Science Fiction

Ich möchte gefeiert werden! Neue und empowernde Ansätze an Behinderung und Krankheit in der Phantastik

Szene aus "The Peripheral" Folge 3. Connor, dem beide Beine und ein Arm fehlen, sitzt auf seinem futuristischen Gefährt, das auf einem Reifen fährt.
© Amazon Prime

Lena Richter, 30.06.2023

Lena Richter geht der Frage nach, ob die Darstellung von Behinderung und Krankheit in der Phantastik auch anders stattfinden kann, als es bisher meist der Fall ist. Dafür stellt sie uns einige positive Beispiele aus Literatur, Film und Serien vor.

Über die Darstellung von Behinderung und Krankheit in der Phantastik habe ich vor einigen Jahren schon einmal gemeinsam mit Judith Vogt einen Artikel verfasst – in dem ging es vor allem darum, welche schlechten Beispiele der Darstellung es gibt und dass die erzählerische Auslöschung von kranken und behinderten Menschen eben alles andere als utopisch ist. Doch seit Erscheinen des Artikels hat sich glücklicherweise einiges getan, neue erzählerische Ansätze, empowernde Geschichten und mehr selbstverständlich vorkommende Figuren mit Krankheiten und Behinderung. Zeit also für ein Update mit einigen Beispielen und Lesetipps!

„Anders ist schlecht” – über Schönheit und Moral

Oft wurden und werden Geschichten über Krankheit und Behinderung so erzählt, dass körperliche Gebrechen und Abweichungen mit einer moralischen Komponente einhergehen. Anderen, als „entstellt” oder abweichend empfundenen Körpern wohnen auch andere Charaktere inne. Gerade in Märchen und Märchenfilmen finden sich diese Bewertungen, wie es auch Amanda Leduc in ihrem sehr empfehlenswerten Buch Entstellt analysiert. In dem Buch geht es darum, wie oft Körper, die von der Norm abweichen, als Zeichen für einen bösen Charakter benutzt werden (Scar aus König der Löwen, Malefiz aus Dornröschen), wie oft körperliche Schönheit als Motivation oder Belohnung eine große Rolle spielt (Die Schöne und das Biest, Schneewittchen) und wie Figuren von Behinderungen geheilt werden, wenn sie „reinen Herzens” sind – oder eben mit einer Behinderung gestraft, wenn sie moralisch versagt haben: Das hässliche Entlein zum Beispiel, das sich nach langen Entbehrungen, bei denen es stets freundlich und gütig bleibt, als schöner Schwan entpuppt; oder Anakin Skywalker, dessen Fall zur dunklen Seite der Macht ihn umgehend alle Gliedmaßen kostet und in den auf Prothesen und Beatmung angewiesenen Darth Vader verwandelt. Denn bei Märchen hören diese Darstellungen nicht auf. Auch beispielsweise bei den Bösewichten in Bond-Filmen häufen sich die Personen mit körperlichen Abweichungen, im ersten Wonder Woman-Film verbirgt die böse Wissenschaftlerin verschämt ihr entstelltes Gesicht hinter einer Maske. Steve Rogers beweist seinen aufopferungsvollen und guten Charakter, deshalb darf er auch körperlich zum strahlenden Superhelden werden, während der böse Red Skull sein wahres Gesicht als Fratze enthüllt. Und wenn behinderte oder kranke Menschen nicht böse sind, dann sind sie kindgleich und hilflos, eine erzählerische Bürde für die able-bodied Hauptfigur, die sich vielleicht um sie kümmern muss oder ihre Güte beweist, indem sie der behinderten Figur trotzdem Liebe oder Freundschaft entgegenbringt.

Glücklicherweise gibt es inzwischen, auch wenn ableistische Darstellungen immer noch viel zu häufig sind, andere Geschichten. Oft werden sie von denen erzählt, die selbst behindert oder krank sind oder Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten in ihrem nahen Umfeld haben. Und gerade die Phantastik bietet die Möglichkeit, Behinderung und Krankheit auf neue Weise zu erzählen, sich Welten auszudenken, in denen es ganz andere Hilfsmittel und Möglichkeiten gibt, oder schlicht auch behinderte und kranke Menschen Abenteuer bestreiten zu lassen. Empowerment statt Mitleid, das Zelebrieren der Tatsache, dass Körper anders, aber deshalb nicht schlechter sind – in diesem Artikel versuche ich einige Beispiele dafür zu erläutern. Dabei beziehe ich mich bei den chronischen Krankheiten explizit nicht auf psychische Erkrankungen, deren Darstellung vermutlich Stoff für einen eigenen Artikel wären. Eine Anmerkung noch: Das Spannungsfeld zwischen „behindert/krank ist nicht automatisch schlecht” und „viele behinderte/kranke Menschen wären dennoch froh, zumindest einen Teil ihrer Symptome los zu sein" ist mir sehr bewusst. Es geht hier nicht darum, das Leben mit Behinderung oder Krankheit zu glorifizieren, sondern vielmehr darum, dass auch behinderte und kranke Menschen ihren Platz in unseren Geschichten und ihre Stimme in unserer Gesellschaft verdient haben. 

Wo beginnt Behinderung?

Machen wir ein kleines Gedankenexperiment: Welche drei Schlagworte fallen euch zuerst zu Luke Skywalker ein? Ich tippe, für die meisten von euch wird es etwas in Richtung Jedi, Held, Farmboy, Hauptfigur, Pilot, Lichtschwertkämpfer oder Rebell sein. Wer von euch hätte an “behindert” gedacht? Denn ja, seit dem Verlust seiner Hand im Duell mit Darth Vader zählt Luke zu den behinderten Menschen. Würde er aktuell in Deutschland wohnen, erhielte er – so er den Behördenkrieg mit dem Versorgungsamt ausfechten wollte und könnte – vermutlich einen Grad der Behinderung von 50 und wäre somit offiziell schwerbehindert. Wir stellen uns Luke zumeist nicht als behindert vor, weil seine verlorene Hand nur wenige Szenen nach dem Verlust durch eine voll funktionsfähige und optisch nicht erkennbare Prothese ersetzt wird. (Trotzdem wurde Luke nach dem Kinostart von Episode 5 ziemlich schnell zu einer positiven Identifikationsfigur für Menschen, die Hand- und Armprothesen benötigen, und Mark Hamill setzt sich auch nach wie vor für diese ein.) Wie sehr also eine Behinderung überhaupt einschränkt und sichtbar ist, hängt sehr von ihrer Häufigkeit und der Art der verfügbaren Hilfsmittel ab.

Was wir überhaupt als Hilfsmittel für eine Behinderung empfinden und was nicht, hängt hierbei stark von der gesellschaftlichen Norm ab. Viele Menschen, die eine Brille tragen, haben sich vielleicht darüber gefreut, dass Mirabel, die Hauptfigur im Disney-Film Encanto, ebenfalls eine Brille trägt – als erste “Disney-Prinzessin”. Trotzdem wurde die Figur nicht als “erste behinderte Disney-Prinzessin” gefeiert, und das liegt eben daran, dass leichte Sehbehinderungen, die mit Brille ausgeglichen werden können, inzwischen so sehr Teil unserer Normalität geworden sind, dass wir sie nicht mehr als Behinderung oder Krankheit wahrnehmen. Das zeigt sich auch beispielsweise darin, dass NASA-Astronaut*innen lange perfektes Sehvermögen aufweisen mussten, um ins Programm aufgenommen zu werden. Erst als sich auch bei ihren Vorgesetzten die Altersweitsichtigkeit breitmachte und zudem herauskam, dass das Sehvermögen teilweise auch während einer längeren Mission durch die Umstände im Weltraum nachlassen kann, wurden diese Vorgaben gelockert. Eine Brille zu brauchen ist heute kaum noch eine Einschränkung, und auch andere eigentlich ziemlich futuristisch-cyborgig anmutenden Hilfsmittel wie Herzschrittmacher, künstliche Knie- oder Hüftgelenke sind inzwischen so üblich und normal, dass sich selbst die Menschen, die sie benutzen, vermutlich in vielen Fällen selbst als able-bodied oder gesund beschreiben würden. Das sollte trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass in einem Setting ohne heutige moderne Medizin Erkrankungen und Behinderungen, die heute keine große Sache mehr sind, sehr stark einschränkend oder gar tödlich wären. Im Gegenzug kann man sich gerade in Science-Fiction-Geschichten damit beschäftigen, welche heutigen Krankheiten oder Behinderungen durch futuristische Hilfsmittel und Behandlungen mit weniger Einschränkungen einhergehen könnten.

“I want to be celebrated” – Empowerment veränderter Körper

Dies beleuchtet beispielsweise Mary Robinette Kowal in ihrem neuesten Roman The Spare Man, einer Detektivgeschichte an Bord eines Luxusraumschiffs. Die Hauptfigur Tesla Crane hatte vor Jahren einen schweren Unfall und hat seitdem eine durch Metallimplantate stabilisierte Wirbelsäule, chronische Schmerzen und eine posttraumatische Belastungsstörung. Gleichzeitig ist sie unermesslich reich und kann sich die bestmöglichen Behandlungen leisten. Was einerseits sicher auch dazu dient, die Figur überhaupt handlungsfähig zu machen – ohne entsprechende Hilfsmittel, Status und Unterstützung könnte sie nicht so agieren, wie sie es tut – war Tesla für mich als selbst chronisch kranke Person auch ein bisschen Power Fantasy. Ihr Deep Brain Stimulator, der ihre Schmerzen unterdrücken kann, ihre Massage-Drohne und ihr Assistenzhund zeigen, was alles möglich wäre, um auch Menschen mit starken Einschränkungen eine Teilnahme am Leben zu ermöglichen. (Interessanterweise beruhen sowohl der Hund als auch das Gehirnimplantat, wenn auch in anderer Form, auf echten Hilfsmitteln). Gleichzeitig sind Teslas Einschränkungen im Buch allgegenwärtig und es wird niemals suggeriert, dass sie wie jeder gesunde Mensch durch den Alltag gehen könnte.

Ebenfalls eine empowernde Komponente hat Nnedi Okorafors Roman Noor, in dem die Protagonistin AO sehr viele künstliche Körperteile hat. Was auch dort durch eine Krankheit bzw. Behinderung begann, wurde von ihr freiwillig fortgeführt, da sie schlicht mehr Interesse an funktionierenden als an natürlichen Körperteilen hat. Schwierigkeiten machen im Buch vor allem die anderen Menschen in AOs Umfeld, die sie aufgrund ihrer Implantate und künstlichen Gliedmaßen nicht akzeptieren wollen, sogar körperlich angreifen. Dabei verknüpft Okorafor die Vorurteile und den Hass gegen den Körper der Protagonistin auch mit traditionellen Rollenbildern: Ihr Verlobter hasst es, wenn sie sich mit ihren künstlichen Beinen größer macht als er; und immer wieder wird, selbst von wohlmeinenden Nebenfiguren, infrage gestellt, ob AO mit ihrem Aussehen und ihrem Körper, überhaupt eine richtige Frau sein kann. Sie selbst hingegen hat sich von der Jagd nach dem Erreichen von Schönheitsidealen losgesagt: „So why revere the aesthetics of traditional beauty? It’s like worshipping a god who cannot see you. It is choosing to never be celebrated. I want to be celebrated.” AOs Herangehensweise an ihren teilweise künstlichen Körper als etwas Tolles, Starkes und Selbstgewähltes („And after so much recovery, I was somehow amazing”) ist jedenfalls ein guter Kontrapunkt zum sonst oft, gerade im Cyberpunk, üblichen Abwerten von Cyberware als etwas, das man sich vielleicht freiwillig aussucht, aber es zumindest mit einem Teil der eigenen Menschlichkeit bezahlt. AO ist nicht weniger, sondern umso mehr sie selbst, weil sie ihren Körper ganz frei nach ihren Wünschen gestalten kann.

Körperliche Selbstbestimmung

Generell ist körperliche Selbstbestimmung ebenfalls ein wichtiges Thema, wenn es um Ableismus und Geschichten über Behinderte und chronisch Kranke geht. Wie schon eingangs und im verlinkten älteren Artikel erwähnt, darf es nicht darum gehen, möglichst alle Körper einer chronisch gesunden und able-bodied Norm anzupassen – zumal es auch schlicht Abweichungen gibt, die nicht mit Schmerzen oder Einschränkungen einhergehen. Ein gutes Beispiel dafür ist Jenks aus Becky Chambers Roman Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten. Er ist von Geburt an kleinwüchsig und hätte das durch die vorhandene Medizintechnik beheben können. Aber obwohl er nicht an sich gegen Veränderungen des Körpers ist, wollte er sich nicht verändern, nur um anderen zu gefallen oder sich einer Norm anzunähern. „[...]I don’t want the body everybody else told me I should have”. Oft bringt ihm seine geringere Körpergröße bei seinem Job als Mechaniker sogar Vorteile, wenn er beispielsweise in enge Räumlichkeiten hineinpasst, um Dinge zu reparieren.

In dem Roman liefert Chambers viele interessante Gedanken zu körperlicher Autonomie, die auch die Wechselbeziehungen von Disablity und Queerness aufgreifen. In dem Setting ist das Gestalten des eigenen Körpers mit künstlichen Sinnesorganen und Gliedmaßen durchaus üblich, in einigen Communitys, die sich selbst als Modder bezeichnen, aber noch verstärkter in Gebrauch. Der eben erwähnte Mechaniker Jenks erklärt einer anderen Figur, dass Modder sich oft einen anderen Namen geben, der ihrer Identität besser entspricht, und dass sie die Gestaltung des eigenen Körpers als Ausdruck ihrer Freiheit ansehen. “Tweaking your body, it’s all about trying to make your physical self fit with who you are inside.” Mich hat diese Passage sofort an queere Online-Communitys erinnert, in der auch die Wahl und das Ausprobieren des eigenen Namens ein Teil der mit anderen geteilten Identität ist. Und analog zu den Veränderungen des Körpers in der chamberschen Modder-Community wünschen sich auch viele trans, nicht-binäre und inter Personen die Freiheit, ihren Körper nach ihren Wünschen zu gestalten, um ihrer Identität Ausdruck zu verleihen.

Auf das Umfeld kommt es an

Ein ebenfalls wichtiger Ansatz bei der Darstellung von Krankheiten und Behinderungen ist das Aufzeigen der Tatsache, wie sehr es auf das Umfeld ankommt. Hier können auch fiktive Geschichten die realen Differenzen zwischen dem medizinischen Modell (in dem der kranke/behinderte Körper das Problem ist, das „repariert” werden muss) und dem sozialen Modell (in dem die Heilung als Ideal verworfen wird und mit Barrierefreiheit, Hilfsmitteln und Anpassung der Umwelt jeder Person die größtmögliche Autonomie ermöglicht werden soll) widerspiegeln.

Eine Rolle spielen hier auch die Berührungsängste gesunder und able-bodied Menschen, wie es beispielsweise in der Serie Peripheral, der Verfilmung des gleichnamigen Gibson-Romans, gezeigt wird: Hier gibt es mit Connor einen Kriegsveteran, dem drei Gliedmaßen ganz oder teilweise fehlen (und bei dem ich in Unkenntnis der Buchvorlage hoffe, dass die Geschichte „behinderter Mann kann in einer Simulation auf einmal wieder laufen” noch ein paar originellere Wendungen nimmt). An einer Stelle wird er gefragt, wieso er nicht die Prothesen trägt, die sich in seinem Haus befinden, statt sich auf seinem Elektromobil und mit den deutlich sichtbaren Einschränkungen durch die Stadt zu bewegen. Doch Connor weist darauf hin, dass die besagten Prothesen rein kosmetisch sind und er es nicht einsieht, sie zu tragen, damit andere Menschen sich weniger unwohl fühlen, wenn sie ihn ansehen. Und während Connor sichtbar immer wieder Schmerzen hat, eingeschränkt ist und unter seinem körperlichen Zustand leidet, erfährt er viel Unterstützung durch seine ehemalige Armee-Einheit, die durch experimentelle Implantate miteinander verbunden ist. Alle in dieser Veteranentruppe sind durch das Implantat auf Medikamente angewiesen, haben Schmerzen oder schlimme Erinnerungen; gleichzeitig sind sie miteinander verbunden, können sich sogar gegenseitig Schmerzen abnehmen und verstehen einander wortlos, was ihnen sichtbar hilft. Ich bin normalerweise immer etwas skeptisch über das Trope der füreinander einstehenden Militär-Buddies, aber im Fall von Peripheral war die Darstellung der rein männlichen Truppe, die gar nicht anders kann, als ihre Gefühle und Gedanken miteinander zu teilen, für mich ein interessanter Gegenentwurf zu den toxisch-männlichen Klischees, die sonst oft Teil solcher Gruppen sind.

Auch in Fantasy- und historischen Romanen, in denen nicht mit futuristischen Hilfsmitteln gearbeitet werden kann, ist Repräsentation möglich und kann besonders deutlich zeigen, wie wichtig ein unterstützendes Umfeld ist. So gibt es beispielsweise in One For All von Lillie Lainoff, einem an die Drei Musketiere angelehnten Roman, eine Hauptfigur, die, ebenso wie die Autorin, unter POTS leidet, einer Erkrankung, die vor allem bei Bewegung und plötzlichem Aufstehen zu Schwindel und Ohnmacht führt. Die Gefährtinnen der Figur unterstützen sie, bauen sogar einen Aufzug, mit dem sie das anstrengende Treppensteigen vermeiden kann. Hier wird gezeigt, dass nicht die kranke Person das Problem ist, sondern die Umgebung, die angepasst werden muss. Die Hauptfigur drückt es so aus: „The three of you made me realize that whatever this dizziness is ... well, maybe it's never been the real problem. The problem, the real problem, is the people who decide I'm unworthy because of it."

Nebenbei zeigt eine solche Erzählung auch, dass es bestimmte Krankheiten schon immer gab, teilweise hunderte Jahre, ehe man Worte und Diagnosen dafür fand. Ähnlich ist es auch mit der bis heute nicht wirklich ernstgenommenen und oft unerkannten Endometriose, einer chronischen Krankheit, bei der Gebärmutterschleimhaut in den Bauchraum wuchert, was vor allem während der Menstruation zu größten Schmerzen, Übelkeit usw. führt sowie oft die Möglichkeit einer Schwangerschaft erschwert. In Judith und Christian Vogts Wiking-Zeitalter-Roman Schildmaid leidet Dineke, eine der Figuren, ebenfalls darunter, und während die Besatzung der Schildmaid nicht viel an den Schmerzen tun kann, wird sie auf dem größtenteils von Frauen besetzten Schiff während der schlimmsten Schmerztage zumindest entlastet, darf sich ausruhen und muss sich keine blöden Sprüche anhören. Und das ist traurigerweise schon mehr, als viele von Endometriose Betroffene im heutigen modernen Leben erwarten können.

Anders ist gut

Um noch einmal zurück zu Encantos Mirabel zu kommen: Auch wenn diese (bis auf die Brille) keine sichtbare Behinderung hat, gibt es doch auch viele behinderte Menschen, die sich trotzdem in ihr wiedergefunden haben, weil ihr eben die besondere magische Gabe fehlt, die alle anderen Familienmitglieder haben. Dinge nicht zu können, die alle anderen können, gerade im Verbund mit Erwartungen der eigenen Familie oder des näheren Umfeldes, ist eine Erfahrung, die viele behinderte oder chronisch kranke Menschen nachvollziehen können. Gerade die Phantastik bietet viele interessante Möglichkeiten, diese Erfahrungen zu verfremden und mit dem Weltenbau zu verknüpfen. Auch Iva Moor hat in ihrem Debütroman Die Alchemie des Träumens eine Hexe als Protagonistin, die sehr viel schlechter bzw. kaum auf die anerkannte Weise zaubern kann und deshalb in ihrer Familie und Community außerhalb steht. Dabei eint Mirabel und Iva Moors Moira, dass sie deshalb in keinster Weise hilflose oder passive Figuren wären, im Gegenteil, beide wissen sich zu helfen, stehen für sich ein und haben durch ihre eigenen Erfahrungen mit dem Anderssein umso mehr Verständnis für jene, die außerhalb stehen (müssen).

Das Anderssein als etwas Gutes zu zeigen und die Probleme nicht bei abweichenden Körpern beginnen zu lassen, sondern dort, wo sie auf Barrieren und Erwartungen treffen, ist Teil einer neuen Form des Erzählens von Behinderung und Krankheit. Wenn Schmerzen, anderer Körperbau oder fehlende Gliedmaßen zum Teil der Kämpfe werden, denen Protagonist*innen begegnen müssen, statt die Figur deshalb zur böse oder schwach dargestellten Randfigur werden zu lassen, können wir Geschichten erzählen, die der Lebensrealität behinderter und chronisch kranker Menschen gerecht werden.

Lena Richter

Lena Richter ist Autorin, Lektorin und Übersetzerin mit Schwerpunkt Phantastik und veröffentlichte Kurzgeschichten, Essays und Artikel. Lena ist eine der Herausgeber*innen des Phantastik-Zines Queer*Welten und spricht gemeinsam mit Judith Vogt einmal im Monat im Genderswapped Podcast über Rollenspiel und Medien aus queerfeministischer Perspektive. Im Februar 2023 erschien ihre Science-Fiction-Novelle Dies ist mein letztes Lied im Verlag ohneohren. Mehr zu ihr findet ihr auf ihrer Website lenarichter.com oder auf Twitter unter @Catrinity.