Science Fiction

Optimistisch trotz Trump: Aktuelle Tendenzen in der Climate Fiction

Coverausschnitt aus "Das Ministerium für die Zukunft. Eine Person steht am Rande einer großen Röhre, hinter ihm der blaue Himmel mit Wolken, einem Zeppelin und dem Mond.
© Heyne

Christopher Dröge, 27.11.2024

In der Climate Fiction geht es um Fragen, über die man sonst eher in den Nachrichten liest – und gerne mal verzweifelt, weil es so wenig Positives zu berichten gibt. Eine Tagung in Bochum hat das Genre unter die Lupe genommen.

In Sachen Klima sieht die Zukunft zurzeit eher düster aus. Während auf der einen Seite die Kette von Horrormeldungen über fast wöchentlich purzelnde Hitzerekorde, Wärme-Anomalien in den Ozeanen, Wetterextreme und Naturkatastrophen wie die Flut in Valencia nicht abreißt, ist auf der anderen Seite der Politik und großen Teilen der Gesellschaft jeglicher Elan abhandengekommen, Maßnahmen gegen die Klimakrise zu ergreifen oder sich auch nur mit dieser auseinanderzusetzen: Klimaleugnende Parteien feiern Wahlerfolge, während sich Aktivisten heftigen Anfeindungen ausgesetzt sehen und kriminalisiert werden. 2024 könnte das erste Jahr werden, in dem die globale Durchschnittstemperatur die Marke von 1,5 Grad über dem Mittelwert vor Beginn der Industrialisierung erreicht – keine zehn Jahre nach dem die internationale Gemeinschaft bei der Klimakonferenz in Paris 2015 übereingekommen war, die Erwärmung auf diesen Wert begrenzen zu wollen.

Das ambitionierte Ziel gilt bei vielen Experten als faktisch tot und die gerade zu Ende gegangene Klimakonferenz COP29 im Ölstaat Aserbaidschan hat wenig dazu beigetragen, Zuversicht zu fördern: Fast zwei Wochen lang versuchten die Industriestaaten den globalen Süden mit einem Trostpflaster von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr als Finanzhilfen für die Dekarbonisierung abzuspeisen – inakzeptabel für die Entwicklungsländer, die ihren Bedarf mit 1,3 Billionen US-Dollar beziffert hatten. Am Ende kam es doch noch zu einer Einigung, der die Entwicklungsländer allerdings nur zähneknirschend und mit der geballten Faust in der Tasche zustimmten - auch die 300 Milliarden im Jahr, die sich die reichen Länder aus den Rippen leiern ließen, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und dann ist da zu allem Überfluss noch Donald Trump, dessen Schatten sich drohend über den ganzen Prozess legt: Der erneut zum US-Präsidenten gewählte Klimaleugner-in-Chief hat als eine seiner ersten Maßnahmen angekündigt, erneut aus dem Pariser Abkommen auszusteigen und die Energieproduktion aus fossilen Quellen gehörig anzukurbeln. Sollte seine Energiepolitik wie geplant umgesetzt werden, könnten die USA bis 2030 zusätzliche vier Milliarden Tonnen Co2 in die Atmosphäre blasen und damit allein für weitere 0,04 Grad Temperaturanstieg sorgen.

Wütend optimistisch

Wie lässt sich also noch von der Zukunft erzählen, die uns da dräut? Nicht, dass es noch niemand versucht hätte, auch wenn es das Feuilleton außerhalb von Genre-Kreisen bis vor wenigen Jahren offensichtlich noch nicht mitbekommen hatte: 2021 fragte der Sachbuchautor Bernd Ulrich in der "Zeit", warum es fast keine Romane gebe, die von der ökologischen Katastrophe handelten und noch 2023 stellte der Sozialwissenschaftler Steffen Vogel die Behauptung auf, dass "der Klimawandel weder in der Breite noch der Spitze der Literaturszene angekommen" sei. "Da musste ich mir schon ein wenig verwundert die Augen reiben", sagt der Bochumer Literaturwissenschaftler Markus Tillmann, "2021 war mein Stapel an Klimafiktion bereits so hoch, dass ich mit dem Lesen gar nicht hinterher kam". Während der Klimawandel immer mehr aus der öffentlichen Debatte verschwände, sei das Thema aus der Literatur nicht mehr wegzudenken, sagt er.

Tatsächlich ist "Climate Fiction" – gemeint sind Erzählungen, die ihren Fokus auf den Klimawandel und seine politischen, sozialen, psychologischen und ethischen Auswirkungen legen - seit den späten 2010er Jahren ein feststehender Begriff, Vorläufer lassen sich in die 1970er Jahre und bis zu den Anfängen der Science Fiction zurückverfolgen. Unter dem Titel "Klimafiktionen" hatte Tillmann die literarische Strömung im Rahmen eines vom Land NRW geförderten Lehrprojekts gemeinsam mit Studierenden unter die Lupe genommen – am Ende des Projekts stand eine Tagung im Bochumer Theater Rottstraße 5, zu der Tillmann Literaturwissenschaftler:innen, Kunstschaffende und Autor:innen eingeladen hatte, darunter Aiki Mira, Theresa Hannig und Zara Zerbe. Alle drei haben zuletzt Romane veröffentlicht, die sich unter das Label der Climate Fiction fassen lassen.

Climate Fiction könne ihre Leserschaft sensibilisieren und wachrütteln, sagte Tillmann in seiner Einführung, "um den Mut aufzubringen, die Hoffnung auf die Rettung der alten Welt fahren zu lassen", so ein Zitat der Kulturwissenschaftlerin Birgit Schneider. Die Komplexität des Klimawandels ließe sich dabei durch die Verwendung einer Vielzahl verschiedener Schreibweisen und Perspektiven spiegeln, wie es etwa Kim Stanley Robinson in "Das Ministerium für die Zukunft" von 2021 getan habe, einem für das Genre zentralen Text. Darin schildert der Autor die Geschichte der titelgebenden Organisation aus der Sicht eines weitläufigen Figurenensembles und verwendet neben erzählerischen Passagen fiktive Augenzeugenberichte, Sitzungsprotokolle und Enzyklopädie-Einträge. Aus diesem Mosaik setzt sich eine Chronik der nahen Zukunft im Kampf gegen den Klimakollaps zusammen, die von einem "angry optimism" geprägt sei, so Tillmann.

Raum für Utopie

Ohnehin schildert Climate Fiction längst nicht zwingend Weltuntergangszenarien, eine ausgesprochen optimistische Interpretation bietet das Feld des Solarpunk, über das die Autorin Alexandra Reß referierte. Der Begriff geht auf einen Eintrag im Blog "Republic of Bees" von 2008 und beschränkt sich nicht auf ein literarisches Subgenre, sondern umfasst vielmehr eine Ästhetik, die von Autoren, Künstlern und Aktivisten gleichermaßen vorangetrieben werde. Visuelle Darstellungen sind geprägt von begrünten Hochhäusern, Gemeinschaftsgärten, Solarpaneelen, Windrädern, Luftschiffen und Zügen – eine Welt, die technologischen Fortschritt nachhaltig und regenerativ denkt. Im Kontrast zum kalten, menschenfeindlichen Brutalismus etwa des dystopischen Cyberpunks finden sich auch Anleihen an verspieltere, frühmoderne Stilistiken, wie dem Jugendstil.

Literarisch formte sich das Genre zwischen 2012 und 2015, wobei die Initialzündung interessanterweise nicht vom englischsprachigen Raum ausging, sondern von einer brasilianischen Anthologie von Kurzgeschichten mit dem Bandwurmtitel "Solarpunk: Histórias ecológicas e fantásticas em um mundo sustentável". 2018 wurde diese von World Weaver Press erstmals ins Englische übersetzt veröffentlicht, worauf weitere Anthologien folgten wie die "Glass and Gardens"-Reihe. Ein Manifest des Solarpunks von 2019 unterstreicht den utopischen Anspruch, indem es ein Gesellschaftsbild entwirft, das von Gemeinschaftssinn, Gleichheit und Inklusion geprägt ist und sich als postkapitalistisch versteht. Zara Zerbes Roman "Phytopia Plus", aus dem sie auf der Tagung las, lässt sich vielleicht nicht in Gänze unter dem Solarpunk-Label einordnen, doch ihr zentrales Motiv von Pflanzen-DNA als Speichermedium, mithilfe dessen sich das Bewusstsein eines Menschen nach dem Tod verewigen lässt, passt ganz hervorragend in diese Vorstellungswelt.

Aiki Mira wiederum sieht sich gar schon in der "Post-Cli-Fi" angekommen. Weil wir bereits im Klimawandel lebten, ginge es nicht mehr darum, eine ökologische Zukunft zu entwerfen, sondern die klimatische Gegenwart zu bewältigen, das Gefühl der Ohnmacht zu verarbeiten, schreibt Mira in einem im Demokratischen Salon veröffentlichten Manifest. Eine solche Post-Cli-Fi sei posthuman und postanthropozentrisch, weil sie sich kritisch damit auseinandersetze, dass "wir andere Lebensformen als minderwertig ansehen, sie ausnutzen oder töten" und den Menschen nicht mehr in den Mittelpunkt von Geschichten und Ökologie rücke. Weiterhin sei Post-Cli-Fi postmigrantisch, da Migration im Klimawandel die Regel sei und gesellschaftsbildend sein könne – und sie sei post-apokalyptisch, da der Kollaps "unendend" sei, stets voranschreitet und dennoch Beziehungen gepflegt werden müssen. Umgesetzt hat Mira diese Leitsätze in ihrem neuen Roman "Proxi", einer "Endzeit-Utopie": Darin schickt sie eine Transfrau und eine KI-Person, die in der virtuellen Realität Proxi ihre eigentliche Heimat sehen, auf eine Reise durch die postklimatische wirkliche Welt, in der in einer surrealen Wüste Bäume aus Müll wachsen und Plastiksedimente vom Wind zu bizarren Skulpturen geformt werden.

Die Hoffnung nicht aufgeben

Während Mira so eine doch recht entfernt erscheinende Zukunft schildert, setzt Theresa Hannig mit "Parts Per Million" unmittelbar an der Gegenwart an: Darin taucht eine Autorin in das Milieu der Klima-Aktivisten ein, zunächst nur zur Recherchezwecken. Doch sie macht sich ihre Ziele zu eigen, lässt ihr bürgerliches Leben hinter sich und radikalisiert sich bis zu dem Punkt, an dem Gewalt eine Option ist, so der Untertitel des Romans. Inspiriert vom Motiv des Ökoterrorismus in Robinsons "Das Ministerium für die Zukunft", entwirft sie eine mögliche Entwicklung, wie aus den "Klima-Klebern" tatsächlich die im konservativen Spektrum herbeifantasierte "Grüne RAF" werden könnte. Hannig möchte ihr Buch als Warnung verstanden wissen. "Wenn wir versuchen, die demokratischen Prozesse durch Gewalt zu umgehen, landen wir am Ende in einem autoritären System", schreibt sie im Nachwort, "nur die Demokratie sichert uns die Rechte, Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten, die wir als freie Gesellschaft brauchen, um die Klimakrise aufzuhalten." Hannig möchte die Hoffnung nicht aufgeben, dass zumindest dieser Aspekt unseres Lebens noch zu retten ist.

Christopher Dröge

Christopher Dröge, freier Journalist, lebt in Köln und schreibt für verschiedene lokale Tageszeitungen, Stadt- und Kulturmagazine. Seit früher Jugend pflegt er seine Leidenschaft für phantastische Literatur in all ihren Spielarten und hat auch selbst schon die ein oder andere Kurzgeschichte veröffentlicht. 

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