Science Fiction

Climate Fiction: Gegenwart beschreiben, Zukunft erzählen?

Coverausschnitt vom Roman "New York 2140", zeigt ein überflutetes Manhattan mit Booten und Schiffen auf den Straßen, Heißluftballons in der Luft und grünen Dächern auf den Hochhäusern.
© Heyne

Alessandra Reß, 04.10.2024

Die Climate Fiction balanciert auf den Grenzen zwischen Gegenwartsliteratur und Science Fiction, legt den Finger in Wunden, kann warnen und Hoffnung schenken. Alessandra Reß wirft einen Blick darauf, warum sie es schwer hat und was sie (nicht) leisten kann.

Geschichten vom Klima begleiten uns täglich. Sie sind Teil der Nachrichten, von Social Media und Werbung, von Visionen in Architektur und Städtebau, von Gesprächen in Büro oder Freundeskreis – und von der Kunst. Keine Kunstform, die sich nicht wenigstens in ihren Nischen dem Klimawandel bzw. der Klimakrise widmen würde.

Auch literarisch wird das Thema be- und verarbeitet. Geht man heute durch eine Buchhandlung, erwarten einen entsprechende Titel in fast jeder Abteilung. Vom Sachbuchbereich mit „Der Klimaatlas“ kann man sich über den Jugendbuchbereich mit Christian Linkers interaktivem Roman „Climate Action“ zur Belletristik mit Alexander Schimmelbuschs „Karma“ vorarbeiten, bis man sich mit Nick Fuller Googins‘ „Der Plan zur Rettung der Welt“ und Zara Zerbes „Phytopia Plus“ so langsam bei den Genre-Titeln einfindet und sie mit Robin Hills „Strom – Das dunkle Erwachen“ endgültig erreicht.

Climate Fiction als Predigt?

Dabei hat es die „Klimaliteratur“ lange Zeit nicht leicht gehabt. Gerade die Climate-Fiction-Titel, Romane mit expliziter Klimathematik, wurden außerhalb der Science Fiction skeptisch gesehen, wie beispielsweise Thekla Dannenberg darlegt – einerseits ihres spekulativen Charakters wegen, andererseits weil sie als bevormundend, predigend wahrgenommen wurden. Die Journalistin Sieglinde Geisel sprach noch 2020 gar von „Kassengift“. Das ist durchaus paradox, wenn man bedenkt, dass Climate-Fiction-Romane etwa von Maja Lunde („Die Geschichte der Bienen“) in den Jahren zuvor hierzulande bereits große Erfolge bei einem breit aufgestellten Publikum vorzuweisen hatten – allerdings wurden diese Titel oft anders vermarktet.

2016 beklagte der indische Autor Amitav Ghosh in einer vielbeachteten Essay-Reihe, dass der Klimawandel einen zu geringen Stellenwert in der Literatur einnehme. Aus der Science-Fiction-Szene heraus wurde der Text dafür kritisiert, dass Ghosh die Genreliteratur darin weitgehend außer Acht gelassen hatte. Was wiederum zur Frage führt: Wie ist die Lage denn nun in der Science Fiction?

Von Ballard zur New Wave of CliFi

Umwelt und Natur waren schon in den Frühwerken ein Thema, von einer Climate Fiction im engeren Sinne kann man ab 1962 und den Werken von J. G. Ballard („The Drowned World“) sprechen – auch wenn der (nicht unumstrittene) Begriff selbst erst 2007 aufkam. Heute kommen einem zu dem Subgenre viele Namen in den Sinn: Octavia Butler beispielsweise, Jeff VanderMeer, Ursula K. LeGuin, Margaret Atwood, Kim Stanley Robinson. Darüber hinaus dienen Klimakatastrophen oft als umwälzendes Moment, das ein wie auch immer geartetes postapokalyptisches Szenario hervorbringt. Die Climate Fiction im engeren Sinne aber nutzt den Klimawandel nicht als Mittel zum Zweck, sondern macht ihn, das Anthropozän und dessen Folgen zum Dreh- und Angelpunkt. Um 2019 hat das neuen Aufwind erhalten, die Rede ist hier manchmal von einer „new wave of climate fiction“. Die Entwicklung profitiert dabei von einem generell zurückgekehrten bzw. gestiegenen Bewusstsein für die Klimakrise und deren Folgen, von dem auch das Erstarken von Klimabewegungen wie Fridays for Future zeugt.

Im deutschsprachigen Raum hat es ein, zwei Jahre länger gedauert, bis diese neue literarische Welle in der Szene ankam. Doch von den Klimazukünfte-Ausschreibungen (und der daraus resultierten Anthologie „Klimazukünfte 2050“ im Hirnkost Verlag) über Uwe Posts satirisch angehauchtes „Klima Korrektur Konzern“ bis hin zu den Romanen von Theresa Hannig – wie nun „Parts per Million – Gewalt ist eine Option“ – ist die Bandbreite längst auch hierzulande groß (siehe dazu auch Judith Maderas Beitrag zu „Deutschlands Zukunft in der Science Fiction“). Im literarischen Bereich hat zudem das Climate Cultures Network Pionierarbeit geleistet, das schon 2020 ein Climate Fiction Festival ausgerichtet hat. In den letzten Jahren sind dem viele vergleichbare Veranstaltungen gefolgt: 2023 griffen beispielsweise die Wetzlarer Tage der Phantastik die Climate Fiction auf, 2024 widmete sich ihr die Gesellschaft für Fantastikforschung in ihrer Jahrestagung, im November findet in Bochum die Tagung Klimafiktionen statt.

Indes hat sich die Climate Fiction zu vielen Sub- und Mikrogenres ausdifferenziert. Das Projekt Grist, das 2024 zum vierten Mal einen internationalen Climate-Fiction-Kurzgeschichtenwettbewerb ausgeschrieben hatte, nennt in seinem Glossar neben bekannteren Ausprägungen wie Eco- oder Solarpunk Nischengenres wie Ecotopia (eng orientiert an Ernest Callenbachs „Ökotopia“) und betont die Nähe zu vielen Futurismus-Bewegungen. Die Aufzählung ist dabei keineswegs erschöpfend, z. B. brachte kürzlich Aiki Mira die „Post Cli-Fi“ ins Spiel und weltweit finden sich zahlreiche lokale Klima-Literaturbewegungen, die die dominierende angloamerikanische Perspektive durchbrechen.

Science Fiction als Climate Fiction

Klar ist: Heute ist Climate Fiction eines der Genres der Stunde. Mitte September schrieb Molly Templeton in einem Beitrag fürs Reactormag sogar, Science Fiction sei dieser Tage Climate Fiction: Erzählungen von der Zukunft – zumindest der menschlichen – kommen nicht mehr darum herum, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie die Menschheit es geschafft oder eben nicht geschafft hat, mit der Klimakrise umzugehen. Sicher ist das eine großzügige Interpretation von „Cli-Fi“, der Gedanke aber einer, über den sich nachzudenken lohnt. Kim Stanley Robinson, Autor u. a. von „New York 2140“ oder „Das Ministerium für die Zukunft“, spricht ähnlich von Science Fiction und Klimafiktionen als „Realismus unserer Zeit“.

Die Vorbehalte, Climate Fiction sei zu predigend, haben sich dabei insofern fast ins Gegenteil verkehrt, als ihr didaktischer Charakter heute gefordert und in ihre Lösungsansätze große Hoffnungen gesetzt werden. Denn manche Climate Fiction kommt durchaus optimistisch daher, ob sie nun eher auf Geo-Engineering, auf metaphysische oder soziale Elemente, oder auf eine Kombination all dessen setzt. Dabei wohnt ihr das Potenzial inne, Wissenschaft und Literatur praktisch eng zu verknüpfen, und das sogar interdisziplinär. Antonia Mehnert beschrieb Climate Fiction 2015 im Sammelband „Cultural Dynamics of Climate Change and the Environment in Northern America“ als Teil einer „Poetik der Verantwortung“, was zugleich daran erinnert, dass es sich trotz allem um Erzählungen handelt, um Fiktion. „Climate Fiction won’t save us“, betonte daher Jeff VanderMeer 2023 in einem Beitrag auf Esquire.

Kollektives Heldentum

Das nimmt dieser Spielart gleichwohl nicht ihr Potenzial, zum Nachdenken anzuregen. Theresa Hannig etwa schreibt im Nachwort zu „Parts Per Million“, dass sie hofft, das Buch werde als Warnung gelesen. Climate-Fiction-Romane können Warnung sein, Gedankenspiel, Vorschlag. Sie können auch neue Perspektiven aufzeigen, etwa den Fokus wegdenken vom Individuum. Die Klimakrise ist ein globales Problem, und auch die Lösungen müssen weltweit angegangen und umgesetzt werden, was es natürlich keineswegs einfacher macht. Die Literatur stellt das vor die Herausforderung, neue Schreibweisen zu finden, in denen der Held ein Kollektiv ist, und in dem auch Sichtweisen außerhalb des westlichen Kulturraumes beleuchtet werden. Thomas Hummitzsch schrieb 2022 auf Intellectures, Klimaliteratur eigne sich dazu, „die emotionale Barriere zwischen Mensch und Natur abzubauen“.

Vision in die Gegenwart

Bei alldem mag Science Fiction Climate Fiction sein, aber Climate Fiction ist – wie bereits zuvor angeklungen ist – keine Science Fiction mehr. Den Einstieg in Kim Stanley Robinsons „Das Ministerium für die Zukunft“ markiert eine massive Hitzewelle in Indien – ein nur noch bedingt fiktives Szenario: Im Mai titelten Medien von einer „beispiellosen Hitzewelle“, in Mungeshpur wurden mehr als 50 Grad gemessen. Und die Auswirkungen der Klimakrise zu spüren, ist kein Phänomen des globalen Südens mehr. Während ich diesen Text schreibe, sorgen Starkregen und Überschwemmungen u. a. in Polen und Rumänien für Schlagzeilen – es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass Europa 2024 mit derartigem konfrontiert wird. Unter dem Einfluss anderer weltweiter Krisen schwächelt die Klimabewegung gleichwohl, manche schon gewonnene Errungenschaft wurde zudem wieder aufgegeben.

Inwiefern das die Climate Fiction beeinflusst und inwiefern sie noch uns beeinflusst, wird sich zeigen. Klar ist: Die Themen werden ihr nicht ausgehen, und die Geschichten vom Klima uns weiterhin in vielerlei Hinsicht begleiten – warnend, beklemmend, optimistisch oder pessimistisch stimmend.

Alessandra Reß
© Pablo Lachmann

Alessandra Reß

Alessandra Reß wurde 1989 im Westerwald geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Nach Ende ihres Studiums der Kulturwissenschaft arbeitete sie mehrere Jahre als Redakteurin, ehe sie in den E-Learning-Bereich gewechselt ist.

Seit 2012 hat sie mehrere Romane, Novellen und Kurzgeschichten veröffentlicht, zudem ist sie seit mehr als 15 Jahren für verschiedene Fanzines tätig und betreibt in ihrer Freizeit den Blog „FragmentAnsichten“. Ihre Werke waren u. a. für den Deutschen Phantastik Preis und den SERAPH nominiert.

Mehr unter: https://fragmentansichten.com/

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