Wird die Zukunft wirklich so gewöhnlich?
Eine der gängigsten Ideen ist die eines digitalen Concierge wie im Future-GAP-Store, der aus Einkaufshistorie, Konfektionsgröße und weiteren Datenpunkten Vorschläge generiert. Aber eigentlich sind wir da ja schon; die einmal beäugte, dann aber doch nicht erworbene Hose verfolgt uns tagelang durchs Netz; die Startseiten von Zalando oder Amazon werden nach unseren Vorlieben bestückt.
Interessanter erscheint da die Idee einer hyperlokalen Produktion und Lagerhaltung. Diese wird angeblich dazu führen, dass Einkäufe nicht mehr binnen Tagesfrist, sondern bereits nach wenigen Minuten zugestellt werden. Mit gängigen Artikeln bestückte Lkw könnten ständig durch die Straßen rollen, als fahrende Minilagerhallen. Oder 3D-Drucker fabrizieren die Produkte on demand (mit einer ähnlichen Idee habe ich unlängst in meiner Science-Fiction-Satire „Lieferdienst“ gespielt).
Doch gibt es nicht vielleicht technologische Entwicklungen, die Shopping noch viel stärker transformieren werden, die die Konsumgesellschaft auf den Kopf stellen? Ich würde diesbezüglich gerne eine steile Hypothese wagen. Und zwar die, dass sich die gesamte physische Welt in eine gigantische Shoppingmall verwandelt, aus der es kein Entrinnen geben wird.
Drei technische Entwicklungen lassen vermuten, dass derlei passieren könnte: Fortschritte bei KI-Systemen; eine neue Suchfunktion von Microsoft; eine in gewisser Hinsicht revolutionäre Smartbrille. Zusammen könnten diese drei Technologien die (Konsum-)Gesellschaft auf den Kopf stellen.
Die erste Technologie bildet gewissermaßen die Voraussetzung für die anderen: Mustererkennung per KI. Bei Bildern funktioniert diese inzwischen so gut, dass die Foto-App des iPhone automatisch anzeigt, welche Pflanze, welches Gericht oder welche Sehenswürdigkeit man gerade abgelichtet hat. Für Spracherkennung gilt dasselbe: Der Computer versteht uns nun und antwortet in ebenso verständlichen Sätzen.
Die Musterkennung ermöglicht Technologie Nummer zwei: Microsofts neues Windows-Suchfeature Recall. Der PC fertigt dabei alle drei bis fünf Sekunden einen Screenshot an und extrahiert aus dieser Schnappschuss-Historie sämtliche Informationen — Text und URLs, natürlich, aber auch so ziemlich alles andere. Alle unsere digitalen Interaktionen werden so durchsuchbar. Die Nutzerin kann Recall beispielsweise fragen: „Ich habe doch neulich beim Surfen irgendwo so schicke gelbe Schuhe gesehen. Wo war das noch?“ Recall zeigt ihr dann den vor einer Woche gelesen Spiegel-Artikel, neben dem eine Schuhwerbung platziert war.
Die dritte Technologie, die für unser Welt-als-Shoppingmall-Szenario notwendig ist: eine Smartbrille. Echt jetzt? Es gab in der Vergangenheit ja immer wieder Versuche, Brillen zu lancieren, die ihrem Nutzer zusätzliche Informationen einblenden — augmented reality nannte sich das. Aber allen derartigen Produkten ist gemein, dass sie spektakulär gescheitert sind. Google Glass, Microsoft Hololens oder Apple Vision Pro — niemand wollte dieses Zeug.
Bei den neuen Meta Smart Glasses liegen die Dinge (vielleicht) anders. Die Brille des Facebook-Konzerns sieht aus wie eine stinknormales Ray-Ban-Gestell. Sie blendet dem Nutzer rein gar nichts ein — ihre Gläser sind einfach, nun, Gläser. Mithilfe eines integrierten KI-Chatbots lassen sich per Spracheingabe Suchanfragen tätigen. Eine eingebaute Kamera kann man Fotos oder Videos für Social Media schießen. Das ist, wie bei einer Social-Media-Firma wie Meta (Facebook, Instagram) nicht anders zu erwarten, der bisherige Hauptzweck des Produkts.
Was aber, wenn man die Gedächtnisstütze-Funktion à la Recall mit dem Kamera-Feature der Smart Glasses kombiniert? Die Brille würde dann genau wie der PC alle paar Sekunden einen Screenshot anfertigen — einen Screenshot der realen Welt, wohlgemerkt. Es entstünde eine Art Supertagebuch. Die Geschäfte die wir besuchen, die Auslagen die wir betrachten, die Straßen, die wir entlangflanieren, die Wäsche, die wir falten, das Abendessen, das wir zubereiten — alles landete in einer Recall-Datenbank.