Science Fiction

Science&Fiction: Geoengineering

Zeigt eine von Wolken umgebene Erde, die obere Halbkugel ist teils feri, rechts oben geht die Sonne auf
© Noel Verlag

Uwe Post, 05.12.2024

In lockerer Abfolge erforschen wir an dieser Stelle die Beziehung zwischen Wissenschaft und Science Ficton. Greifen fiktive Werke Erkenntnisse oder Trends aus der Forschung auf? Wenn ja, inwiefern? Und inspiriert die SF womöglich sogar Forschende? Oder gelingt es der Wissenschaft zumindest, durch das Aufgreifen von SF-Narrativen ihre Erkenntnisse besser zu vermitteln – was wohl noch nie so wichtig war wie heute? In der aktuellen Ausgabe geht es um Geoengineering.

Die Welt verändern – aber richtig!

Geoengineering bezeichnet massive Eingriffe in irdische Vorgänge, um auf globalem Maßstab das Klima zu beeinflussen. Ausnahmsweise mal positiv – was bisher geschah, also der unbegrenzte Ausstoß von Treibhausgasen, ist natürlich nicht gemeint, sondern die Reparatur des angerichteten Schadens. Ebenfalls nicht gemeint mit Geoengineering ist das Sprengen ganzer Planeten zugunsten von Hyperraum-Umgehungsstraßen. Auch nicht dasselbe ist Terraforming, bei dem es darum geht, einen ganzen Planeten für uns Menschen gemütlich bewohnbar zu machen – ironischerweise wird genau das ja demnächst auch auf der Erde nötig.

Während jedoch bekannte Geschichten über Terraforming des Mars zwecks menschlicher Besiedlung (Kim Stanley Robinson: „Roter/Grüner/Blauer Mars“) oder umgekehrt (H.G. Wells: „War of the Worlds“) schon lange existieren, ist das »richtige« Geoengineering nur selten Thema in der SF. Kein Wunder – solche Vorhaben als realistische Optionen zu betrachten, erfordert schon eine gewisse Klima-Verzweiflung, und die bricht sich erst seit einigen Jahren Bahn. Sie führt zu erhöhtem Klebstoffverbrauch auf Flughäfen und zu der auf den ersten Blick wahnwitzigen Idee, CO2 wahlweise in tiefe Gesteinsschichten zu verfrachten oder an Algenteppiche zu verfüttern. Etwas Fantasie ist nötig, wenn man sich überlegt, von wem oder wo Geoengineering denn realistisch in die Tat umgesetzt werden könnte: die globale Politik kann sich ja nicht mal auf so vergleichsweise simple Dinge wie Weltfrieden einigen.

Neal Stephenson | Termination Shock (2021)

Folglich ist es in Neal Stephensons Thriller keine Staatengemeinschaft, die sich an der technischen Reparatur des Weltklimas versucht, sondern ein superreicher Amerikaner, dem der Geduldsfaden reißt. Kurzerhand baut er auf eigene Rechnung eine Anlage, die Schwefel in die Atmosphäre schießt. Das führt zur Bildung von Aerosolen in der Stratosphäre, letztlich also einem dünnen Wolkenschleier, der die Albedo der Erde erhöht und Sonnenlicht reflektiert, was die Erde etwas abkühlt. Dass das prinzipiell funktioniert, steht außer Frage – diverse Vulkane haben mehrmals in der Erdgeschichte eindeutige Nachweise dafür erbracht. Natürlich ist das Klima nicht besonders genau zu kontrollieren, daher gibt es im Roman ein paar üble Überschwemmungen in bestimmten Gegenden, während die Aktion von anderen Mächten durchaus als nachahmenswerter Erfolg aufgefasst wird. Zahlreiche soziale und andere Konflikte sind die Folge.

Der Titel des Buchs meint übrigens das, was passiert, wenn eine Geoengineering-Maßnahme plötzlich eingestellt wird. Während der Roman die wissenschaftliche Perspektive nach aktuellem Stand nachzeichnet, interessiert sich der Autor vor allem dafür, was der Klimawandel mit den Menschen macht. Wie sie damit umgehen, wie sie es schaffen, trotzdem ihren Alltag zu bewältigen. Und was macht eigentlich die holländische Königin angesichts des steigenden Meeresspiegels?

Die Klimakatastrophe ist ein Problem der ganzen Erde, aber die besteht aus zig Milliarden Individuen, die alle ganz eigene Bedürfnisse und Befindlichkeiten haben. Eine Tatsache, die gerne vergessen wird, wenn man über Ursachen und Lösungen spricht: Eine zufriedene Mehrheit in einem Land bedeutet fast automatisch eine benachteiligte Minderheit in einem anderen, weil Menschen und deren Bedürfnisse nun einmal verschieden sind. Ob in „Termination Shock“ am Ende alle gleich sind, nämlich gleichermaßen am Ende, wird hier nicht verraten.

Was bisher geschah

Wetterkontrolle wird schon im Golden Age-SF oft erwähnt – aber vor allem, um es den Menschen angenehm zu machen. Geregnet wird nachts, tagsüber scheint meistens die Sonne bei angenehmen 23 Grad. Das ist keine differenziert betrachtete Zukunftstechnologie, sondern ein utopisches Heilsversprechen (außer für Regenschirmhersteller).

Klimakontrolle durch Geoengineering findet hingegen in sehr wenigen SF-Geschichten statt. Und wenn, dann meist mit katastrophalen Folgen. Denn epische Kraftentfaltung auf Knopfdruck ist eine wirksame Einladung für Terroristen, und die Konsequenzen von Veränderungen in der Atmosphäre sind wirklich nicht komplett vorhersehbar – dazu sind die Faktoren zu komplex. Aber: Cloud Seeding, also künstlicher Regen, ist keine Science Fiction, sondern Realität. Im April 2024 verbreiteten verschiedene Medien gar die Vermutung, dass eine Sintflut in Dubai durch Cloud Seeding verursacht worden sei. Bei dieser Technik versprühen Flugzeuge bestimmte Salze in Wolken, wodurch diese mit etwas Glück schwere Tropfen bilden und abregnen. Das funktioniert zwar nicht immer, aber im Jahr 2008 behauptete China, schwere Regenfälle von der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele ferngehalten zu haben, indem man die Wolken anderswo abregnen ließ. Überprüft werden konnte das nicht, aber ausgeschlossen ist es auch nicht. In Paris hat’s dieses Jahr jedenfalls nicht funktioniert – aber es hat vermutlich auch niemand probiert. In Europa müsste man da auch mit massiven Protesten rechnen. Womit wir wieder bei den Unterschieden zwischen hier, dort und weitweitfort wären.

Wissenschaftler glauben übrigens nicht, dass Dubai sich seinerzeit selbst geflutet hat – so stark seien die Auswirkungen von Cloud Seeding überhaupt nicht. Jedenfalls scheinen es eher die mit starker Hand regierten Staaten zu sein, die es einfach mal drauf ankommen lassen.

Marc Elsberg | °C - Celsius

So ist es auch im 2023 erschienenen Thriller „°C – Celsius“ von Marc Elsberg kein Privatunternehmer, sondern einen Weltmacht, die im Alleingang das Weltklima korrigieren will, weil die anderen Länder zu zögerlich sind, und zwar … China. Elsberg beginnt den Roman wie einen Katastrophenthriller – mit kurzen Szenen, UFO-Sichtungen, durch passive Nebenfiguren und wichtigem Personal des Weißen Hauses im Alarmzustand. Dass es hier um dramatische Vorgänge geht, ist von Anfang an klar. Was das mit den Menschen macht – außer Hektik und Furcht – bleibt bei so einem Tempo ein bisschen auf der Strecke. Zum Glück behält eine Wissenschaftlerin kühlen Kopf. Auch hier geht es also letztlich um Risiken und Nebenwirkungen – aber aus einer eher politischen Perspektive mit Themen wie Weltmacht, globaler Dominanz und stagnierender Diplomatie. Aspekte, die wichtig sind, von den Erlebniswelten der meisten Menschen aber unüberbrückbar weiter entfernt, was man an vielen Wahlergebnissen ablesen kann.

Kerstin Doerenbruch | Total Reset

Während Stephenson sich Zeit für seine Figuren nimmt und Elsberg den Spannungsregler auf Maximum stellt, beginnt Kerstin Doerenbruchs wenig bekannter Roman von 2021 schon im ersten Satz mit einer Wissenschaftlerin, die bei einer Konferenz das Thema anspricht. Es steht sogar »Geoengineering-Thriller« vorne auf dem Cover. Dementsprechend dominiert hier die wissenschaftliche Perspektive. Dabei wird die Frage des »wie« im Detail verhandelt, aber die des »ob« nicht aus sonderlich vielen unterschiedlichen Blickwinkeln. Wo technische Fragen dominieren, geraten soziale, zutiefst menschliche gelegentlich in den Hintergrund.

Aber ist das nicht gerade der entscheidende Punkt? Wissenschaft und Technik müssen Menschen davon überzeugen, dass ihre Empfehlungen hilfreich sind. Hilfreicher als verlockende Versprechungen zwielichtiger Quatschprediger oder aus ideologischen Gründen limitierter Politiker. Nicht durch Formeln, sondern durch Empathie, den Kleister des Zwischenmenschlichen. Aber das ist leicht gesagt.

Uwe Post – Klima-Korrektur-Konzern

Zugegebenermaßen kommt der Autor dieser Zeilen beim Thema Geoengineering nicht an seinem eigenen Roman von Ende 2021 vorbei. In dem dreht sich vieles um Gewinner und Verlierer. Wer befürchtet, zur zweiten Gruppe zu hören, wird zum Antagonisten, wenn er gegen die Interessen der Mehrheit (und damit der Protagonisten) handelt, ohne aber das absolut Böse zu verkörpern, das in seiner Absolutheit eh nur in Märchen wie Star Wars existiert. Kurz gesagt: Jedes Individuum handelt nach seinen eigenen Bedürfnissen und findet daran nichts »böse«. Die Frage ist nicht, ob Menschen manchmal Mist bauen, sondern nur wie oft und wie viel. Und warum. Und wie man damit umgeht.

Auch im „Klima-Korrektur-Konzern“ wird Geoengineering betrieben, unter anderem mit CO2 fressenden, genmanipulierten Algen. Was soll schon schiefgehen, wenn das Boot sowieso fast gesunken ist? Als genau das dann doch passiert, findet sich eine Hauptfigur unfreiwillig in der Rolle des Schuldigen wieder. Wie gehen er und die anderen Figuren damit um? Was für eine Rolle spielen dann Angst, Vertrauen, Empathie?

Die Geschichte um ein fiktives Firmengeflecht mit gemeinsamen Zielen, aber unterschiedlichen Herangehensweisen bringt einen weiteren Aspekt auf den Tisch: Statt einer riesengroßen Maßnahme (und entsprechend dramatischer Folgen, wenn sie schiefgeht) bringt der namensgebende Konzern im Roman mehrere, kleinere Projekte auf den Weg. Dazu gehört auch vielseitige, gentechnisch optimierte Ernährung ohne CO2-Fußabdruck sowie das Aufhängen von Tillandsien am Polarkreis zwecks Albedo-Erhöhung. Solange wenigstens ein Großteil dieser Maßnahmen glücklich endet, ist der Bevölkerung des Planeten schonmal ein Stückweit geholfen. Angesichts des Ernstes der Lage ist das vermutlich besser als Nichtstun. Das ergibt eine optimistische, wenn nicht utopische Grundstimmung, ohne sträflich die Realität zu verleugnen, in der nun mal nie alles glattgeht.

Ohne Handeln entwickelt sich die Zukunft mit Sicherheit nicht so, wie es für eine Mehrheit angenehm wäre. Die Frage »ob« stellt sich also nicht. Nur »was«. Und »wann«. Auf letztere lautet die Antwort natürlich: »Langsam wird’s echt Zeit.« Romane über Geoengineering machen uns mit den Möglichkeiten und den Folgen vertraut. Welcher wird wohl in späteren Zeiten als visionäre, treffende Vorhersage bezeichnet werden?

Ich bin gespannt.

Uwe Post

Uwe Post, Jahrgang 1968, ist Software- und Spieleentwickler, IT-Berater sowie Autor von IT-Fachbüchern und SF-Kurzgeschichten und -Romanen. »Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes« wurde 2011 mit dem Deutschen Science Fiction Preis und dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet, zuletzt erschien »Errungenschaft freigeschaltet« in der Edition Übermorgen. Außerdem ist Uwe Post Mitherausgeber des Future Fiction Magazine (Deutsche Ausgabe). Er lebt mit seinen Kindern am südlichen Rand des Ruhrgebiets.

Homepage: https://uwepost.de

Instagram: @upostbot

Unsere aktuellen Titel