasy ist, doch stimmen unsere Vorstellungen nicht immer mit denen anderer überein. Dieser Artikel betrachtet die Genrevielfalt innerhalb der Phantastik, insbesondere Genremixe und Grenzen, die verschwimmen, wenn wir näher hinschauen …
Ursula K. Le Guins Kurzgeschichte „Sie entnamt sie“ ist ein Gedankenexperiment, das uns daran erinnert, dass Namen etwas Menschliches sind, das einerseits Nähe und Verständnis schafft, aber auch Distanz. Namen sind auch Abgrenzungen. In der Geschichte geben Tierarten ihre Namen zurück, womit die Trennung zwischen der Protagonistin und den Tieren fällt und sie eine neue Art der Verbundenheit erlebt. Auch innerhalb der Phantastik gibt es zahlreiche Namen für Sub- und Hybridgenres, zahlreiche Bezeichnungen, die Grenzen ziehen, über die dann gestritten wird. All diese Bezeichnungen machen Sinn, es wäre unsinnig, sie „zurückzugeben“ (an wen auch?), doch wir sollten nicht vergessen, dass das, worüber wir diskutieren, letztlich alles Phantastik ist.
Der Artikel zu Science Fiction im Wandel der Zeit war meine Antwort auf die unendliche Diskussion unter SF-Leser*innen: Was ist Science Fiction? Und was nicht? Die gleiche Diskussion findet sich in der Fantasy und in anderen phantastischen (Sub-)Genres, die seit Jahrzehnten immer zahlreicher werden. Während in den Buchhandlungen hauptsächlich zwischen Fantasy und Science Fiction unterschieden wird und daneben oft nur die Romantasy eigene Regale beansprucht, kennen Phantastikbegeisterte Genres und Strömungen wie Solarpunk, Hopepunk, Climate Fiction, Space Fantasy oder Afrofuturismus.
Seit dem 19. Jahrhundert hat sich die Phantastik zu einem stark diversifizierten Literaturgenre entwickelt, dessen unterschiedliche Spielarten durch immer neue Bezeichnungen voneinander abgegrenzt werden. Dabei sind die Grenzen von Anfang an fließend: Mary Shelleys Frankenstein oder Der moderne Prometheus (1818) wird meist dem Horror zugeordnet, gilt aber auch als einer der ersten SF-Romane. Frühe SF-Werke wie Die Reise zum Mittelpunkt der Erde (1864) oder John Carter vom Mars (ab 1912) sind aus heutiger Sicht eher Science Fantasy, ein Genremix, der mehrere Blütephasen erlebt hat und jüngst mit der Verfilmung von Dune Menschen begeistert. In den 1960ern nutzten Autor*innen der New Wave phantastische Tropes, um ihre Geschichten über die Natur der Realität und des Bewusstseins, über (Un-)Menschlichkeit, Kultur und Gesellschaftssysteme zu schreiben. Ob diese dann als Science Fiction oder Fantasy bezeichnet wurden, war für diese Autor*innen nicht wichtig.
Je genauer man hinschaut, desto unschärfer werden die von Menschen gezogenen Grenzen. Fantasy und Science Fiction werden oft anhand von Magie und Technologie unterschieden, doch laut dem berühmten dritten Clarkeschen Gesetz ist „jede hinreichend fortschrittliche Technologie von Magie nicht zu unterscheiden“. Der Unterschied liegt also weniger im Vorhandensein von Magie, sondern darin, dass Fantasy offen zugibt, etwas Unmögliches zu beschreiben, während sich die Science Fiction auf (fiktive) wissenschaftliche Grundlagen stützt. Werden diese wissenschaftlichen Grundlagen nicht näher beschrieben, sind wir schnell in einem Bereich, wo Fantasy und Science Fiction kaum zu unterscheiden sind.