Science Fiction

No way out. Die Zukunft des Shopping

Tom Cruise steht im Film "Minority Report" in einer futuristischen Filiale des Bekleidungsgeschäfts GAP vor einer Hologramverkäuferin

Tom Hillenbrand, 15.08.2024

Darüber, wie wir in Zukunft einkaufen und konsumieren, hat die Science Fiction erstaunlich wenig zu sagen. Dabei wäre gerade hier ein wenig Phantasie angebracht. Tom Hillenbrand wirft einen Blick auf die mögliche Zukunft des Shopping.

Obwohl Shopping im Alltag vieler Menschen eine relativ prominente Rolle einnimmt, kommt es in der Science Fiction erstaunlich selten vor. Und wenn doch, dann eher als Randaspekt, zum Beispiel in Form von hochhaushoher Außenwerbung („Bladerunner“) oder kurzen TV-Commercials („RoboCop“).

Falls wir in der SF doch einmal Menschen einkaufen sehen, scheint ihr Shoppingerlebnis kaum anders als unser heutiges. In „Minority Report“ besucht Tom Cruise beispielsweise eine Filiale der Modekette GAP. Bei seiner Ankunft wird er von einer holographischen Beraterin angesprochen, die ihm auf Basis früherer Einkäufe Vorschläge unterbreiten möchte. Doch davon einmal ab wirkt das gezeigte Shoppingszenario altbekannt: Es gibt eine physische Filiale. Es gibt Auslagen, Umkleidekabinen und Personal, das Sachen zurückhängt. Ist es nicht seltsam, dass all diese Dinge in der Zukunft noch immer existieren sollen?

Wenn der SF nichts zum Thema einfällt, dann vielleicht Marktforschern oder Futurologen? Jede Unternehmensberatung, die etwas auf sich hält, hat dazu ja Szenarien in petto. Aber die meisten davon wirken bei genauerer Betrachtung zaghaft und fantasielos.

 

Wird die Zukunft wirklich so gewöhnlich?

Eine der gängigsten Ideen ist die eines digitalen Concierge wie im Future-GAP-Store, der aus Einkaufshistorie, Konfektionsgröße und weiteren Datenpunkten Vorschläge generiert. Aber eigentlich sind wir da ja schon; die einmal beäugte, dann aber doch nicht erworbene Hose verfolgt uns tagelang durchs Netz; die Startseiten von Zalando oder Amazon werden nach unseren Vorlieben bestückt.

Interessanter erscheint da die Idee einer hyperlokalen Produktion und Lagerhaltung. Diese wird angeblich dazu führen, dass Einkäufe nicht mehr binnen Tagesfrist, sondern bereits nach wenigen Minuten zugestellt werden. Mit gängigen Artikeln bestückte Lkw könnten ständig durch die Straßen rollen, als fahrende Minilagerhallen. Oder 3D-Drucker fabrizieren die Produkte on demand (mit einer ähnlichen Idee habe ich unlängst in meiner Science-Fiction-Satire „Lieferdienst“ gespielt).

Doch gibt es nicht vielleicht technologische Entwicklungen, die Shopping noch viel stärker transformieren werden, die die Konsumgesellschaft auf den Kopf stellen? Ich würde diesbezüglich gerne eine steile Hypothese wagen. Und zwar die, dass sich die gesamte physische Welt in eine gigantische Shoppingmall verwandelt, aus der es kein Entrinnen geben wird.

Drei technische Entwicklungen lassen vermuten, dass derlei passieren könnte: Fortschritte bei KI-Systemen; eine neue Suchfunktion von Microsoft; eine in gewisser Hinsicht revolutionäre Smartbrille. Zusammen könnten diese drei Technologien die (Konsum-)Gesellschaft auf den Kopf stellen.

Die erste Technologie bildet gewissermaßen die Voraussetzung für die anderen: Mustererkennung per KI. Bei Bildern funktioniert diese inzwischen so gut, dass die Foto-App des iPhone automatisch anzeigt, welche Pflanze, welches Gericht oder welche Sehenswürdigkeit man gerade abgelichtet hat. Für Spracherkennung gilt dasselbe: Der Computer versteht uns nun und antwortet in ebenso verständlichen Sätzen.

Die Musterkennung ermöglicht Technologie Nummer zwei: Microsofts neues Windows-Suchfeature Recall. Der PC fertigt dabei alle drei bis fünf Sekunden einen Screenshot an und extrahiert aus dieser Schnappschuss-Historie sämtliche Informationen — Text und URLs, natürlich, aber auch so ziemlich alles andere. Alle unsere digitalen Interaktionen werden so durchsuchbar. Die Nutzerin kann Recall beispielsweise fragen: „Ich habe doch neulich beim Surfen irgendwo so schicke gelbe Schuhe gesehen. Wo war das noch?“ Recall zeigt ihr dann den vor einer Woche gelesen Spiegel-Artikel, neben dem eine Schuhwerbung platziert war.

Die dritte Technologie, die für unser Welt-als-Shoppingmall-Szenario notwendig ist: eine Smartbrille. Echt jetzt? Es gab in der Vergangenheit ja immer wieder Versuche, Brillen zu lancieren, die ihrem Nutzer zusätzliche Informationen einblenden — augmented reality nannte sich das. Aber allen derartigen Produkten ist gemein, dass sie spektakulär gescheitert sind. Google Glass, Microsoft Hololens oder Apple Vision Pro — niemand wollte dieses Zeug.

Bei den neuen Meta Smart Glasses liegen die Dinge (vielleicht) anders. Die Brille des Facebook-Konzerns sieht aus wie eine stinknormales Ray-Ban-Gestell. Sie blendet dem Nutzer rein gar nichts ein — ihre Gläser sind einfach, nun, Gläser. Mithilfe eines integrierten KI-Chatbots lassen sich per Spracheingabe Suchanfragen tätigen. Eine eingebaute Kamera kann man Fotos oder Videos für Social Media schießen. Das ist, wie bei einer Social-Media-Firma wie Meta (Facebook, Instagram) nicht anders zu erwarten, der bisherige Hauptzweck des Produkts.

Was aber, wenn man die Gedächtnisstütze-Funktion à la Recall mit dem Kamera-Feature der Smart Glasses kombiniert? Die Brille würde dann genau wie der PC alle paar Sekunden einen Screenshot anfertigen — einen Screenshot der realen Welt, wohlgemerkt. Es entstünde eine Art Supertagebuch. Die Geschäfte die wir besuchen, die Auslagen die wir betrachten, die Straßen, die wir entlangflanieren, die Wäsche, die wir falten, das Abendessen, das wir zubereiten — alles landete in einer Recall-Datenbank.

IRL statt URL

Das Ergebnis wäre eine In-Real-Life-Suchmaschine. Wo habe ich meinen Stift hingelegt? Wo war dieses nette Café mit der roten Markise? Wie viel Kalorien haben die Spaghetti Puttanesca, die ich gerade gekocht habe? War da eigentlich noch Bier im Kühlschrank?

Die bisherigen, technisch oft überzüchteten und folglich sehr klobigen Smartbrillen sollten es uns ermöglichen, vom Meatspace aus jederzeit in den Cyberspace zu gucken. Aber vielleicht ist es hilfreicher, wenn wir es stattdessen dem Computer ermöglichen vom Cyberspace jederzeit in den Meatspace zu schauen? Technisch ist das viel einfacher zu realisieren. Ein paar Schnappschüsse reichen dafür aus.

Dieses Szenario wirft natürlich eine Menge Fragen auf. Was ist mit Datenschutz? Was passiert in einer Welt, in der man sich rein gar nichts mehr merken muss, mit unseren mnemonischen Fähigkeiten?

Interessante Fragen, aber es sollte ja vor allem um die Konsumgesellschaft der Zukunft gehen. Also zurück zu den geilen gelben Schulen von vorhin. Sieht eine Konsumentin der Zukunft die Schuhe in freier Wildbahn, zum Beispiel an den Füßen einer anderen Frau, wird das natürlich gespeichert, wie alles andere auch.

Gehen ihr die Schuhe dann nicht mehr aus dem Kopf, kann sie ihr Recall bitten, die Marke zu identifizieren oder ihr den Preis zu nennen. Natürlich kann sie auch veranlassen, dass ein Paar der Schuhe bestellt wird. Denn wenn es zwangsläufig ist, dass jemand Smart Glasses und Recall kombiniert, ist es wohl ebenso zwangsläufig, dass irgendwann jemand Kaufbuttons hinzufügt.

In solch einer Zukunft wäre folglich jedes reale physische Objekt — um den Jargon des alten Internets zu verwenden — klickbar und kaufbar. Es wäre, eine weitere bald obsolete Analogie, wie wenn auf allem ein QR-Code klebte.

Und so würde sich die ganze Welt in eine gigantische Shoppingmall verwandeln. Es wäre nicht mehr notwendig, ein physisches oder virtuelles Geschäft aufzusuchen. Potentielle Objekte der Begierde wären schließlich überall zu finden — auf der Straße, in der U-Bahn, im Club.

Wer derzeit bereits das Gefühl hat, im öffentlichen Raum gebe es zu viel Werbung, sollte sich wappnen. Denn was würden sich die die Marketingabteilungen großer Konzerne wohl alles ausdenken, um in einer Welt, die immer und überall shoppable ist, ihre Produkte an den Mann zu bringen? Würden sie vielleicht Menschen dafür bezahlen, ihre Ware spazieren zu führen?  Würden sie all jene Orte infiltrieren, an denen man bisher von Werbung verschont blieb — Museen, öffentliche Parks, Kirchen?

Schwer zu sagen, wie das im Detail abliefe. Sicher scheint nur: Für alle, die zu Impulskäufen neigen, werden das verdammt harte Zeiten.

Tom Hillenbrand
© Bogenberger Autorenfotos

Tom Hillenbrand

Tom Hillenbrand, studierte Europapolitik, volontierte an der Holtzbrinck-Journalistenschule und war Redakteur bei SPIEGEL ONLINE. Seine Bücher erscheinen in vielen Sprache, wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet und stehen regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.

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