Mehr Phantastik

Meine abenteuerlich-queere Reise durch die Phantastik

Orko
© Mattel

„Fantasie haben heißt nicht, sich etwas auszudenken, es heißt, sich aus den Dingen etwas zu machen.“ – Thomas Mann

Sebastian Ella Gräff, 18.01.2023

Wie werden wir als Phantastik-Fans sozialisiert? Was prägt uns in der Kindheit so, dass wir ein Leben lang der Science Fiction und Fantasy verfallen bleiben. Hier ein persönlicher Erfahrungsbericht von Sebastian Ella Gräff aus queerer Perspekive.

„Bei der Macht von Grayskull!“

Ich erinnere mich, es war 1982, als über Nacht die Actionfiguren von Masters of the Universe der heißeste Scheiß auf dem Spielzeugmarkt wurden. Es dauerte nicht lange, bis mein Bruder, ich und die anderen Kinder aus unserer Grundschulklasse verrückt nach diesen Figuren waren, die unsere Eltern „Puppen“ nannten. Wir kannten die Welt der Masters of the Universe, in der Magie und Technik eine sonderbare Verbindung eingingen, vor allem aus den Europa-Hörspielen. In dieser Welt gab es auch Orko, den kleinen Hofzauberer des Königs von Eternia. Orko ist der erste nicht-binäre Charakter der Popkultur! Im Europa-Hörspiel „Das Dämonenpferd“ aus dem Jahre 1986 erzählt Orko Teela, dass er weder Mann noch Frau sei. Teela insistiert, er müsse sich doch entscheiden, doch Orko lässt sich nicht beirren und besteht auf Nonbinarität. Orko wundert sich dagegen, warum Teela dies überhaupt so genau wissen wolle. Von Mutter und Vater als amerikanisches Kriegsspielzeug abgelehnt, war unser Glaube an die Macht von Castle Grayskull die vielleicht erste Auflehnung gegen das elterliche Weltbild. Mit dem Taschengeld finanzierte ich mir einen He-Man, mein Bruder sparte auf Skeletor.

„Tu was du willst“ und die unendliche Geschichte

1984 schaute ich den ersten Kinofilm meines Lebens. Es war die „Die Unendliche Geschichte“. Mein Bruder und ich hatten große Angst vor dem Werwolf Gmork, weshalb unsere Mutter im Kino mit dabei war. Der Film beamte mich in eine Welt, die ich bis zum heutigen Tag nicht wieder verlassen konnte: in die Welt der Phantastik

Tage später schwatze ich meiner Oma einen Anhänger aus ihrer Schmuckschatulle ab, der mich an das Auryn, das Zeichen der Kindlichen Kaiserin, erinnerte. Meine Fantasie überschlug sich, ich konnte die Grenzen zwischen der sogenannten Realität und Phantásien nicht mehr klar ziehen. Ich trug mein Auryn stets bei mir, in der Hoffnung, es könne mir wie im Film magische Kräfte verleihen. Die „Tu was du willst“-Gravur auf der Rückseite des Auryns versprach unendliche Freiheit und Fantasie.

Als ich wenig später den Roman las, nach dem der Film produziert wurde, war ich enttäuscht. Die Lektüre des Buches vermochte mich nicht nach Phantásien zu transportieren, wie es Bastian Balthasar Bux gelungen war. Nur meine eigene Fantasie, nicht die Michael Endes, war es letztlich, die mein Eintauchen in diese Parallelwelt ermöglichte.

Narnia – Realitätsflucht im Schrank

Meine Reise durch die Phantastik hatte gerade erst begonnen. Sie sollte abenteuerlich werden. Doch Fantasy-Rollenspiele, die erst später die ersehnte Flucht aus dem tristen Alltag garantieren sollten, standen mir noch nicht zur Verfügung. Ich versuchte es also noch einmal mit dem Lesen. Und so verschlang ich die Narnia-Romane von C. S. Lewis und träumte mich in jenes legendäre Land, in dem Tiere sprechen konnten. Kleiderschränke inspizierte ich damals besonders genau, immer darauf gefasst, dass sich die Mäntel, Jacken und Hemden darin in Nadelbäume einer winterlichen Landschaft verwandeln und mir den Weg nach Narnia weisen könnten. Diesmal klappte es. Ich wurde förmlich eingesaugt in die fantastischen Welten. Es folgten der Jugendroman „Der Hobbit“, der Kinofilm „Momo“ und Fernsehserien wie „Die Brüder Löwenherz“; schließlich „Die dreibeinigen Herrscher“. All diesen Geschichten war gemein, dass sie mich von einer anderen, einer spannenderen Welt träumen ließen.

Star Wars und der heilige Gral

Irgendwann erreichten meinen Bruder und mich Gerüchte über ein Phänomen, dass alles Bisherige in den Schatten stellen sollte: Star Wars. Auch Star Wars begann für uns mit heroischen Actionfiguren, die detailreicher und kleiner waren als die Masters-Puppen. Es gab coole Aliens, niederträchtige Sturmtruppen und abgeklärte Kultist*innen einer geheimnisumwitterten Religion, die mit leuchtenden Schwertern kämpften. Flohmärkte waren unsere Fundgruben für das bereits in die Jahre gekommene Star Wars-Spielzeug. Das Mysteriöse daran war, dass es Star Wars schon lange gab. Doch in der rheinland-pfälzischen Provinz bekamen wir mal wieder nichts mit.

Beim Durchstöbern der alten Bravo-Hefte meines acht Jahre älteren Cousins stieß ich auf die Spuren, die Star Wars in der Popkultur der 80er-Jahre hinterlassen hatte. Eifrig schnitt ich Artikel und Bilder aus und klebte jedes Fitzelchen mit Star Wars-Bezug an die Wände meines Zimmers. Und dann kam der 15. März 1990 – der Tag der Erstausstrahlung des ersten Star Wars-Films der Trilogie auf Sat1. Mein Bruder und ich waren wie elektrisiert. Doch wie konnten wir das sehen? Bei uns zu Hause gab es bloß drei Sender, der Empfang der neuen Privatsender war zu schlecht. Es kamen also nur die Großeltern aus der Stadt in Frage. Die empfingen Sat1. Wir instruierten unseren Opa akribisch, die drei Star-Wars-Filme auf VHS-Kassette aufzunehmen. Es war für uns der Independence-Day unseres jungen Lebens, als wir die Star-Wars-Trilogie zum ersten Mal hintereinanderweg anschauten. Trotz übler Qualität der Aufnahme war das Erlebnis für uns der heilige Gral. Und wir hatten ihn gefunden!

Das Schwarze Auge – Verschollen in Aventurien

In meiner frühen Jugendzeit fand ich bald eine reale Möglichkeit, in verschiedene Fantasiewelten abzutauchen. Mein Bruder brachte das Spiel nach einer Projektwoche in der Realschule mit. Er nannte es „Rollenspiel“ (der Begriff „Pen and Paper“ begegnete mir erst zwei Jahrzehnte später). Das Rollenspiel trug den Namen „Das Schwarze Auge“ und war ein Tor zur klassischen High Fantasy, der ich Jahre zuvor in J. R. R. Tolkiens Büchern schon begegnet war. Man traf sich in Spielgruppen und gestaltete zusammen mit einem*r Spielleiter*in eine legendäre Fantasy-Geschichte rund um gefährliche Monster, epische Schlachten und abenteuerliche Quests. Der Vorteil, den ich hatte, war, dass ich nicht an eine Spielgruppe gebunden war, die sich zumeist nur wochenends treffen konnte. Ich hatte einen gleichaltrigen Bruder. Wir waren schon zwei Abenteurer. In jeder freien Minute spielten wir DSA. Es war eine lange und intensive Zeit, in der ich meinem Bruder sehr nahekam. Die Realität verblasste immer mehr und wichtig schienen nur noch unsere Abenteuer in Aventurien. Diese besondere Etappe unserer Biografie endete mit dem Abitur im Jahr 1996. Die Wege zweier erfahrener Helden trennten sich.

Warhammer und Heavy Metal

Seit 30 Jahren spiele ich ohne Pause Rollenspiele. Nach dem Einstiegsrollenspiel DSA kamen „Midgard“, „Vampire“, „Star Wars“, „Dungeons & Dragons“, „Cyberpunk“, „Degenesis“, „Torg2, „Cthulhu“ und viele andere hinzu. Was mich eine Zeit lang besonders fesselte, war „Warhammer“. Das Tabletop-Strategiespiel vereinte Fantasyelemente mit der taktischen Simulation epischer Schlachten. Jede*r Spieler*in übernahm eine Partei. Ich entschied mich für die Orks und Goblins. Die grünen Loser waren mir sympathisch, schon damals bevorzugte ich eher die Underdogs als die heroischen Ritter. Die sündhaft teuren Figuren mussten zusammengeklebt und bemalt werden. Wir fertigten Geländestücke an und hielten Turniere ab. Eine alte Tischtennisplatte wurde als Schlachtfeld umfunktioniert und diente uns als überdimensioniertes Spielbrett.

An einem langen Wochenende trafen wir uns – mein Bruder, ein paar Freunde und ich – und spielten volle drei Tage am Stück. Dieses legendäre Gemetzel sollte uns noch Jahre später beschäftigen. Wir kreierten unsere eigenen Mythen und Legenden. Noch heute erzählen wir sie uns gegenseitig auf Partys und in der Kneipe. Als Soundtrack dieser Mythen diente uns Heavy Metal mit seinen fantastischen, okkulten und utopischen Songtexten und kitschigen Platten-Covern. Bands wie Iron Maiden, Blind Guardian oder Judas Priest hinterließen eine tiefe Kerbe in meinem musikalischen Bewusstsein. Ich kann bis heute einige der Songs noch textsicher mitgrölen. Nach Heavy Metal hörte ich Black Metal, der mittlerweile in Mode gekommen war. Und so war es die Musik, mit der ich eine neue Verbindung knüpfen konnte: zu den dunklen Sphären der Phantastik. Ich war angekommen beim Meister des Horrors H.P. Lovecraft.

Lovecraft und die relevante Eskapade

H.P. Lovecraft soll einst eine verdorbene Meeresfrüchteplatte gegessen haben, woraufhin er eine fundamentale Übelkeit nie wieder loswurde. Ein nervöser Magen könnte also der Initialfunke seiner fangarmgesichtigen Monster mit wabbelnden Tentakeln und voller Fischschleim gewesen sein, die zugleich Symbole des absoluten Fremden in der Popkultur wurden. Für Lovecraft waren aber auch die Gesichter nicht-weißer Menschen voller „Sünde“ und nährten dessen Grauen. Zahlreiche Briefe und einige seiner Geschichten belegen den Antisemitismus und Rassismus seines Denkens. Sein einsiedlerisches Leben und die vollkommene Abwesenheit von Frauen in seinen Geschichten sprechen dazu eine deutliche Sprache.

Lovecrafts „Cthulhu Mythos“ sprach mich dennoch in einer bestimmten Phase meines Lebens an. Seine eiskalt-rationale, nihilistische Art, über kosmisches Grauen und die Angst vor dem Unbekannten zu erzählen, faszinierte mich. Sie berührte die reale Welt und die Psychen vieler Menschen, die mir begegneten. Damals nannte ich diese Berührung zwischen Fiktion und Seelenleben eine „relevante Eskapade“. Lovecrafts Werk hatte eine eskapistische Form, die typisch für alle Phantastik ist, bekam aber angesichts einer psychischen Erkrankung auch Relevanz in meinem Leben. Später sollte mir dieses Phänomen in der Science Fiction noch häufiger begegnen. Ich lernte, dass die Phantastik nicht zwingend nur für Weltflucht herhalten konnte, sondern auch psychosoziale Deutungen zuließ.

Dekonstruktion des Cthulhu-Mythos

Nachdem ich H.P. Lovecrafts sämtliche Werke gelesen hatte, begann ich als Spielleiter*in des Cthulhu-Rollenspiels die Welten von Lovecraft um meine eigenen Geschichten zu erweitern – sie sind das gerade Gegenteil von Lovecrafts Ideen. Dieser hasste alles Fremde, Schwammige, Ungenaue, ja Queere, daher sind seine Monster schleimig, nur halb-real, hündisch wie zum Beispiel die Ghule – und vor allem tentakulär. Das absolute Fremde ist für Lovecraft z.B. auch der nicht-männliche Mensch, die Frau, oder die Vielgestaltigkeit, die Unruhe, die Sexualität und nichts Geringeres als die Welt in all ihrer Vielfalt. Für ihn war die Welt der echte Horror!

Lovecrafts grauenhafte Symbole deute ich unlängst um, denn an queeren Menschen, Freude am Sex und einer vielfältigen Welt ist nichts Grauenhaftes, im Gegenteil. Ich verbanne Lovecrafts Xenophobie aus meinen Rollenspielen, indem ich die ihm so verhassten Eigenschaften positiv deute und auf diese Weise dekonstruiere. Meine Spieler*innen erleben die Großen Alten zwar auch als absolut fremd, aber nicht immer feindlich. Sie werden selbst Mitglied in einem Kult der Großen Alten oder beherbergen in ihrem Keller einen freundlichen Ghul. Meine Lovecraft-Welt ist divers und queer.

Die Idee, eine Rollenspielwelt zu durchqueeren, ist eine Entwicklung der letzten Jahre, der ich positiv entgegenblicke. Englischsprachige Spiele dieser Art finden langsam auch in Deutschland ihr Publikum. „Charmante Schwertlesben“ im Uhrwerk Verlag oder „Monsterhearts“ von System Matters sind Beispiele für queere Rollenspiele.

Buffy und die Zombiefilme

Mit Lovecraft hatte der Horror Einzug gehalten in mein Leben. Eine Serie, an die ich mich besonders gut erinnern kann, ist „Buffy – Im Bann der Dämonen“. Sie war nicht nur wegweisend für die Produktion von TV-Serien im Allgemeinen, der Coming-of-Age-Plot hinterfragte erstmals auch Geschlechterrollen und präsentierte queere Charaktere. Die Horror-Elemente waren als Allegorien und Metaphern für Probleme der adoleszenten Figuren der Serie zu verstehen. Zeitgleich las ich entsprechende Magazine und wurde Teil der „Horror Culture“. Vor allem Zombies, die schlurfenden Kapitalismuskritiker*innen, hatten es mir angetan. Ich sammelte jeden Zombiefilm, den es gab, und sahnte echte Klassiker auf Filmmessen ab. Meine Filmsammlung wuchs und wuchs, bald besaß ich hunderte von Zombiefilmen. Ein Highlight dieser Zeit war meine Mitwirkung bei einem Zombiefilm. Der Offene Kanal Mainz drehte einen Werbefilm für den Sender, in dem Zombies vorkamen. Ich durfte die Kamera übernehmen und bekam so einen Einblick in Kameraführung und Perspektive. Noch heute – meine Filmsammlung von damals ist längst verkauft – habe ich ein Faible für Horrorfilme, nun vor allem für Serienmörder-, Dämonen- und Folk-Horrorfilme.

Perry Rhodan und queere „Wayfarer“

Was wäre die Phantastik ohne die Science-Fiction? Auch sie begleitet mich seit geraumer Zeit in Filmen, Serien, Romanen, Kurzgeschichten und Comics. Sie wurde für etliche Jahre mein nächster großer Interessenschwerpunkt. Seitdem ich mit Star Wars sozialisiert wurde, bekam ich die Geschichten über Raumschiffe, Aliens und Weltraumabenteuer nicht mehr aus dem Kopf. Die Neuauflage der Serie „Battlestar Galactica“, die Alien-Filme, die Per-Anhalter-durch-die-Galaxis-Romane, das Warhammer-40.000-Universum und vor allem die langlebigste und umfangreichste Science-Fiction-Serie der Welt, „Perry Rhodan“, begeisterten mich mit ihren je unterschiedlichen Zukunftsentwürfen. Mal waren diese Welten dystopisch und der kosmische Horror Lovecrafts blitzte wieder auf, ein anderes Mal schaute ich in eine positive Zukunft. Besonders von Interesse dabei waren für mich die gesellschaftlichen Utopien. Die Idee von freien, emanzipierten Menschen wurde für mich mehr als nur eine literarische Utopie – sie war Grundlage meines queerpolitischen Aktivismus geworden.

Die Romanserie „Perry Rhodan Neo“ begleitete mich über Jahre. Sie ist eine zeitgemäße Neuauflage der bekannten Geschichte. Für die Neo-Serie schrieben vermehrt Autorinnen, es kamen homosexuelle Protagonist*innen vor und die Handlung war nicht mehr allein militaristisch ausgerichtet wie zu Beginn der Ursprungsserie. Ich lernte das Perry-Rhodan-Fandom kennen, eine familiäre Gemeinschaft Science-Fiction-verrückter Leute, in der sich Autor*innen und Leser*innen ohne große Hürden austauschen. Ich bin Gründungsmitglied des „Terraner*innen Trivid Treffs“, dem ersten Perry-Rhodan-Online-Stammtisch für FLINTA* (die Abkürzung steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen) innerhalb des Fandoms. Angesichts zahlloser Stammtische mit krassem Männerüberschuss, war dies ein wichtiger Schritt für ein progressives Perry-Rhodan-Fandom.

Ich las auch einige Klassiker des Sci-Fi-Genres wie Stanislaw Lem, Michael Moorcock und Octavia E. Butler. Und entdeckte zeitgenössische Perlen wie die queere „Wayfarer“-Buchreihe von Becky Chambers. Die Vorliebe für Science Fiction, vor allem aber die actionreichen Space Operas, brachten mich schließlich zu den grafischen Umsetzungen jener Zukunftsgeschichten. Ich war beim Comic angekommen.

Die Wayfarer-Reihe

Die neunte Kunst – Comics, Manga, Graphic Novels

Der Comic ist im Allgemeinen für die Science-Fiction von großer Bedeutung. Jean Giraud aka Moebius prägte schon in den 70er- und 80er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts ästhetisch die Science-Fiction wie kein*e Zweite*r. Viele bekannte Science-Fiction-Filme wurden von seinen Geschichten und seiner Ästhetik inspiriert. „Der Incal“, Moebius' kongeniale Zusammenarbeit mit Alejandro Jodorowsky, war genrebildend. Ohne Moebius' Werk würden „Dune“, „Blade Runner“, „Alien“, Star Wars, „Tron“, „Akira“, „Das Fünfte Element“ und „Ghost in the Shell“ anders aussehen. Ich las diese und andere Comic-Klassiker mit großem Interesse, bevorzugte aber bald zeitgenössische Comicbücher, da diese weniger sexistisch als die Klassiker sind und oftmals auch queer. Das waren zum Beispiel Steven Applebys Superheldenpersiflage „Dragman“ oder die Graphic Novels „Wasserschlangen“ von Tony Sandoval und „Auf einem Sonnenstrahl“ von Tillie Walden. Zudem wurde kürzlich eine Serienverfilmung auf Netflix angekündet, die die Geschichte der gestaltwandelnden Nimona erzählen wird, und die auf einem Comic von ND Stevenson basiert. Der*die nicht-binäre Stevenson ist auch Drehbuchautor*in und Produzent*in, u. a. von der queeren Netflix-Zeichentrickserie über die He-Man-Schwester She-Ra.

Vom Comic war der Schritt zum Manga nicht weit. Wieder interessierte ich mich für queere Stoffe, z.B. für Gengoroh Tagame oder Kabi Nagata, und Geschichten über die Veränderung des eigenen Körpers. In Yukito Kishiros posthumanistischen Manga „Battle Angel Alita“ sind die Menschen zu Cyborgs geworden, in Tsutomu Niheis Werken zu gigeresken Bio-Mechanics. Die Bilderwelten der Horror-Klassiker von Junji Itō zeigten transformativen Body-Horror in ikonischer Weise und in Q Hayashidas „Dorohedoro“ wurden Körper mittels Magie verwandelt, so auch Männer in Frauen. Ob nun der menschliche Körper durch das Tragen von geschlechtsspezifischer Kleidung wie bei „Dragman“, die Fähigkeit des Gestaltwandelns wie bei „Nimona“, durch Mutationen oder Viren wie in Niheis Mangas, durch Technologie wie in „Battle Angel Alita“ oder durch Magie wie in „Dororhedoro“ verändert wurde, die Transformation des menschlichen Körpers und seiner Performance faszinierte mich ungemein. Der Wunschtraum, ihn verändern zu können, bleibt bis heute.

Back to Eternia – Der Kreis schließt sich

In der Corona-Zeit, gelangweilt vom Lockdown, entwickelte ich eine neue Leidenschaft. Ich begann das Sammeln von Figuren. Nicht nur vergrößerte ich beständig meine Comic-Sammlung, ich entdeckte auch die „Ikonografie der Popkultur“. Götzen- und Heiligenbilder bekommen in Zeiten von Internet, Streaming-Diensten und der immer schneller werdenden TikTok-Videos eine besondere Bedeutung für die Menschen. Wie wichtig diese analogen Ikonen für die Fans sind, zeigte sich u.a. in den heftigen Diskussionen über die neue Herr-der-Ringe-Serie „Die Ringe der Macht“. Tolkiens Figuren aus seinen Büchern wurden darin mit fast religiösem Eifer gegen jede Neuinterpretation verteidigt. Was meine Figurensammlung betrifft, folge ich einer alten Vorliebe. Ich sammele die Underdogs, die Antiheld*innen und „Randfiguren“. Die Aliens aus Star Wars oder Perry Rhodan gefielen mir immer schon besser als die menschlichen Protagonist*innen.

Meine abenteuerliche Reise hatte mit den Masters-Figuren begonnen. Ein großer Teil meiner heutigen Sammlung besteht aus den außergewöhnlichen Actionfiguren von Masters of the Universe, gerade weil sie so ulkig und seltsam sind. Ich verbinde mit ihnen nicht nur Nostalgie, sondern feiere auch die zeitgemäße Neuinterpretation der Netflix-Zeichentrickserie „Revelation“. Die Masters of the Universe sind dieser Tage also wieder in aller Munde, noch dazu feierte He-Man, die Gay-Ikone im Fellhöschen, letztes Jahr seinen 40. Geburtstag. So schließt sich ein Kreis. Doch meine Abenteuerreise ist noch längst nicht beendet. Sie geht weiter mit immer mehr Verästelungen und tentakulären Verbindungen innerhalb meiner Suche nach neuen fantastischen Welten.

Sebastian Ella Gräff

Sebastian Ella Gräff, geboren 1976, kam früh mit der Phantastik in Berührung. Sie wurde zur Leidenschaft und begleitete ihn*sie bis heute. Pen-and-Paper-Rollenspiele macht er*sie seit 30 Jahren. Während des Corona-Lockdowns rief er*sie „Ellas Welt“, ein queerer Fan-Space auf Discord, ins Leben, in dem er*sie Film- und Serienrezensionen veröffentlicht, Comics und Manga vorstellt sowie Online-Rollenspiele anbietet. Eine weitere Leidenschaft des*der nichtbinären Phantastik-Fan*in ist der queerpolitische Aktivismus in seiner*ihrer Heimatstadt Bad Kreuznach.

Ellas Welt auf Discord: https://dsc.gg/ellaswelt/

Ellas Welt auf Instagram: http://www.instagram.com/ellas__welt