Mehr Phantastik

Fünf Tage volles Programm – der Science Fiction WorldCon in Glasgow

Ein Aufsteller vom Glasgower Flughafen, der auf den WorldCon 2024 hinweist.

Dirk van den Boom, 14.08.2024

Letztes Wochenende fand der WorldCon 2024 statt. Unser Mann in Glasgow, Dirk van den Boom, berichtet.

Jedes Jahr aufs Neue versammeln sich SF-Fans aus aller Welt, um beim SF-WorldCon tagelang über und um ihr Lieblingsgenre herum zu diskutieren und es zu genießen. Dabei finden die meisten (aber wahrlich nicht alle!) dieser Welttreffen im anglo-amerikanischen Raum statt, der nicht unumstrittene Con 2023 im chinesischen Chengdu war eine besondere Ausnahme. Auch Europa kommt in relativ regelmäßigen Abständen in den Genuss: Dublin war 2019 Gastgeber, Helsinki 2017 und davor London im Jahre 2014.

Dublin ist auch der nächste zukünftige Kandidat in unserer Nähe, da sich das Team für die Veranstaltung im Jahr 2029 beworben hat. Und selbst Deutschland war einmal Gastgeberland für diese wichtige Veranstaltung, auch, wenn da schon einige Jahre her ist: 1970 begrüßten wir als Ehrengäste in Heidelberg den britischen Vielschreiber E. C. Tubb und den amerikanischen SF-Autor Robert Silverberg. Letzterer war immerhin auch dieses Jahr vom 8. bis zum 12. August in Glasgow anwesend und hat an Panels und Signierstunden teilgenommen, quasi eine Institution dieser Veranstaltung.

Ein WorldCon ist immer ein gigantisches Unterfangen, sowohl organisatorisch wie auch von der inhaltlichen Vielfalt und der Besucherzahl her. Auf teilweise acht parallelen Programmschienen wurde ein Kaleidoskop an Themen abgehandelt, das wiederzugeben jeden Rahmen dieses Berichts sprengen würde. Die klassische Form der Programmangebote ist das Panel, auf dem geladene Gäste und Fachleute sich zu bestimmten Themen austauschen. Mit fast 3.000 Ideen für Programmpunkte vor dem Con war für die Organisatoren die Auswahl dessen, was man anbieten konnte, eine Qual der Wahl.

Höhepunkte neben der Eröffnungszeremonie sind immer die fixen Ereignisse eines jeden WorldCons: die Verleihung des HUGO-Awards in zahlreichen Kategorien nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Darüber hinaus wurden Konzerte und andere künstlerische Darbietungen präsentiert und die große Zentralhalle mit Foodtrucks, Händler- und Fantischen sowie Kunstausstellungen lud zum Verweilen ein. Auch die deutsche Fangruppe – mit fast 200 der insgesamt rund 6900 Teilnehmer/innen eine der größeren – hatte mit dem Tisch des Science Fiction Clubs Deutschland (SFCD e. V.) und des MetropolCons, der sich für die Austragung des EuroCons 2026 bewirbt, einen festen Anlaufpunkt.

Wie kann man die Programmvielfalt des WorldCons in Glasgow also am besten darstellen? Vielleicht durch die zufällige Auswahl der Angebote, die der Verfasser dieser Zeilen besucht hat. Es fing an mit einem grandiosen Ein-Mann-Musical zu „Dune“ von Dan Collins und das war perfekt gesungen, perfekt gespielt und sehr unterhaltsam. Ein Panel zum Thema „Writing for Videogames“ machte mich mit Autorinnen und Autoren bekannt, die teilweise für Spiele verantwortlich waren, die ich selber sehr gerne spiele. Eine lebhafte Diskussion, die die Unterschiede zum relativ linearen Romanschreiben hervorhob und die Fallstricke dieser Arbeit offenlegte.

Ein anderes Panel nahm sich des Themas an, wie man als Autor/in selber Hörbücher produzieren kann und was dabei zu beachten ist – ich gebe zu, ich habe eifrig mitgeschrieben. Eine Lesung habe ich genossen, nämlich die des britischen SF-Superstars Alastair Reynolds, die schnell zu einer Diskussion über die Rolle von AI und sozialen Medien wurde (inspiriert durch die vorgetragene Kurzgeschichte).

Das Irische Videospielorchester gab zwei Stunden lang ein Konzert mit bekannten Soundtracks aus Computerspielen zum Besten, der britische Organist Robert Sayer, der zusammen mit Hans Zimmer an der Filmmusik von „Interstellar“ arbeitete, verschaffte dem Publikum einen Eindruck von der Bandbreite seines Instruments jenseits der Kirchenmusik – und dann kam noch die Diskussion über den aktuellen Stand der 3D-Drucktechnik für alle, die ihrem Hobby gerne einen sehr materiellen Ausdruck (im wahrsten Sinne des Wortes) geben wollen.

Und mit der Erwähnung dieser wenigen Programmpunkte ist nicht einmal ansatzweise wiedergegeben, welche inhaltliche Bandbreite diese Veranstaltung zu bieten hatte und welche schmerzlichen Entscheidungen man bei oft parallel laufenden und gleichermaßen interessanten Angeboten treffen musste.

Natürlich gibt es unterschiedliche Vorstellungen vom idealen Conbesuch. Echte Programmjunkies laufen von einem Programmpunkt zum nächsten, was alleine schon deswegen herausfordernd war, weil man oft bis zu einer halben Stunde vorher anstehen sollte, gerade bei besonders populären Angeboten. Waren die Räume voll, wurde man von den Ordnern konsequent abgewiesen. Andere, wie ich, haben vor allem die schöne Atmosphäre mit der internationalen Fanschar in sich aufgenommen. Gäste aus über 30 Ländern strömten in die Hallen des Glasgower Konferenzzentrums und sorgten dafür, dass es kaum ruhige Ecken gab. Aber wegen Ruhe war man auch nicht hier: man wollte eintauchen in eine große Gemeinschaft an Menschen, die alle ein wenig seltsam waren und wo das niemanden störte. An jeder Ecke begegnete man einem der Autorinnen oder Autoren, die nach Glasgow gereist waren – und damit sind nicht nur die Ehrengäste gemeint, denen natürlich besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde (in diesem Jahr u. a. Nnedi Okorafor und Terri Windling). Der Verfasser dieser Zeilen plauderte kurz mit Jeffrey A. Carver, Peter A. Flannery, Robert Silverberg, Alastair Reynolds und Brenda W. Clough, kurze, interessante Begegnungen, die das Gesamterlebnis der Conteilnahme bereichert haben. Es war daher kein Wunder, dass am letzten Tag das vorherrschende Gefühl der einsetzende Conblues war – für dessen Therapie vorausschauend ein eigener Programmpunkt angeboten wurde.

Mit der Abschlusszeremonie und der berühmten „Dead Dog“-Party am Abend des letzten Tages endete das manchmal etwas überwältigende Großereignis. Manche Fans reisten gleich weiter zum EuroCon, der ein Wochenende später in Rotterdam stattfindet. Dem Berichterstatter aber rauchte nach fünf sehr intensiven Tagen irgendwann der Kopf. Dem Conblues aber tat dies keinen Abbruch.

Mein Fazit: Auch, wenn man sonst kein Freund von Großveranstaltungen ist, diese sollte man sich zumindest einmal im Leben gegönnt haben. Der WorldCon in Glasgow war ein durchweg positives Erlebnis. Der nächste ist 2025 in Seattle, das ist mir zu weit – aber meine „supporting membership“ für Dublin 2029 (https://dublin2029.ie/) werde ich noch buchen.

Dirk van den Boom

Dirk van den Boom, geb. 1966, lebt in Saarbrücken und schreibt seit 25 Jahren Science Fiction. Er besucht möglichst jeden europäischen WorldCon.

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