Science Fiction

Parts Per Million. Wie schreibt man einen Roman über die Klimakrise?

Coverausschnitt vom Roman "Parts Per Million"

Theresa Hannig, 04.10.2024

Parts Per Million ist ein Roman über eine Autorin, die an einem Roman über den sich radikalisierenden Klima-Aktivismus schreibt. Das war alles andere als einfach - Theresa Hannig über einen eher schmerzhaften Schreibprozess.

Die Idee zu Parts Per Million entstand im März 2022, kurz nach der Veröffentlichung von Pantopia. Eigentlich hätte Pantopia auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt werden sollen, aber dann wurde die Messe wegen Corona abgesagt. Ich war furchtbar enttäuscht. Schon mein vorangegangener Roman König und Meister hatte wegen Corona kaum Aufmerksamkeit erfahren, und jetzt passierte das Gleiche noch einmal. So wie mir ging es vielen Autor*innen. Deshalb war ich froh, dass in Leipzig als Alternative die Veranstaltungsreihe »weiter:lesen« ins Leben gerufen wurde, bei der Autor*innen ihre Texte dem Publikum präsentieren konnten.

Am Vorabend der Lesung traf ich meinen Lektor Andy Hahnemann zum Essen. Wir sprachen uns gegenseitig Mut zu: Bald würden wieder Buchmessen stattfinden und auch Pantopia sein Publikum finden. Dann kamen wir auf das unvermeidliche Thema: Was wird das nächste Buch? Ich hatte zu diesem Zeitpunkt an einigen Ideen herumgeschrieben und verschiedene Konzepte für Science-Fiction-Geschichten entwickelt, aber nichts hatte mich wirklich begeistert. Irgendwann sprachen Andy und ich über den Roman Das Ministerium für die Zukunft von Kim Stanley Robinson, der uns beide nachhaltig beeindruckt hatte. In dem Roman gibt es eine Terrororganisation, die »Children of Kali«, die mit ihren Gewalttaten die Politik zum Klimaschutz zwingen wollen. Die Idee faszinierte uns beide. Andy fragte mich: »Wie würde sowas in Europa aussehen?« Damit war die Saat gelegt. Es war eine dieser Ideen, die ganz unscheinbar daherkommt, ganz harmlos und nur wie eine unter vielen scheint. Aber schon nach kurzer Zeit wusste ich, dass es eine Idee war, die mich nicht mehr loslassen würde, bis ich sie von vorne bis hinten analysiert, von innen nach außen gestülpt und »durchgeschrieben« hätte. Ich ließ die anderen Projekte liegen und beschäftigte mich nur noch mit der Frage: Wie könnte eine Klimaterrororganisation in Deutschland aussehen und wie ließe sich ihre Geschichte erzählen?

Wie so oft stand am Anfang die Recherche. Die Letzte Generation hatte gerade angefangen, sich auf die Straße zu kleben und auch international gab es einige Gruppierungen, die mit zivilem Ungehorsam wie dem Stören öffentlicher Veranstaltungen oder mit Suppenanschlägen auf das Sicherheitsglas bekannter Kunstwerke Aufsehen erregten. Es gab unzählige Berichte über Menschen, die bereit waren, für Klimaschutz den safe ground der Mehrheitsgesellschaft zu verlassen. Aber ich wollte näher ran. Also besuchte ich Aktivist*innen bei ihren Aktionen, begleitete sie, sprach mit ihnen.

Gewaltlosigkeit war die absolute Basis für den zivilen Ungehorsam der Aktivist*innen. Es war der moralische Grundkonsens, der sie verband, der Kern, an dem sie festhielten. Dieser unbedingte Wille zur Gewaltlosigkeit faszinierte mich. Denn mit ihm ging eine große Opferbereitschaft einher. Diese Aktivist*innen waren bereit, Beschimpfungen, Schmerzen, Gefängnis, soziale Ächtung und hohe Geldstrafen zu ertragen, weil sie sicher waren, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.

Aber diese Gewissheit, diese Opferbereitschaft und dieser Fatalismus ließen auch einen Alarm in meinem Innern klingeln. Ich dachte mir: Wer bereit ist, so viel persönliches Leid zu ertragen, um ein größeres Ziel zu erreichen, der ist vielleicht auch irgendwann bereit, für das gleiche Ziel das Leid anderer in Kauf zu nehmen.

Und so entwickelte ich, ausgehend von der gewaltfreien Klimabewegung, die Geschichte einer Radikalisierung. Dabei versuchte ich, alle möglichen Protestarten, Aktionsformen und schließlich den Terror auf einer Art und Weise zu konzipieren, die möglich und auch wahrscheinlich war. Die Grundfrage lautete: Was können ausreichend entschlossene Menschen mit begrenzten finanziellen Mitteln in kurzer Zeit erreichen? Die Antwort war: erstaunlich viel!

Das Schreiben von Parts Per Million war für mich ein äußerst schmerzhafter Prozess. Mich jahrelang mit der Klimakrise zu beschäftigen war erschreckend und desillusionierend. Mich dann auch noch in die sich radikalisierende Hauptperson hineinzuversetzen war ein abenteuerlicher Eskapismus, der mit Fortschreiten des Buchs aber immer belastender wurde.

Vielleicht ist der Prozess des Schreibens an dieser Stelle am besten mit dem Method Acting zu vergleichen. Ich beschäftigte mich mit der Figur, versetzte mich in ihre Position, fühlte ihre Gefühle, spielte ihre Gedanken und Handlungen durch und beschrieb es am Ende so wahrhaftig wie möglich. Dabei war ich natürlich auch die Strippen ziehende Autorin, die die Storyline, den Spannungsbogen und das Ende im Blick haben musste. Der Balanceakt zwischen handwerklicher Kontrolle und Identifikation mit der Hauptfigur war bei diesem Buch besonders schwer, weil es sowohl Überschneidungen, als auch vollkommene Gegensätze zwischen der Hauptfigur und mir als Autorin gab. Das irritierte auch einige Betaleser*innen, die fragten: Was ist echt, was ist Fiktion? Die Antwort ist ganz einfach: Es ist ein Roman, alles ist Fiktion! Aber es sind meine Figuren und die sind aus dem echten Leben geschöpft.

Und warum das Ganze?

Die Klimakatastrophe ist die größte Krise unserer Zeit. Nach dem Stand der aktuellen Forschung steuern wir auf eine Welt zu, in der die Zivilisation, wie wir sie kennen, nicht fortbestehen kann. Unvorstellbares Leid erwartet uns und diejenigen, die nach uns kommen. In dieser Situation ist es richtig zu protestieren. Es ist richtig, sich zu engagieren und alles in unserer Macht Stehende zu tun, um die Klimakatastrophe aufzuhalten.

Aber was ist »alles in unserer Macht Stehende«?

Ich bin Demokratin. Ich bin Stadträtin, und ich weiß, wie langsam und zäh die Mühlen des politischen Alltags mahlen. Es ist oft frustrierend. Aber es ist meiner Meinung nach der einzige Weg, der uns sicher in die Zukunft führt. Wenn wir versuchen, die demokratischen Prozesse durch Gewalt zu umgehen, landen wir am Ende in einem autoritären System. Nur die Demokratie sichert uns die Rechte, die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten, die wir als freie Gesellschaft brauchen, um die Klimakrise aufzuhalten. Unsere Macht ist unsere Demokratie! Gewalt ist niemals konstruktiv. Sie kann kein akzeptabler politischer Weg sein.

Aber ich fürchte, dass es in Zukunft sowohl zu einer Zunahme rechter Gewalt – durch Personen, Gruppen und politische Parteien –, als auch zu politisch aktivistischer Gewalt kommen wird. Noch eint die Klimaaktivist*innen das Prinzip der Gewaltlosigkeit. Aber die Verzweiflung ist groß und irgendwann werden auch sie nicht mehr vor Gewalt zurückschrecken. Ich distanziere mich an dieser Stelle ausdrücklich davon. Ich möchte nicht, dass mein Buch als Rechtfertigung, als Anleitung oder als Motivation für Gewalt gelesen wird. Im Gegenteil. Ich hoffe, dass mein Buch als Warnung gelesen wird. Sowohl von der Politik, als auch von den Aktivist*innen und der sogenannten schweigenden Mehrheit. Wenn die Gewalt so eskaliert wie in meinem Buch, verlieren am Ende alle. Wir kommen dem Klimaschutz nicht näher und der gesellschaftliche Zusammenhalt zerbricht. Deshalb hoffe ich, dass Gesellschaft und Politik einlenken; dass sie den Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen zuhören und die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Klimakatastrophe aufzuhalten.

Die Zukunft sieht düster aus. Aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir auf demokratischem Weg eine Lösung finden. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben.

Theresa Hannig

Theresa Hannig, 1984 geboren, studierte Politikwissenschaft und arbeitete als Softwareentwicklerin, Projektmanagerin und Lichtdesignerin, bevor sie sich hauptberuflich dem Schreiben zuwandte. Seitdem wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Seraph für ihren Roman »Pantopia«. 2023 erhielt sie den Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung. In ihren Romanen, Kurzgeschichten und der taz-Kolumne „Über Morgen“ schreibt sie über Zukunftsthemen wie KI, Datenschutz, Klimawandel und die Zukunft der Arbeit. Hannig lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Fürstenfeldbruck.

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