Fantasy

Cozy Fantasy: Alles, was du über das Genre wissen musst

In putzigen, cozy Farben gemaltes Häuschen im Wald, mit grünen Ranken bewachsen und von bunten Blumen und saftigem Gras umwachsen

Alessandra Reß, 19.09.2024

Es muss nicht immer hektisch zugehen: Die Cozy Fantasy ist der Zufluchtsort für Leute, die ruhig erzählte Geschichten mit einer gemütlichen Atmosphäre bevorzugen. Alessandra Reß stellt es uns vor.

Was machen Helden, wenn alle dunklen Mächte besiegt und alle magischen Artefakte geborgen sind? Welche Abenteuer erlebt die Schmiedin durch die ausgefallenen Wünsche ihrer Elfenkundschaft? Und was passiert, wenn ein Werwolf eine WG mit einem Troll gründet?

Es sind solche Fragen, denen sich die Cozy Fantasy mit viel Liebe zu ihren Figuren widmet.

Slice of Life in freundlicher Umgebung

„Cozy“ bedeutet auf Deutsch so viel wie „gemütlich“ oder „behaglich“. Entsprechend meidet die Cozy Fantasy die düsteren Ecken der Phantastik und erzählt stattdessen Geschichten von vergleichsweise freundlichen Umgebungen und sympathischen Hauptfiguren, denen ein Happy End nahezu sicher vergönnt ist. Die Erzählweise ist dabei gemächlich, die Struktur episodenhaft: Es werden kleine Geschichten erzählt, oft aus dem Alltag von Figuren, die sonst eher ein Dasein am Rande von Fantasyhandlungen fristen. In diesem Zusammenhang fällt häufig der Begriff „slice of life“, der genau das beschreibt. Es geht hier eben nicht, oder zumindest selten, um die Rettung der Welt oder den Kampf gegen einen ausgemachten Bösewicht, sondern um (fantastisch aufgeladene) Alltagskonflikte und -herausforderungen.

In anderen Literaturgenres sind entsprechende Spielarten schon länger etabliert – man denke etwa an Cozy-Crime-Romane, die allen Leichen im Keller zum Trotz einen heiteren oder zumindest gemütlichen Ton anschlagen, oder an Cozy Romances, in denen Frauen aus der Großstadt die Freuden des Dorflebens kennenlernen, Eisdielen erben und mit Cupcakes die Herzen des Jugendfreundes zurückerobern.

In die Fantasy schwappte der Trend Anfang der 2020er. Den bis dato größten Erfolg feierte die Cozy Fantasy 2022 mit Travis Baldrees „Magie und Milchschaum“, worin eine Ork-Söldnerin das Breitschwert wortwörtlich an den Haken hängt, fortan Kaffeespezialitäten verkauft und selbst die örtliche Mafiaherrin dank ihrer Backwaren als Verbündete gewinnt.

Ein Subgenre für die angenehmen Seiten des Lebens

In der Fantasy tummeln sich seither auf Tee- und Buchhändlerin umsattelnde Kriegerinnen (Rebecca Thornes „Can’t Spell Treason Without Tea“), Cocktail servierende Blutelfen (S. L. Rowlands „Cursed Cocktails“) oder Marmeladen-kochende Zauberinnen (Sarah Beth Dursts „Spellshop“). Apropos: Ähnlich wie in Cozy Romances findet sich dabei eine Tendenz dazu, die Figuren ihr Heil darin suchen und finden zu lassen, Cafés oder Läden zu eröffnen, in denen die schönen Dinge des Lebens verkauft werden: Muffins und Cupcakes, Bücher und Blumen, Kaffee und Cocktails. Falls es noch keinen entsprechenden Titel gibt, ist es sicher nur eine Frage der Zeit, bis der erste Dunkle Herrscher auf Kosmetik umsattelt oder ein Drache sein Gold in Bubbletea investiert.

Zwar finden sich auch als Cozy Fantasy beworbene Titel, in denen die Hauptfiguren eher klassischen Genre-Berufen nachgehen oder z. B. Familiengeschichten im Zentrum stehen –  cozy kann schließlich vieles sein. Trotzdem prägt gerade dieser Fokus aufs Gründen kleiner Gewerbe das Subgenre und grenzt es von anderen ab. Die Nähe zu Cozy Crime und Cozy Romance wird dabei nicht negiert, ganz im Gegenteil: In den Romanreihen von Nancy Warren (z. B. „Der Strickclub der Vampire“, „Der Blumenladen von Willow Waters“) oder in Gigi Pandians „Die unglaublichen Fälle der Zoe Faust“ geben sich Cozy Crime und Cozy Fantasy die Hand. Und auch die Grenzen zur Cozy Romance verwischen, denn ob es nun um Sangu Mandannas „Miss Moons höchst geheimer Club für ungewöhnliche Hexen“ geht, um Heather Fawcetts „Emily Wildes Enzyklopädie der Feen“ oder Leann Porters „Wünschelbräu Premium“: Zarte Liebesgeschichten finden hier oft ihren Platz. Und natürlich finden sich selbst in der Fantasyversion Tortenbäckerinnen, die es aus der Großstadt in die Provinz verschlägt – nur ist hier mehr Magie im Spiel (siehe Lea Melchers „Buttercream Witch“).

Vorläufer in der Fantasy

Innerhalb der Phantastik kann die Cozy Fantasy ebenfalls auf einige Verwandte und Vorläufer zurückgreifen: Ihre Art, humorvoll die Erwartungen der Fantasy und ihrer herkömmlichen tropes zu durchbrechen, ohne sie völlig aufzugeben, kennt man z. B. ähnlich aus der Light Fantasy oder aus Funtasy-Reihen wie Terry Pratchetts „Scheibenwelt“ und Patricia C. Wredes „Die Zauberwald-Chroniken“. Eine Nähe besteht zudem zur Low Fantasy und deren Hang zum Erzählen „kleiner“ Geschichten, oft im städtischen Kontext.

Nebenschauplätze oder die Figuren am Rande des sonstigen Heldengeschehens wurden darüber hinaus immer wieder von Anthologien näher beleuchtet. So widmen sich z. B. „Die Hilfskräfte“ und „Die Putze von Asgard“ jenen Figuren, die hinter den Helden aufräumen müssen, während sich „Die Helden-WG (3 Zimmer, Küche, Axt)“ anschaut, wie das Zusammenleben verschiedener Spezies abseits der Questen abläuft. Auch große Reihen wie „Drachenlanze“ oder „Das Schwarze Auge“ nutzen Anthologien oder Bände abseits der Hauptromane, um Schlaglichter auf den Alltag in ihren Welten oder von weniger prominenten Völkern zu werfen.

Dass es die Romane mit der cozy Atmosphäre nun in die erste Reihe vieler Publikumsromane geschafft haben, ist zusätzlich einer Umbruchstimmung zu verdanken, verbunden mit einem Aufblühen von Subgenres und Ästhetiken wie Hopepunk und Cottagecore oder tropes wie found family, denen eine freundliche, kooperative Stimmung im Kern gemeinsam ist. Ebenso erlebt das episodenhafte Erzählen ein Comeback, mit als Reaktion auf die Kritik an der lange dominanten Heldenreise.

Nur Eskapismus?

Hinter vielen der genannten Entwicklungen steht sicher ein Bedürfnis danach, dem Ansturm an düsteren Nachrichten und deren Komplexität für einige Stunden zu entfliehen. Zudem findet sich speziell in der Cozy Fantasy gerne der alte Traum, den Bürojob hinzuschmeißen und sich stattdessen Cupcakes, Bratwürsten oder sonstigem zu widmen, was als Alternative zum Hamsterrad-Leben wahrgenommen wird.

Gleichwohl heißt das nicht, dass sich die Cozy Fantasy den Herausforderungen und Themen der Gegenwart verwehren würde. In ihrem gerne selbstironischen Hinterfragen von Genrekonventionen bindet sie Fragen des Hier und Jetzt ein, der Weltenbau ist oft divers. Ein Paradebeispiel dafür sind die Bücher von Becky Chambers, die seit dem Start ihrer „Wayfarer“-Reihe 2016 („Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“) wie keine zweite für die Science-Fiction-Variante der Cozy Phantastik steht.

Implizit kann die Cozy Fantasy als Gegenbewegung zur Tendenz nach immer mehr Blut, Gewalt und „Spice“ (Erotik) gesehen werden – denn explizit wird es hier selten. Daher wird sie zuweilen in einem Zuge mit „Clean Fantasy“ genannt.  Gleichwohl verfolgt die Cozy Fantasy keine Agenda und übt keine gezielte Kritik an anderen Spielarten. Eher denkt sie deren Settings weiter, mit einem großen Herz für das, was sich in den Straßen und Städtchen fern der großen Epen abspielt.

Alessandra Reß
© Pablo Lachmann

Alessandra Reß

Alessandra Reß wurde 1989 im Westerwald geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Nach Ende ihres Studiums der Kulturwissenschaft arbeitete sie mehrere Jahre als Redakteurin, ehe sie in den E-Learning-Bereich gewechselt ist.

Seit 2012 hat sie mehrere Romane, Novellen und Kurzgeschichten veröffentlicht, zudem ist sie seit mehr als 15 Jahren für verschiedene Fanzines tätig und betreibt in ihrer Freizeit den Blog „FragmentAnsichten“. Ihre Werke waren u. a. für den Deutschen Phantastik Preis und den SERAPH nominiert.

Mehr unter: https://fragmentansichten.com/

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