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Südkoreanische Popkultur im Westen – Ein unvollständiger Überblick

Pagode im koreanischen Stil an einem kleinen See, umgeben von Herbstlaub, in der Pagode ein Mann und eine Frau in historischen Gewändern
© Netflix

Markus Mäurer, 29.08.2024

Parasite, Squid Game, K-Pop. Wenn an sich in der Medienwelt umschaut, ist derzeit kaum ein Land so beliebt wie Korea. Wann hat das angefangen? Wie kam das? Und was sollte man sich unbedingt mal anschauen?

Seit einigen Jahren erfreut sich koreanische Popkultur in verschiedenen Ausprägungen großer Beliebtheit im Westen und auch hier in Deutschland. Ob Popmusik von BTS, Filme wie der Oscar-Preisträger Parasite, die Netflix-Hitserie Squid Game oder Literatur wie Hang Kangs Die Vegetarierin. Auch Koreanisch-Sprachkurse liegen im Trend, denn Südkorea hat sich zu einem beliebten Reiseziel entwickelt. Doch wie kam es dazu und was genau macht den Reiz aus?

Während japanische Kultur bereits seit Ende des 2. Weltkriegs zu uns rüber schwappte, in Form von Filmen wie jene von Akira Kurosawa oder mit Godzilla, aber vor allem auch durch Animes und Mangas, ist es um Südkorea lange still gewesen. Denn anders als Japan ist Südkorea nach Ende des Korea-Krieges und der daraus folgenden Teilung bis 1987 eine Diktatur gewesen, in der Zensur und Abschottung an der Tagesordnung waren. Erst mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele 1988 erschien das Land für uns im Westen wieder auf der kulturellen Landkarte.

Filme

Der beste und häufigste Weg, kulturelle Grenzen zu überschreiten, findet in Form von Filmen statt. Natürlich gab es auch schon während der Diktatur ein südkoreanisches Kino, doch es dauerte bis zu Beginn der 2000er, dass das auch bei uns ankam. Zunächst in Form von kleinen Arthouse-Filmen von Regisseuren wie Kim Ki-duk (Seom – Die Insel) oder Park Chan-Wook (Joint Security Area), die im Nachtprogramm auf Arte oder 3Sat liefen und in den Videotheken zu finden waren. Doch erst mit dem Kinostart und Erfolg von Park Chan-Wooks Old Boy wurde das südkoreanische Kino so richtig in unser Bewusstsein katapultiert, als wir merkten, welch originelle und hochwertige Thriller dieses Land hervorbringen kann.

Es folgten Science-Fiction-Filme wie Save the Green Planet (an dessen Remake gerade Yorgos Lanthimos arbeitet), historische Kampfkunstspektakel wie Sword in the Moon (Das zerbrochene Schwert), knallharte Thriller wie The Chaser oder Sympathy For The Devil, kleine Filmperlen wie Bin-Jip – Leere Häuser, Monsterspaß wie The Host oder Horrorklassiker wie A Tale Of Two Sisters.

So richtig im Mainstream angekommen ist das südkoreanische Kino aber erst durch den Oscar-Erfolg von Bong Joon-hos Parasite im Jahr 2020.

Fantasy-Elemente finden sich vor allem in historischen Kampfkunstfilmen wie Sword In The Moon, Bichunmoo, Blades of Blood oder Die sieben Schwerter, die an das chinesische Wuxia-Genre angelehnt Kämpfer*innen mit schier übernatürlichen Kräften und koreanische Mythologie thematisieren.

Auch Science Fiction gab es in jüngster Zeit verstärkt mit Filmen wie Alienoid, Space Sweepers, JUNG-E, Badland Hunters und The Moon.

Was bei uns leider etwas untergeht, sind Regisseurinnen wie Hong Sung-eun (Aloners), Jeon Go-woon (Microhabitat) oder Kim Kyounghee (Lucky Chan-sil), deren Filme höchstens beim Nischen-Streamer Mubi zu sehen sind.

Serien

Eine ähnliche Bandbreite und Qualität bieten auch koreanische Serien, die dank Streamingdiensten wie Netflix oder Disney+ inzwischen in großer Zahl bei uns verfügbar sind. Schon vor der dystopisch anmutenden brutalen Gesellschaftskritik Squid Game aus dem Jahr 2021 gab es hochwertige und superspannende Serien wie z. B. Sranger (2017). Doch jenseits des äußerst beliebten K-Drama waren die nur einigen Serienjunkies mit Faible für Südostasien bekannt.

Ich würde mal behaupten, jenseits von Hollywood gibt es nur wenige Länder, die Serien mit einem so hohen Produktionsaufwand und Qualitätsstandard produzieren wie Südkorea. Ich denke da z. B. an die historische Zombieserie Kingdom, Science-Fiction-Serien wie The Silent Sea und Dr. Brain, die leicht durchgeknallte Wundertüte Bargain oder Horrorserien wie Hellbound und Gyeongseong Creature.

K-Pop

Dem Vorbild des J-Pops und der japanischen Idol-Kultur folgend hat sich der K-Pop zu einer festen internationalen Größe entwickelt. Einen ersten Vorgeschmack gab es bereits 2012 mit Gangnam Style von Psy. Die Speerspitze dieser Bewegung bildet die 2013 gegründete Band BTS, der 2017 der internationale Durchbruch gelang. Die Kultur hinter den Idol-Bands ist aber durchaus kritisch zu sehen, denn für den Erfolg, den nur die wenigsten von ihnen erreichen, werden die Mitglieder schon als Jugendliche in Pop-Akademien gedrillt, teils von der Industrie ausgebeutet und enorm unter Druck gesetzt. Was auch zu einer hohen Suizidrate unter K-Pop-Stars führte. Trotzdem hat diese Musik maßgeblich dazu beigetragen, südkoreanische Kultur weltweit bekannt zu machen und ein großes Interesse am Land bei zahllosen jungen Menschen zu wecken. Am Freitag den 30. August läuft auf AppleTV+ übrigens eine Dokus-Serie über K-Pop-Idols an.

Die südkoreanische Gesellschaft

Bevor wir zur Literatur kommen, möchte ich noch etwas sozialen und historischen Kontext liefern, der aus Platzgründen aber nur sehr oberflächlich bleibt.

Die Geschichte Südkoreas ist durch zahlreiche Konflikte und Kriege geprägt, bei denen vor allem die Besetzung durch Japan eine prägende Rolle spielt. Dazu kann ich nur sehr die hervorragende Apple-Serie Pachinko (sowie die gleichnamige Romanvorlage von Lee Min Jin) empfehlen.

Schaut man sich Dokus über Südkorea an oder hört einfach jungen Südkoreaner*innen zu, entsteht das Bild einer Gesellschaft, die noch konservativer und strikter als die japanische ist. Vor allem der Druck auf Frauen, zu heiraten und Kinder zu bekommen, ist enorm hoch. Selbst von Taxifahrern müssen sie sich regelmäßig belehren lassen, dass sie gefälligst zum Wohl der Nation beizutragen hätten, in dem sie fleißig Kinder bekommen sollen. Die koreanische Gesellschaft ist extrem auf Konkurrenzverhalten getrimmt. Das beginnt schon in der Schule, wo ein großer Druck auf den Kindern lastet, die besten Noten heimzubringen und die Mitschüler*innen als Gegner anzusehen. Was es Individuen schwermacht, aus der Norm auszubrechen und sich selbst zu verwirklichen.

Über all dem schwebt das Han, ein Gefühl, das als eine Mischung aus Melancholie und Sehnsucht nach dem Unbestimmten beschrieben werden kann, die in engem Zusammenhang mit der Teilung des Landes steht, und sich für Außenstehende wie mich einer eindeutigen Übersetzung und Definition entzieht (hierzu sei das Reisebuch An guten Tagen siehst du den Norden von Sören Kittel empfohlen)

All das führt dazu, dass eine junge Autorin wie Cheon Seonran (Tausend Arten von Blau) bei einer Berliner Lesung kürzlich sagte: Wer wolle denn nicht aus Südkorea weg? Dazu gibt es mit Because I Hate Korea übrigens auch einen aktuellen Film.

Literatur

Anders als bei der japanischen Literatur mit Autor*innen wie Haruki Murakami oder Banana Yoshimoto, hat es lange gedauert, bis die südkoreanische bei uns in Deutschland angekommen ist. Ich glaube, so richtig hat die Buchszene sie erst auf dem Schirm, seit Han Kangs Die Vegetarierin 2016 den Booker Prize gewonnen hat und auch in Deutschland recht erfolgreich lief. Der zweite große literarische Welterfolg aus Südkorea ist Kim Jiyoung, geboren 1982 von Cho Nam-Joo, in dem uns die krasse Diskriminierung der Fau in der südkoreanischen Gesellschaft vor Augen geführt wird.  Ebenfalls erwähnt werden sollte Bora Chungs Der Fluch des Hasen – eine phantastische Kurzgeschichtensammlung, die kürzlich einige Aufmerksamkeit erhielt.

Falls ihr euch für Science Fiction aus Südkorea interessiert, dafür gibt es bereits einen eigenen Artikel von Sylvana Freiberg.

Fantasy aus Südkorea ist mir bisher vor allem in zwei Formen begegnet. Jener, die sich stark an westlicher Rollenspielfantasy orientiert, wie z. B. die Romane von Lee Young-do (Gaz Knight) oder Lee Kyung-young (Soaring Hawk). Oder Blood of the Old Kings von Kim Sung-il, der im Oktober in englischer Übersetzung erscheint und den ich schon lesen konnte. Da ist praktisch nichts von koreanischer Mythologie zu spüren, das Buch hätte genauso gut von jemandem aus England oder den USA geschrieben worden sein können – was nicht heißt, dass es schlecht ist.

Das liegt vor allem daran, dass die Fantasy es erst in den 1990ern nach Südkorea geschafft hat und eben jene Autoren erste Werke veröffentlichten, die stark durch Rollenspiele wie Dungeons & Dragons beeinflusst wurden, und sich anfangs wohl auch recht freizügig dort bedienten (siehe Lee Kyung-young).

Und es gibt jene Fantasy, die stark von koreanischen Mythen und Legenden beeinflusst ist, wie z. B. Lee Young-dos Tetralogie Die Legende vom Tränenvogel, in der von mystischen Wesen aus der koreanischen Geschichte nur so wimmelt und diese zu einem ganz eigene und originellen Fantasysetting verwebt. In seinem Frühwerk Dragon Raja aus den 90ern hatte sich Lee noch stark bei Tolkien und D&D bedient, mit dem Tränenvogel aber seine eigene Stimme gefunden. Womit er erfolgreichen westlichen Autoren wie Robert Jordan, Terry Brooks oder Dennis L. Kiernan in nichts nachsteht, die auch erst dreist bei Tolkien geklaut haben, bevor sie dann ihr eigenes Ding entwickelten.

Neben westlicher Rollenspielfantasy und japanischer Fantasy in Form von Mangas, Animes und Computerspielen, haben vor allem Martial-Arts- oder Wuxia-Romane wie Jin Yongs Die Legende der Adlerkrieger einen großen Einfluss. Die Kombination daraus und Sekundärweltfantasy wird in Korea Mukhyang genannt. Prominentestes Beispiel dürfte Dragon Raja sein.

Diaspora

Im Zuge des Erfolgs koreanischer Filme haben auch endlich im Westen (vor allem den USA) aufgewachsene Künstler*innen mit koreanischen Wurzeln eine Chance erhalten. Am bekanntesten dürfte der amerikanische Schauspieler und Filmemacher Steven Yeun (spielte Glenn in The Walking Dead) mit seinem Film Minari - in dem es um eine koreanische Familie geht, die in den USA ihr Glück sucht – und der Netflix-Serie Beef sein. Yeun spielte auch in renommierten südkoreanischen Produktionen wie Burning mit.

Das führte dazu, dass auch Autor*innen mit südkoreanischem Familienhintergrund endlich die Chance erhielten, Werke zu veröffentlichen, die von koreanischen Mythen und koreanischer Geschichte beeinflusst wurden. Wie kürzlich zum Beispiel Mai Corland, die eigentlich Meredith Ireland heißt, in Korea geboren, aber von einem US-amerikanischen Paar adoptiert wurde (zu der Thematik empfehle ich die ausgezeichneten Filme Return to Seoul und Blue Bayou). Sie hat bereits Young-Adult-Romane und Kinderbücher unter ihrem eigentlichen Namen veröffentlicht, als Mai Corland wurde jetzt mit Five Broken Blades ein Fantasyroman veröffentlicht, der teilweise von koreanischen Mythen und koreanischer Historie inspiriert wurde, daneben aber auch eine gehörige Portion an Romantasy-Elementen enthält, die in K-Dramen und historischen Kampfkunstfilmen durchaus üblich sind.

Korea in Deutschland

Anders als bei der japanischen Gemeinde, vor allem in Düsseldorf mit dem Japan-Tag, der jährlich um die 600.000 Besucher anzieht, ist über die koreanische Gemeinschaft in Deutschland relativ wenig bekannt. Einen guten Ansatzpunkt, für alle, die mehr wissen wollen, bietet der Podcast Wir reden die Welt, in dem die beiden in Deutschland aufgewachsenen Koreaner Ini und Jong auf unterhaltsame Weise über Deutschland und Korea plaudern, und auch immer wieder interessante Gäste haben. Besonders möchte ich auf die Folge mit Danny Lee hinweisen, in der es darum geht, warum es in Deutschland bisher noch keine Filme und Serien von Koreaner*innen gibt, und wie Danny Lee das zu ändern gedenkt. Ein weiterer Anspieltipp ist die Ausgabe mit Mai, die die Veranstaltungs- und Partyreihe Asians United mit organisiert und zur Kulturvermittlung zwischen Asien und Deutschland beiträgt.

Was Literatur angeht, fällen mir da nur Thea Hong ein, die in Korea studiert hat und nächstes Jahr mit Seoulicious – Fake Me, Real You einen K-Pop-Roman veröffentlicht, aber auch zwei Romane, die mehr Richtung Fantasy gehen und von koreanischer Mythologie beeinflusst sind. Sowie Nina Bellem, die unter anderem auch Dark Fantasy schreibt.

 

Wer von dem ewig gleichen Erzählschema Hollywoods oder den Erzähltropen der westlichen Literatur gelangweilt ist und sich nach Innovativem auf hohem Niveau sehnt, sollte definitiv mal einen Blick nach Südkorea und die dortige Film-, Serien- und Buchlandschaft werfen, denn hier gibt es echte Schätze zu entdecken. Und die Auseinandersetzung mit einer Kultur, die sich in vielen Punkten von der unsrigen unterscheidet, kann auch nicht schaden, sondern dürfte eher unseren Erfahrungshorizont erweitern.

Markus Mäurer

Der ehemalige Sozialpädagoge und Absolvent der Nord- und Lateinamerikastudien an der FU Berlin, der seit seiner Kindheit zwischen hohen Bücherstapeln vergraben den Kopf in fremde Welten steckt, verfasst seit über zehn Jahren Rezensionen für Fantasyguide.de, ist ebenso lange im Science-Fiction- und Fantasy-Fandom unterwegs (Nickname: Pogopuschel), arbeitet seit einigen Jahren als Übersetzer phantastischer Literatur und ist auf Tor Online für das Content Management und die Redaktion verantwortlich.

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