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Happy Birthday, Turtles! Pizza zum Geburtstag: 40 Jahre TMNT

Screenshot aus dem Film "Mutant Mayhem". Die vier Turtels auf einem Hausdach in New York, blicken grimmig und in Kampfpose auf die Kamera hinab, im Hintergrund leuchtet der Vollmond
© Paramount Pictures

Christian Endres, 15.05.2024

Cowabunga! Die Teenage Mutant Ninja Turtles feiern diesen Mai ihren 40. Geburtstag, wobei sich ihre Legende auf fünf Jahrzehnte und viele Medien erstreckt. Eine Reise zu den Ursprüngen und Inkarnationen der Ninja-Schildkröten, die auch in die TMNT-Zukunft blickt.

Heute kennen wir die Turtles aus den verschiedensten Medien, in denen sie sich im Laufe ihrer Karriere breitgemacht haben. Doch ihre Ursprünge liegen im amerikanischen Independent-Comic der 1980er. Damals teilten sich die hoffnungsvollen Comic-Künstler Kevin Eastman und Peter Laird ein Studio-Apartment in Dover, New Hampshire – genau genommen hatte Eastman ein Zimmer bei Laird und dessen Frau gemietet, und das Wohnzimmer diente den beiden glühenden Jack-Kirby-Bewunderern als der Ort, an dem sie ihre eigenen Comics schufen.

Im Dezember 1983 zeichnete Eastman, ein großer Fan von Bruce Lee, eine anthropomorphisierte, aufrechtstehende Schildkröte mit Bandana-Maske, Gelenkschützern und Nunchakus – den Kontrast eines schnellen Ninja in Gestalt eines langsamen Tieres fand Eastman witzig, damit wollte er Laird zum Lachen bringen. Aber es war mehr dran an diesem Proto-Turtle. Laird zeichnete ein paar Revisionen, und schließlich dachten sich die beiden noch drei weitere Turtles aus und versahen sie mit den Namen der vier berühmten Renaissance-Meister Leonardo, Donatello, Raphael und Michelangelo. Mithilfe eines Darlehens und einer kleinen Steuerrückzahlung brachten sie im Mai 1984 schließlich das erste „Teenage Mutant Ninja Turtles“-Comic-Heft in ihrem Eigenverlag Mirage Studios auf den Markt.

Ihr Budget reichte für eine Startauflage von 3.000 schwarz-weißen Heften – die innerhalb weniger Tage ausverkauft waren. Damit hatten der 1954 geborene Laird und der 1962 geborene Eastman nicht gerechnet. Sie schafften es, noch mal 6.000 Exemplare nachzudrucken, die in den Comic-Läden (die sich in den USA im vorangegangenen Jahrzehnt als Direktmarkt etabliert hatten) weggingen wie heiße Pizza. Eastman und Laird arbeiteten sogleich am zweiten Heftabenteuer der Turtles, das Anfang 1985 erschien. Für das nächste US-Heft hatten sie 15.000 Vorbestellungen, für das achte 135.000. Sie kündigten ihre Brotjobs und widmeten sich fortan ganz ihrem wahr gewordenen Comic-Traum.

Was machte die Turtles, die kurz vor revolutionären Werken wie „Watchmen“, „Batman: Die Rückkehr des Dunklen Ritters“ und „Spider-Man: Kravens letzte Jagd“ aufschlugen, aus dem Stand so erfolgreich? Es schadete sicherlich nicht, dass Comics mit anthropomorphisierten Tierfiguren eine lange Tradition haben. In den 1970ern hatten Amerika und der US-Comic außerdem einen wahren Kung-Fu- und Kampfkunst-Hype gesehen, der ja nicht zuletzt Eastman zu seiner folgenschweren Turtle-Skizze inspiriert hatte.

Zudem parodierten die Turtles den Vibe der damaligen Comic-Trends: Allen voran Frank Millers „Daredevil“-Saga bei Marvel, die Ende der 1970er, Anfang der 1980er dessen Durchbruch als Autor und Zeichner war, platzte schier vor Ninja-Action. Doch Laird und Eastman parodierten auch die anhaltend populären Mutanten aus den „X-Men“-Comics von Chris Claremont, John Byrne und John Romita Jr., und die Nachwuchshelden aus „New Teen Titans“ von Marv Wolfman und George Pérez, die eine neue Generation von Nachwuchs-Helden mit Superkräften präsentierten.

Splitter Comics TMNT-Collction-01 - Einzelbild von Raphael
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Erfolgreiche Außenseiter

In einem Interview sagte Kevin Eastman einmal, dass das in seinen Augen allerdings nur die halbe Miete gewesen sei. Sicher hätte der Parodie-Aspekt der Ninja-Schildkröten am Anfang die Fans angezogen. Doch daraufhin haben die Comics mit den Turtle-Brüdern, so Eastman, schnell das nächste Level erreicht, ihre eigene Legende geschaffen. Darüber hinaus hätten die Turtles laut Eastman den Vorteil gehabt, dass die vier Titelfiguren mit grüner Haut niemanden ausschlossen, dafür alle ansprachen und sich viele junge Menschen mit dem Außenseiter-Status der Turtles aus der Kanalisation identifizieren konnten. Das habe die Turtles damals für Eastman ausgemacht und sei seiner Meinung nach, was sie bis heute voranbrächte.

Nach ihrem Debüt kamen die TMNT jedenfalls rasend schnell voran, und das nicht allein in den Comic-Shops. Bereits 1985 wurde das von Eastman und Laird illustrierte Rollenspiel „Teenage Mutant Ninja Turtles & Other Strangeness“ veröffentlicht, das auf dem Megaversal-System von Palladium basierte. Ab 1987 waren dann die Turtles-Actionfiguren und -Fahrzeuge ein Riesenerfolg – wie bei den „Masters of the Universe“, trug die erste TMNT-Zeichentrickserie erheblich dazu bei, die Turtles zu einem der erfolgreichsten Spielzeug-Franchises aller Zeiten zu machen. In den USA hatte man in dieser Ära längst erkannt, dass TV-Trickserien Spielzeug verkauften.

Nicht unwichtig in diesem Zusammenhang: Mark Taylor, der als Designer bereits He-Man und Skeletor seinen Stempel aufgedrückt hatte, wirkte seine Magie auch bei den Turtles. In der knallharten Comic-Vorlage hatten Leo, Mikey, Raph und Don lange Zeit alle Vier rote Bandanas, erst in der kids-tauglichen Trickserie erhielt jeder eine eigene Farbe und Persönlichkeit. Der grimmige, düstere Style der Comics wurde überdies von Humor, Jugendsprache, Pizza und Fun abgelöst. Auf Deutsch sang Frank Zander die Ohrwurm-Version des ikonischen Theme-Songs, den im Original wiederum „The Big Bang Theory“-Schöpfer Chuck Lorre komponiert und eingesungen hatte.

Das erste „Teenage Mutant Ninja Turtles“-Game konnte 1989 am Spielautomaten gezockt werden und wurde 1990 zum weltweit erfolgreichsten Arcade-Game, im selben Jahr gab es eine Version für den Nintendo. 1990 wurde ohnehin ein gutes Jahr für die Turtles: Regisseur Steve Barron, der davor Musikvideos für Michael Jackson und Madonna gedreht hatte, brachte den ersten TMNT-Spielfilm auf die Leinwand. Auf ganzer Linie überzeugen konnte der Film, wie so viele Stoffe seiner Art und Zeit, nicht – allerdings wurde der Streifen, für den Jim Hensons Firma die Kostüme erstellte, bei 15 Mio. Dollar Budget und 135 Mio. Dollar Einspielergebnis der erfolgreichste Independent-Film seiner Zeit. Parallel verkaufte man Spielzeug im Wert von 100 Mio. Dollar. 1991 und 1993 folgten flugs zwei Sequels.

Moderne Mutationen

Der Turtles-Boom war in jenen Tagen wirklich gewaltig, die Ninja-Schildkröten, Cowabunga!, Turtle-Power und vor allem das TMNT-Merchandise überall. Es gab Hörspiele, Klamotten, Bettwäsche, Kostüme, Brotzeitboxen, das volle Programm. Die Turtles-Actionfiguren kamen mit allen möglichen Themen und Outfits heraus, Sport, Hip-Hop, Samurai, Star Trek. Doch natürlich konnte es nicht ewig so weiter gehen. Mitte der 1990er sank ihr Stern praktisch über Nacht.

Ab 1997 wurde die von Saban („Power Rangers“) produzierte Live-Action-Fernsehserie „Ninja Turtles: The Next Mutation“ ausgestrahlt und sah den Einstand des ersten weiblichen Turtle Venus de Milo. Wegen deren Erschaffung überwarfen sich Eastman, der die Figur für Fox Kids durchwinken wollte, und Laird, der sich gegen sie sträubte. Aus ihrer Freundschaft wurde eine reine Geschäftsbeziehung. Später kaufte Laird sogar die Turtles-Anteile seines einstigen kreativen Blutsbruders, der seinerseits das berühmte Comic-Magazin „Heavy Metal“ kaufte und herausgab. Zu allem Überfluss erwies sich „Ninja Turtles: The Next Mutation“ als Flop. Das so profitable Franchise war am Boden angekommen.

Splitter Comics - TMNT-Collection 01 - Die vier Turtles und Meister Splinter in Action
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Erst 2003 spürten Leonardo, Donatello, Raphael, Michelangelo, Splinter, April, Casey und Co. erneut etwas Aufwind, als sie eine sehr gute neue Trickserie erhielten, die alte Fan-Liebe neu entflammen ließ – zumal der animierte Reboot auch eine neue Generation begeisterte. Das spiegelte sich ebenfalls im „TMNT“-Animationsfilm von 2007 wider, den Kevin Munroe mit Promi-Synchro auf die Beine stellte, und der sein 34-Millionen-Dollar-Budget in den Kinos immerhin verdreifachen konnte. Was wohl draus geworden wäre, hätte John Woo tatsächlich Regie geführt, wie 2000 mal angedacht?

2009 zelebrierte man ein Vierteljahrhundert Turtles mit einem weiteren Animationsfilm, der direkt im US-Fernsehen lief und mehrere Inkarnationen der Turtles-Trickfilm-Historie zusammenbrachte. Im selben Jahr wanderte das gesamte TMNT-Franchise dann zu Branchen-Gigant Viacom/Nickelodeon, wo man für die Turtles-Übernahme 60 Mio. Dollar lockermachte, von denen Kevin Eastman jedoch keinen Cent sah (keine Sorge, von der ersten Turtles-Millionen hat er sich damals einen Panzer gekauft). Bei Nick produzierte man mehrere hippe, schnelle CGI-Animationsserien, mit denen auch neues Merchandise und All-Age-Comics zur kindgerechten Action im Fernsehen einhergingen. Dabei sah jede Fernsehserie ein Re-Design der gepanzerten Ikonen. Eastman kehrte obendrein als kreative Instanz zu den Turtles zurück.

Im Jahre 2014 inszenierte Regisseur Jonathan Liebesman eine Live-Action-Neuverfilmung, ganz im Stil von Michael Bays „Transformers“-Blockbustern – Bay fungierte auch als Produzent des Streifens mit Megan Fox als April O’Neil, außerdem Will Arnett, Whoopi Goldberg und William Fichtner. Bei geschätzten 120 bis 150 Mio. Dollar Budget wurden 485 Mio. Dollar an den weltweiten Kinokassen eingespielt. 2016 kam trotz mauer Kritiken und wenig Begeisterung der Fans das Sequel „Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows“, das dann bloß noch die Hälfte am Box Office reißen konnte. Dennoch zeigten diese Turtles-Varianten von Nickelodeon und Paramount in Film wie Fernsehen, dass die kultigen Mutanten-Schildkröten eben doch generationenübergreifende Ikonen waren.

Splitter Comics TMNT - Last_Ronin, Seite 04, einer der Turtles schleicht sich in Ninja-Montur und mit Ninja-Stern an eine Gefängnismauer heran.
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Comic-Reboot und Ronin-Dystopie

Der große Comic-Relaunch des TMNT-Franchise bestätigte diesen Eindruck allemal. Bereits 2011 tat sich Kevin Eastman als Autor und Seitenlayouter mit Co-Autor Tom Waltz, Zeichner Dave Duncan und anderen zusammen, um beim US-Verlag IDW einen waschechten Reboot der Turtles-Legende in Comic-Form durchzuführen. Bekannte Origin, bekanntes Personal, bekannte Verbündete, bekannte Gegenspieler – aber alles mit einem modernen Dreh, zeitgemäß erzählt und gezeichnet, absolut zugänglich und einsteigerfreundlich.

Durch die gute Mischung aus Originaltreue und Frische schafften es die Comics, alte wie neue Fans zu entzücken, wobei man das Beste aus den vielen vorangegangenen Inkarnationen remixte, neu interpretierte, oder durch originelle Einfälle und Figuren erweiterte. Schließlich führte Künstlerin Sophie Campbell die Serie in völlig unerwartete, überraschende Gefilde. Ab 2015 erschienen derweil sogar mehrere Comic-Crossover mit Batman und den Turtles, inszeniert von hauptsächlich James Tynion IV und Freddie Williams II, woraus 2019 ein Animationsfilm entstand. Seit 1988 haben die Turtles Comic-Crossover mit „Usagi Yojimbo“, „Ghostbusters“ und „Power Rangers“ absolviert.

Zu Beginn der 2020er initiierten Eastman und Laird, die erstmals wieder als alte Freunde zusammenarbeiteten, mit einigen anderen Mitstreitern einen weiteren Comic-Meilenstein für die Turtles: Die erste Panel-Miniserie mit dem Titel „Teenage Mutant Ninja Turtles: The Last Ronin“ wurde zum viel gelobten Verkaufsschlager. Witzigerweise orientierten sich die Macher um die Turtles-Väter einmal mehr an Frank Miller und fusionierten die eigenständige Turtles-Legende mit dem Spirit von Millers düsterer Zukunftsvisionen „Batman: Die Rückkehr des Dunklen Ritters“ und „Ronin“. In der dystopischen Zukunft von „The Last Ronin“ gibt es nur noch einen Turtle, der mit wenigen anderen gegen die finstere Ordnung im Morgen vorgeht.

Schildkröten-Zukunft

2022 und 2023 versuchten zwei Animationsfilme, an frühere Erfolge von Meister Splinters Schülern abseits der Comics anzuknüpfen: In „Rise of the Teenage Mutant Ninja Turtles: The Film“ von Andy Suriano und Ant Ward schickte man Casey Jones aus einer vollständig verlorenen Zukunft auf Zeitreise in die Gegenwart – und in „Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ legten Jeff Rowe, Seth Rogen und andere einen im „Spider-Verse“-Fahrwasser wunderbar animierten und vertonten Film vor, der Freundschaft, Vielfalt und Familie zelebrierte, beim Drehbuch allerdings wieder nicht ganz überzeugen konnte. 2022 wurde unterdessen ein sehr gut erhaltenes Exemplar des allerersten TMNT-Comics von 1984 für 250.000 Dollar versteigert.

In den 2011 neu gestarteten Comics erreichte man pünktlich zum 40-jährigen Geburtstag von Leonardo, Raphael, Donatello und Michelangelo diesen April die US-Ausgabe 150 und beendet die in jeder Hinsicht weit gekommene Serie mit dieser Jubelnummer. Anschließend wird Top-Autor Jason Aaron übernehmen, der für Marvel „Avengers“, „Thor“, „Star Wars“ und „Conan der Barbar“ geschrieben hat. Zum Auftakt seiner neuen Turtles-Comic-Saga steuern Rafael Albuquerque („American Vampire“), Joëlle Jones („Catwoman“), Cliff Chiang („Wonder Woman“) und Chris Burnham („Batman Inc.“) das Artwork bei. Die Helden in Halbschale bekommen zum Jubiläum also die volle Ladung Comic-Starpower.

Wir dürfen optimistisch in die Zukunft blicken und davon ausgehen, dass die Turtles als Vorzeige-Franchise der 80er weiterhin zeigen, dass man zeitlose Comic-Essenz, nimmermüde multimediale Nostalgie und gesellschaftskritischen Zeitgeist sehr wohl fortwährend zusammen bringen kann. Dass die Mutation immer weiter geht, immer weiter führt. Happy Birthday, Turtles, und natürlich: Cowabunga!

Christian Endres

Christian Endres, Jahrgang 1986, ist seit seiner Kindheit ein Fan der mutierten Ninja-Schildkröten. In seinem neuen Science-Fiction-Roman „Wolfszone“ geht es um Wölfe im Brandenburg der nahen Zukunft, die durch Nanobots in Cyborgs mutieren.

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