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Phantastische Kleinverlage – Vom Aussterben bedroht?

Die schwarze Silloutte einer Person von hinten, die vor einem großen Fenster steht, rechts einige Mamorsäulen, daneben hohe Bücherregale. In der Luft fliegen lose Seiten.
© ohne ohren Verlag

Lena Richter, 25.07.2024

Die Zahl kleiner und unabhängiger Verlage in Deutschland sinkt seit Jahren. Welche Gründe gibt es dafür, womit kämpfen Verleger*innen gerade besonders und wie können unabhängige Verlage unterstützt werden? Lena Richter hat mit fünf Indie-Phantastik-Verlagen darüber gesprochen.

In der vorletzten Juni-Woche ging eine drohende Hiobsbotschaft durch die Buchbubble: Der Hirnkost Verlag, der bereits Ende 2023 von einer Insolvenz bedroht war, musste erneut verkünden, dass im schlimmsten Fall bereits Ende des Monats das endgültige Aus droht. Der Berliner Verlag besteht seit 2003 und veröffentlicht neben Science-Fiction auch Literatur zur Sub- und Jugendkulturen und Migration. Unter anderem verlegt Hirnkost das Science Fiction Jahr und ist der Verlag hinter dem auch dieses Jahr wieder stattfindenden Wettbewerb Klimazukünfte 2050. Glücklicherweise konnte die Insolvenz durch Buchkäufe und Spenden noch einmal abgewendet werden. Aber die Lage von kleinen und unabhängigen Verlagen, auch und gerade im Phantastik-Bereich, ist in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Von vielen Hintergründen dieser Probleme ahnen Leser*innen gar nichts (Hand hoch, wer weiß, was eigentlich ein Barsortimenter ist) – höchste Zeit also, sie in diesem Artikel zu erklären und auch zu zeigen, welche Lösungsansätze Verlage verfolgen, vorschlagen und fordern. Dazu habe ich nicht nur dem Hirnkost Verlag, der diesen Artikel gewissermaßen ausgelöst hat, ein paar Fragen gestellt, sondern auch noch vier anderen Kleinverlagen, die (ganz oder teilweise) Phantastik veröffentlichen.

Warum Kleinverlage so wichtig sind

Aber fangen wir erst einmal damit an, wieso es eigentlich so wichtig ist, dass kleine und unabhängige Verlage existieren - und wie sich ein Kleinverlag eigentlich definiert. Letzteres ist nicht so ganz eindeutig. Manche setzen die Grenze bei 1 Million Umsatz pro Jahr an, andere eher per Ausschlussverfahren: Klein oder unabhängig ist alles, was nicht von einem Verlagskonzern abhängig ist oder zu diesem gehört. Verlagskonzerne oder Verlagsgruppen sind, vereinfacht gesagt, Zusammenschlüsse mehrerer Verlage unter gemeinsamer Leitung. Damit geht meist einher, dass diese Verlage vor allem gewinnorientiert arbeiten und Umsatzmaximierung eins der wichtigsten Ziele ist. Alle Verlage, die nicht Konzernverlage sind, können in Abgrenzung dazu als klein oder unabhängig angesehen werden.

Das Spektrum dieser Verlage ist dabei aber sehr breit und reicht vom Ein-Personen-Mini-Verlag, der wenige Bücher im Jahr herausbringt, zu mittelgroßen Unternehmen mit eigenen Büro- und Lagerräumen und mehreren Angestellten. Und natürlich machen auch große Verlage manche Bücher, weil ihnen die Inhalte am Herzen liegen, genauso wie kleinere Verlage auch marktwirtschaftlich arbeiten (müssen) und deshalb vielleicht manches Projekt auch nicht umsetzen, weil das Interesse des Publikums zu wenig vorhanden ist. Dennoch ist klar und auch z. B. in einer Studie der Bundesregierung aus 2021 erwiesen: Die kleinen und unabhängigen Verlage sind elementar wichtig für die Vielfalt, Diversität und neuen Impulse im Literaturbereich.

In der Phantastik sieht man dies beispielsweise im Bereich der Kurzgeschichten-Anthologien, also Sammelbänden mit Kurzgeschichten von verschiedenen Autor*innen, oft zu einem übergreifenden Thema. Phantastik-Anthologien verkaufen sich insgesamt sehr viel schlechter als Romane, sind allerdings für viele Nachwuchs-Autor*innen ein wichtiges Sprungbrett, mit dem sie erste Erfahrungen sammeln und bei der Suche nach einem Verlag für längere Manuskripte schon Veröffentlichungen nachweisen können. Diese Nachwuchsförderung findet im Phantastik-Bereich inzwischen beinahe ausschließlich durch kleine und unabhängige Verlage statt. So schrieb es auch Sandra Thoms in ihrem letztes Jahr viel geteilten Beitrag im Börsenblatt: „Woher kommen denn die Themen-Innovationen in der Branche? Wer entdeckt denn neue Autor*innen und nimmt sie oft jahrelang an der Hand, um mit ihnen Texte zu entwickeln?”

Denn auch progressive und intersektional gedachte Projekte werden vor allem von Kleinverlagen angepackt. So drückt Verlegerin Melanie Schneider vom 2022 gegründeten Weltenruder-Verlag ihren Anspruch an die Verlagsprojekte aus: „Das Besondere bei der Auswahl der Texte ist, dass ich auf Diversität, also auch auf Intersektionalität achte, und darauf, Menschen, die mit ihren Texten in den meisten Verlagen keine Chance haben, einen Platz und eine Plattform zu bieten.” Ähnlich sieht es auch Ingrid Pointecker vom Wiener Verlag ohneohren: „Die Vielfalt der schreibenden Stimmen hat sich verändert (und der Szene, die bereit ist, ihnen einen Platz zu geben). Das ist aber noch ausbaufähig, und dies scheint die Aufgabe der kleinen Verlage zu werden/sein.” Viele Themen, die bei Konzernverlagen aufgegriffen (und inzwischen teilweise wieder fallengelassen) wurden, haben ihren Anfang in kleinen und kleinsten Verlagen genommen.

So kommt es dann zum Ergebnis der oben verlinkten Studie: Die verlegerische Vielfalt in Deutschland ist bedroht, und das liegt vor allem an der immer geringer werdenden Anzahl der kleinen und unabhängigen Verlage.

Ylva Verlag

Das Problem mit dem Großhandel

Um die Probleme vieler Kleinverlage zu verstehen, müssen wir kurz hinter die Kulissen des Buchhandels schauen. Reden wir erst mal über gedruckte Bücher: Die meisten Menschen kaufen diese entweder in der Buchhandlung, sei es bei einer großen Kette oder einem unabhängigen Buchladen, oder bestellen sie im Internet. Eine große Rolle spielt hierbei Amazon, ebenso wie andere große Buchhandlungs-Online-Shops wie Thalia oder Hugendubel. Hier kommen die oben schon erwähnten Barsortimenter ins Spiel: Das ist der Großhandel für Bücher, der dafür sorgt, dass ein in der Buchhandlung bestellte Buch meist schon am nächsten Tag abgeholt werden kann. Dazu ordern die Barsortimenter wie Libri oder Zeitfracht die Bücher bei den Verlagen vorab, liefern die gekauften Exemplare an die bestellenden Buchhandlungen aus und geben ggfs. überzählige Exemplare dann an den Verlag zurück. Dafür fallen Kosten an, ebenso für den Verkauf in der Buchhandlung selbst.

Dieser Vertriebsweg hat für Verlage auch ein paar Nachteile (beispielsweise ist oft über Monate nicht klar, wie viele der vom Großhandel georderten Exemplare tatsächlich verkauft werden und es dauert lange, bis der Verlag die tatsächlichen Verkaufszahlen erfährt; außerdem werden Bücher beim Rücktransport manchmal beschädigt), sorgte aber lange Zeit dafür, dass eigentlich jedes Buch, das eine ISBN besitzt, in jeder beliebigen Buchhandlung bestellt werden konnte.

Das hat sich in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. „Doch in den letzten Jahren haben die Barsortimente Hunderttausende von Titeln, die ihrer Meinung nach zu wenig Umsatz machten, ausgelistet – oft die gesamte Backlist kleinerer Verlage. Faktisch gibt es diese Titel nun nicht mehr im stationären Buchhandel, obwohl die Verlage oft noch Hunderte von Exemplaren davon vorrätig haben.” So erklärt es der Hirnkost Verlag in seinem Newsletter vom 02.07.2024.

Das Entfernen von Kleinverlagstiteln aus den Barsortimentern führt dann dazu, dass die Bücher den Buchhandlungen als „nicht mehr lieferbar” angezeigt werden, obwohl sie beim Verlag noch vorhanden sind und problemlos bestellt werden könnten, nur eben nicht mehr über den Großhandel. Es hängt dann also von Engagement und Wissen der Buchhändler*innen ab, ob diese z. B. den Verlag direkt kontaktieren oder nachschauen, ob das Buch im VLB (Verzeichnis Lieferbarer Bücher) vorhanden ist, und an den Kund*innen, ob diese das Buch sonst ggfs. direkt beim Verlag bestellen – oder doch lieber eins kaufen, das in der Buchhandlung sofort verfügbar ist. „Das Aussortieren von Kleinverlagen bei Barsortimentern kappt auf alle Fälle einen Großteil des Umsatzes des jeweiligen Verlages”, formuliert es Jürgen Eglseer vom Amrûn Verlag, und ergänzt: „Danach hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man hört auf oder man macht sehr viel (noch) kleiner weiter und hat etwas wie einen eigenen Shop – und treue Leser*innen, die den Verlag mit Käufen über Wasser halten.” Auch Astrid Ohletz vom Ylva Verlag kritisiert, dass Buchhandlungen oft die Verlagstitel trotz Verfügbarkeit nicht bestellen wollen. „Mich ärgert z. B., dass Buchhandlungen uns nicht unterstützen, sondern unsere Existenz leugnen, wenn Leser:innen über sie unsere Bücher bestellen möchten. Obwohl wir im VLB sind.”

(Un)sichtbarkeit, hohe Kosten und Zahlungsausfälle

Bei all diesen Ärgernissen über Bestellvorgänge sollte auch der Fakt nicht vergessen werden, der das Bestellen überhaupt nötig macht: Die kaum vorhandene Existenz von Kleinverlagstiteln in der regulären Auslage. Bei großen Buchhandelsketten wie Thalia oder Hugendubel finden sich Titel von kleinen Verlagen eigentlich nie in den Regalen und müssen genau deshalb fast immer bestellt werden, mit den oben genannten Hindernissen. Besser sieht es bei den kleinen und unabhängigen Buchläden aus, die – analog zu den kleinen Verlagen – ihre Auslage oft an bestimmten Themen ausrichten und dazu auch über den Großverlags-Tellerrand hinausschauen. Und ebenfalls analog zu den kleinen Verlagen werden sie von Barsortimentern auch schlechter behandelt und erhalten z. B. Lieferungen nicht mehr per eigenem Kurierdienst über Nacht, sondern mit normaler Brief- oder Paketpost, was die Wartezeiten erhöht und Kund*innen ggfs. dann doch wieder zu großen Ketten oder Amazon treibt.

Und je mehr unabhängige Buchläden aufgeben müssen, desto schlechter wird natürlich auch die ohnehin schon geringe Sichtbarkeit von Kleinverlagstiteln. Auf die Rolle der Buchhandlungen weist auch der Hirnkost Verlag im Newsletter vom 02.07.2024 hin: „Viele der derzeit 4.400 Buchhandlungen in Deutschland kämpfen ums Überleben. Seit 2020 haben laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels etwa 600 Buchhandlungen ihren Betrieb eingestellt. Das Buchhandlungssterben hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturelle Konsequenzen. Buchhandlungen sind wichtige kulturelle und soziale Treffpunkte, die weit über den reinen Verkauf von Büchern hinaus eine Rolle spielen.” Kleine Buchläden organisieren z. B. oft Lesungen, Signierstunden oder andere Aktionen und sind hierbei auch offener für Bücher und Autor*innen abseits der Großverlage.

Ein weiteres Problem für kleine Verlage sind Insolvenzen von Großhandelsunternehmen. Als 2019 der größte und wichtigste Großhändler KNV Insolvenz anmelden musste (der später von Zeitfracht übernommen wurde), war das zwar für alle in der Branche eine erschütternde Meldung und auch für große Buchhandlungen und Großverlage ein gravierendes Problem. Lieferungen verzögerten sich, die Zahlungen an die Verlage für über KNV verkaufte Bücher wurden zunächst eingefroren und dann nach und nach im Insolvenzverfahren abgewickelt, sodass die Verlage ihr Geld (ganz oder teilweise) erst nach Monaten erhielten. Die Forderungen der Verlage betrugen insgesamt ca. 45 Millionen Euro. Das Ausbleiben eines Großteils der Zahlungen ist für kein Unternehmen schön, doch für Kleine und Kleinstverlage ohne große Rücklagen war es eine Katastrophe, die einige von ihnen auch nicht auffangen konnten, weil die wirtschaftliche Lage das Bilden von Rücklagen schlicht nicht zulässt. Das hat sich nicht geändert, und aktuell ist schon wieder ein Großhändler, nämlich Weltbild, insolvent.

Jürgen Eglseer vom Amrûn Verlag sagt dazu: „Eine Insolvenz bedeutet immer Geldverlust für den Gläubiger – Geld, das Kleinverlage nicht haben bzw. innerhalb eines Monats von der einen in die andere Tasche stecken. Insofern kann eine Insolvenz eines Barsortimenters, meist verbunden mit einer Rückgabe des Lagerbestandes, sehr schnell an die Existenzfähigkeit eines Verlages gehen.” Das sieht auch Ingrid Pointecker vom Verlag ohneohren so: „Wir haben natürlich noch die KNV-Katastrophe von vor ein paar Jahren vor Augen. Jedes Mal, wenn so etwas passiert, ist unklar, ob unsere Rechnungen auch bezahlt werden, jedes verkaufte E-Book (im Fall von Weltbild) noch abgerechnet werden kann.” Insolvenzen von Großhändlern treffen also Kleinverlage besonders schwer und können das endgültige Aus für diese bedeuten.

Zu all diesen Problemen kommen dann noch die gestiegenen Produktionskosten. Papier- und Druckkosten haben sich ebenso erhöht wie die Preise für die Logistik, also die Auslieferung der Bücher. Druckkosten, Kosten für Lektorat, Korrektorat und ggfs. Coverdesign sind auch vom Verlag in Vorleistung zu erbringen und fallen für die erste Auflage auf jeden Fall an, egal, wie oft das Buch sich am Ende verkauft.

Weltenruder Verlag

Neue Wege für kleine Verlage

Der Weg über die Buchhandlung ist natürlich längst nicht mehr der einzige, um Bücher an die Lesenden zu bringen. Der Ylva Verlag beispielsweise, der vorrangig Liebesromane, aber auch Krimis und Phantastik für frauenliebende Frauen veröffentlicht, hat von Anfang an auf einen eigenen Vertrieb ganz ohne Barsortimenter gesetzt und konzentriert sich auf E-Books und einen internationalen Vertrieb. „Vor 12 Jahren fing das mit den E-Books so richtig an und hat uns eine Möglichkeit eröffnet (den internationalen Markt zu bespielen), die es vorher gar nicht gegeben hat. Genauso Social Media: Wir haben jetzt eine Möglichkeit an Leser:innen direkt heranzukommen, die es vorher gar nicht gegeben hat”, so Verlegerin Astrid Ohletz. Dabei setzt der Verlag auf ein weltweites, englischsprachiges Publikum: „Unsere Strategie ist es, englische Bücher (Autorinnen kommen aus den USA, Australien, dem Vereinigten Königreich, etc.) zu veröffentlichen und dann die Bücher, die sich auch für den deutschen Markt eignen, übersetzen zu lassen und selber zu veröffentlichen.”

Auch Ingrid Pointecker vom Verlag ohneohren nennt die immer größere Beliebtheit von E-Books als eine der positiven Entwicklungen. Auch hier gibt es Zwischenhändler und Portale, die eine prozentuale Gebühr von den Verkäufen abbekommen, wenn die E-Books über große Buchhandelsketten oder Amazon verkauft werden, aber lange Bestellzeiten fallen ebenso wenig an wie Druck- oder Lagerkosten. Für den Ylva Verlag sind E-Books das Hauptgeschäft: „Ich freue mich nach wie vor über die Möglichkeiten, die E-Books uns als kleinem unabhängigem Verlag in Deutschland ermöglichen. Und die sind es auch, auf die wir uns konzentrieren. Taschenbücher machen wir nebenbei.”

Auch der eigene Webshop wird für kleine Verlage immer wichtiger. „Was immer stärker zum Tragen kommt, ist der Direktvertrieb zu den Leser*innen. Auch wenn das der Buchhandel immer kritisiert – aber wenn dieser nicht bestellt oder nicht bestellen kann, dann bleibt einem Verlag kaum etwas anderes übrig. Vorteil hierbei ist die Kommunikation mit den Leser*innen, da kann man immer etwas Positives herausziehen”, so Jürgen Eglseer. Dem stimmt auch Melanie Schneider von Weltenruder zu: „Direkte Bestellungen beim Verlag sind immer toll – nicht nur, weil es dann auch kleine Extras gibt.” Natürlich ist das Einrichten und Pflegen eines Webshops auch mit Kosten und Zeitaufwand verbunden. Dafür bleibt bei den Verlagen aber von den darüber verkauften Büchern am meisten Geld hängen.

Auch Buchmessen spielen für die Verkäufe eine wichtige Rolle (umso härter waren gerade kleine Verlage von den Jahren betroffen, in denen aufgrund von Kontaktbeschränkungen keine Messen stattfanden). Auch hier gilt es für die Verleger*innen, zu entscheiden, bei welchen Veranstaltungen sich die Kosten für Stand, Anreise usw. lohnen, weil genügend Interesse für die Bücher da ist. So gibt es z. B. vom Ylva Verlag auch Stände auf Pride-Veranstaltungen, während der ohneohren Verlag davon berichtet, dass manche Messen weggefallen und dafür andere hinzukommen sind. Gleichzeitig hat der in Wien sitzende Verlag noch einen weiteren Vertriebsweg gefunden: „Zum Ausgleich haben wir hier in Wien ein Click&Collect-System eingeführt, das sehr gut ankommt. Es ist aber immer wieder sehr viel Fußarbeit und ein bürokratischer Aufwand, neue Wege zu erschließen, die sich auch für alle Beteiligten lohnen.”

Generell spielt in Zeiten von E-Books, eigenen Shops und Social Media das Internet als Vertriebsweg eine große Rolle. Dort gibt es auch immer wieder Aktionen, die besonders als Unterstützung für unabhängige Verlage gedacht sind, wie den IndieBookDay. Einerseits eröffnen Online-Strukturen also Räume, die es vor 10 oder 15 Jahren noch gar nicht gegeben hat. Andererseits ist für viele Verlage auch die zunehmende Zersplitterung von Sozialen Medien ein weiteres Problem. „Früher konnte ich mich bei Neuigkeiten darauf verlassen, dass die meisten Interessierten sie mitbekommen, wenn ich sie auf 1-2 Kanälen poste. Das hat sich viel mehr verteilt. Wir müssen also mehr Zeit investieren (die wir teilweise einfach nicht haben), um wirklich alle Lesemenschen irgendwie zu erreichen”, sagt Ingrid Pointecker.

Jürgen Eglseer schließt sich dem an: „Bluesky und Mastodon sind rege, aber haben nicht ansatzweise die Reichweite, wie es Twitter früher hatte. Man postet nun zwangsweise nicht auf drei, sondern auf fünf Plattformen.” Auch für Melanie Schneider von Weltenruder spielt der Zerfall von Twitter eine große Rolle. „Es macht so vieles schwerer, dass Twitter zerbrochen ist und sich die Menschen, viele meine Zielgruppe, auf verschiedene Plattformen verstreut haben. Da fehlt eine solide Basis für vieles, was ich anfangs als Werbung einplanen wollte.” Der Hirnkost Verlag hingegen nimmt Social Media nicht als den entscheidenden Faktor wahr: „Social Media sind wichtig, aber nicht der bedeutendste Umsatzfaktor, und wenn, dann nur in der Kombination mit Old-School-Medien und persönlichen Empfehlungen.” Der Ylva Verlag sieht die Reichweite in den sozialen Medien auch als Herausforderung an, setzt daneben aber auch auf einen eigenen Newsletter: „Wichtig war für uns von Anfang an, so viele Newsletter-Abonnenten wie möglich zu bekommen. Da haben wir mittlerweile eine schöne Zahl erreicht, die wir kontinuierlich versuchen, auszubauen.”

Politik, Förderung und Vernetzung

Kleine und unabhängige Verlage haben also trotz widriger Umstände jede Menge neue Ideen entwickelt, gehen mit der Zeit und nutzen die technischen Vorteile und teilweise auch die Gegebenheiten einer globalisierten Welt für sich. Trotzdem ist den steigenden Kosten und der Unsichtbarmachung durch Großhandel und große Buchhandelsketten nicht durch die einzelne verlegende Person beizukommen, so gut das im Einzelfall auch funktionieren mag.

Denn die oben verlinkte Studie im Auftrag der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) schließt mit dem Ergebnis ab: „Es kann nicht erwartet werden, dass die verlegerische Vielfalt allein durch die Marktdynamiken im Buchverlagswesen erhalten werden kann.“ Als Konsequenz fordert die Studie aus dem Jahr 2021 verschiedene Förderprogramme für unabhängige Verlage und Buchhandlungen. Für Verlage schlägt sie eine strukturelle Förderung in der Form vor, dass Verlage sowohl Fördermittel zur freien Verwendung als auch Fördermittel zur Umsetzung bestimmter Titel bekommen sollen. Allerdings: So deutlich die Worte auch sind, die Studie findet, und so wohlwollend die Politik sich auch dazu äußert, dass etwas für Verlage getan werden soll – passiert ist in den letzten drei Jahren seit Veröffentlichung der Studie leider nichts, um diese strukturelle Förderung umzusetzen.

Bereits jetzt gibt es für Verlage die Möglichkeit, sich für Preise und Förderungen zu bewerben. Allerdings zeigt sich hier wieder deutlich, dass der Phantastik immer noch nicht zugetraut wird, dass auch dieses Genre etwas Wichtiges zur Literatur beizutragen hat. „Wir schreiben regelmäßig sehr unspannende, aber effektive Anträge, um von staatlicher Seite an Lesungshonorare und ähnliche Dinge zu kommen. Das passiert aber im sehr kleinen Rahmen und scheitert häufig daran, dass wir Phantastik machen statt „ernsten Dingen“.” So führt es Ingrid Pointecker aus. Melanie Schneider hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Ich suche immer wieder, habe aber bisher nicht wirklich Förderungen gefunden, die einen Phantastikverlag wie meinen unterstützen werden.” Hier stehen Phantastikverlage also noch einmal schlechter da als andere Kleinverlage, aber letztendlich braucht es Hilfe und Unterstützung für alle unabhängigen Strukturen in der Buchbranche: Kleinverlage, Indie-Buchhandlungen und auch die Autor*innen selbst, die strukturell schlecht dastehen und selten von ihrer Arbeit leben können. Mehr zu den verschiedenen Problemen der Branche und möglichen Lösungsansätzen findet ihr sehr detailliert noch einmal bei Hirnkost in diesem Beitrag. Gleichzeitig wird dort die Gründung der Interessengemeinschaft unabhängiger Berliner Verlage bekanntgibt, die für 2025 eine neue Indie-Buchmesse plant, wenn diese denn die nötigen Fördergelder erhält. Ich zitiere hier das sehr prägnante Schluss-Statement der Bekanntmachung:

“Es bedarf dringend neuer Lösungen und gemeinsamer Anstrengungen, um den Buchhandel in Deutschland zu stärken und die Diversität der Verlagslandschaft zu bewahren. Bei allen individuellen Optimierungsversuchen einzelner Verlage und Buchhandlungen fällt hierbei dem Staat eine zentrale Rolle zu. Ohne eine staatliche strukturelle Förderung gäbe es kein einziges großes Theater, kein Opernhaus, kein großes Orchester in Deutschland – die Literaturlandschaft wird bisher weitgehend dem Markt überlassen.

Das funktioniert nicht mehr.”

ohne ohren Verlag

So könnt ihr kleinen Verlagen helfen

Solange wir alle noch darauf warten, dass die Politik helfend und mit Fördergeldern eingreift, muss es natürlich für kleine Verlage trotzdem irgendwie weitergehen. Neben dem Kaufen von Büchern könnt ihr z. B. Verlags-Newsletter abonnieren, Indie-Verlagen auf Social Media folgen und ihre Posts teilen, Bücher aus unabhängigen Verlagen mit Rezensionen auf den großen Portalen versehen oder auf euren Social-Media-Kanälen vorstellen. Und ihr könnt weitererzählen, dass es gerade etwas schwierig ist, Bücher von Kleinverlagen über den Großhandel zu bekommen, dass diese aber in der Buchhandlung direkt über den Verlag bestellt werden können, oder man sie direkt im Verlagsshop kaufen kann, den viele Verlage inzwischen haben.

Für weitere Wünsche an die Leser*innen und Community überlasse ich den Verlagen das letzte Wort in diesem Artikel. Ich bedanke mich außerdem ganz herzlich bei allen Verleger*innen, die mir so kurzfristig Fragen beantwortet und mir ein bisschen ihrer Zeit geschenkt haben. Vor ihren Antworten sind ihre Websites verlinkt – schaut doch dort mal vorbei.

Astrid Ohletz, Ylva Verlag + Ylva Publishing: „Die Nachfrage in Büchereien und Buchhandlungen, um unsere Bücher in ihren Bestand aufzunehmen und jede Unterstützung im Bereich Social Media – teilen, liken, rezensieren – hilft uns. Dadurch wird Neugierde geweckt und wir können neue Leser:innen gewinnen, die vielleicht genau unsere Bücher suchen.“

Melanie Schneider, Weltenruder Verlag: „Direkte Bestellungen beim Verlag sind immer toll. Aber auch das Empfehlen von Büchern, Rezensionen schreiben und, womit es Indie-Literatur oft schwer hat, aber was auch viel hilft: Bringt uns in die Bibliotheken! Dort finden die meisten Menschen Literatur, unabhängig vom Geldbeutel. Die Chance, dass vielleicht wenigstens ein paar Nutzer*innen sich im restlichen Programm umschauen, wächst natürlich mit begeisterten Bibliothekar*innen. Ich arbeite selbst in einer Bibliothek, um die Lebenserhaltungskosten zu decken – aber ich liebe meinen Job auch und empfehle den Menschen gern Bücher, die ungewöhnlicher sind.”

Jürgen Eglseer, Amrûn Verlag: „Die Leser*innen können/sollen/müssen Bücher kaufen. Die Lager eines jeden Verlages sind voll, viel ist durch die Räumungen der Barsortimente zurückgekommen, mussten wir wieder zurückzahlen und können es nun mangels Sichtbarkeit schwierig an die Leser*innen bringen. Stöbert in den Programmen, schließt Unterstützungsabos ab oder spendet auch, wenn es euch selbst nicht weh tut. Ihr helft damit, einen funkelnden Diamanten der Literaturkultur zu erhalten. Bei einigen Verlagen, auch bei uns, ist es wirklich knapp und man überlegt oftmals einfach aufzuhören. Mit Käufen – und sei es nur ein Buch – motiviert und unterstützt ihr uns.”

Ingrid Pointecker, Verlag ohneohren: „Klar, Bücher kaufen. Was aber besonders fein und völlig kostenlos ist: Erzählt von uns und unseren Büchern! Verschafft uns die Reichweite, die wir so dringend brauchen. Nehmt bei der nächsten Messe Lesezeichen von uns mit und klemmt sie höchst rebellisch in den neuen Fitzek, den eure Eltern zu Weihnachten kriegen. Wer weiß, vielleicht verschafft ihr uns neue Fans.”

Annette Staib und Klaus Farin, Hirnkost-Verlag, mit einem abschließenden Appell an die Politik: „Aber wenn innerhalb von wenigen Jahren fast 50 Verlage mit sehr unterschiedlichen Profilen und Konzepten aufgeben, jedes Jahr in Deutschland etwa 100 Buchhandlungen schließen müssen, zeigt das sehr deutlich, dass der Buchhandel in einer existenzgefährdenden strukturellen Krise steckt – die der Markt und individuelle Optimierungen allein nicht mehr auflösen können. So wie auch kein großes Theater oder Opernhaus, viele Orchester und andere Kultureinrichtungen ohne staatliche Finanzierung nicht überleben würden. Das gilt auch für die nur noch knapp 3.000 Verlage in Deutschland. Das Verlagssterben wird sich in den nächsten Jahren beschleunigen – und damit die künstlerische und Meinungsvielfalt der Kulturlandschaft, der Demokratie insgesamt geringer. Hier muss die Politik handeln! Und zwar JETZT!”

Hirnkost Verlag

Lena Richter

Lena Richter ist Autorin, Lektorin und Übersetzerin mit Schwerpunkt Phantastik. Ihre Science-Fiction-Novelle „Dies ist mein letztes Lied“ erschien im Februar 2023 beim Verlag ohneohren. Außerdem veröffentlicht sie Kurzgeschichten, Essays und Artikel. Lena ist eine der Herausgeber*innen des Phantastik-Zines Queer*Welten und spricht gemeinsam mit Judith Vogt einmal im Monat im Genderswapped Podcast über Rollenspiel und Medien aus queerfeministischer Perspektive. Ihr findet sie auf ihrer Website lenarichter.com , auf Instagram unter @catrinity_ und auf BlueSky und Mastodon unter @catrinity

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