Lena Richter, 25.07.2024
Die Zahl kleiner und unabhängiger Verlage in Deutschland sinkt seit Jahren. Welche Gründe gibt es dafür, womit kämpfen Verleger*innen gerade besonders und wie können unabhängige Verlage unterstützt werden? Lena Richter hat mit fünf Indie-Phantastik-Verlagen darüber gesprochen.
In der vorletzten Juni-Woche ging eine drohende Hiobsbotschaft durch die Buchbubble: Der Hirnkost Verlag, der bereits Ende 2023 von einer Insolvenz bedroht war, musste erneut verkünden, dass im schlimmsten Fall bereits Ende des Monats das endgültige Aus droht. Der Berliner Verlag besteht seit 2003 und veröffentlicht neben Science-Fiction auch Literatur zur Sub- und Jugendkulturen und Migration. Unter anderem verlegt Hirnkost das Science Fiction Jahr und ist der Verlag hinter dem auch dieses Jahr wieder stattfindenden Wettbewerb Klimazukünfte 2050. Glücklicherweise konnte die Insolvenz durch Buchkäufe und Spenden noch einmal abgewendet werden. Aber die Lage von kleinen und unabhängigen Verlagen, auch und gerade im Phantastik-Bereich, ist in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Von vielen Hintergründen dieser Probleme ahnen Leser*innen gar nichts (Hand hoch, wer weiß, was eigentlich ein Barsortimenter ist) – höchste Zeit also, sie in diesem Artikel zu erklären und auch zu zeigen, welche Lösungsansätze Verlage verfolgen, vorschlagen und fordern. Dazu habe ich nicht nur dem Hirnkost Verlag, der diesen Artikel gewissermaßen ausgelöst hat, ein paar Fragen gestellt, sondern auch noch vier anderen Kleinverlagen, die (ganz oder teilweise) Phantastik veröffentlichen.
Warum Kleinverlage so wichtig sind
Aber fangen wir erst einmal damit an, wieso es eigentlich so wichtig ist, dass kleine und unabhängige Verlage existieren - und wie sich ein Kleinverlag eigentlich definiert. Letzteres ist nicht so ganz eindeutig. Manche setzen die Grenze bei 1 Million Umsatz pro Jahr an, andere eher per Ausschlussverfahren: Klein oder unabhängig ist alles, was nicht von einem Verlagskonzern abhängig ist oder zu diesem gehört. Verlagskonzerne oder Verlagsgruppen sind, vereinfacht gesagt, Zusammenschlüsse mehrerer Verlage unter gemeinsamer Leitung. Damit geht meist einher, dass diese Verlage vor allem gewinnorientiert arbeiten und Umsatzmaximierung eins der wichtigsten Ziele ist. Alle Verlage, die nicht Konzernverlage sind, können in Abgrenzung dazu als klein oder unabhängig angesehen werden.
Das Spektrum dieser Verlage ist dabei aber sehr breit und reicht vom Ein-Personen-Mini-Verlag, der wenige Bücher im Jahr herausbringt, zu mittelgroßen Unternehmen mit eigenen Büro- und Lagerräumen und mehreren Angestellten. Und natürlich machen auch große Verlage manche Bücher, weil ihnen die Inhalte am Herzen liegen, genauso wie kleinere Verlage auch marktwirtschaftlich arbeiten (müssen) und deshalb vielleicht manches Projekt auch nicht umsetzen, weil das Interesse des Publikums zu wenig vorhanden ist. Dennoch ist klar und auch z. B. in einer Studie der Bundesregierung aus 2021 erwiesen: Die kleinen und unabhängigen Verlage sind elementar wichtig für die Vielfalt, Diversität und neuen Impulse im Literaturbereich.
In der Phantastik sieht man dies beispielsweise im Bereich der Kurzgeschichten-Anthologien, also Sammelbänden mit Kurzgeschichten von verschiedenen Autor*innen, oft zu einem übergreifenden Thema. Phantastik-Anthologien verkaufen sich insgesamt sehr viel schlechter als Romane, sind allerdings für viele Nachwuchs-Autor*innen ein wichtiges Sprungbrett, mit dem sie erste Erfahrungen sammeln und bei der Suche nach einem Verlag für längere Manuskripte schon Veröffentlichungen nachweisen können. Diese Nachwuchsförderung findet im Phantastik-Bereich inzwischen beinahe ausschließlich durch kleine und unabhängige Verlage statt. So schrieb es auch Sandra Thoms in ihrem letztes Jahr viel geteilten Beitrag im Börsenblatt: „Woher kommen denn die Themen-Innovationen in der Branche? Wer entdeckt denn neue Autor*innen und nimmt sie oft jahrelang an der Hand, um mit ihnen Texte zu entwickeln?”
Denn auch progressive und intersektional gedachte Projekte werden vor allem von Kleinverlagen angepackt. So drückt Verlegerin Melanie Schneider vom 2022 gegründeten Weltenruder-Verlag ihren Anspruch an die Verlagsprojekte aus: „Das Besondere bei der Auswahl der Texte ist, dass ich auf Diversität, also auch auf Intersektionalität achte, und darauf, Menschen, die mit ihren Texten in den meisten Verlagen keine Chance haben, einen Platz und eine Plattform zu bieten.” Ähnlich sieht es auch Ingrid Pointecker vom Wiener Verlag ohneohren: „Die Vielfalt der schreibenden Stimmen hat sich verändert (und der Szene, die bereit ist, ihnen einen Platz zu geben). Das ist aber noch ausbaufähig, und dies scheint die Aufgabe der kleinen Verlage zu werden/sein.” Viele Themen, die bei Konzernverlagen aufgegriffen (und inzwischen teilweise wieder fallengelassen) wurden, haben ihren Anfang in kleinen und kleinsten Verlagen genommen.
So kommt es dann zum Ergebnis der oben verlinkten Studie: Die verlegerische Vielfalt in Deutschland ist bedroht, und das liegt vor allem an der immer geringer werdenden Anzahl der kleinen und unabhängigen Verlage.