Fantasy

Was ist mit der epischen Fantasy los? Teil zwei: Die Sicht der Verlage

Coverausschnit aus Paolo Bacigalupis Roman "Navola" ein roters Auge mit schwarzer Pupille.

Markus Mäurer, 24.10.2024

Für diesen Artikel habe ich die Phantastik-Lektorate aller größeren Publikumsverlage angeschrieben, Beatrice Lampe von Blanvalet, Kathrin Dodenhoeft von Piper und Andy Hahnemann von FISCHER Tor haben geantwortet. Wie sieht die Lage auf dem Buchmarkt in Sachen epischer Fantasy aus?

Hier geht es zu Teil 1.

Beatrice Lampe schreibt, sie haben schon immer neben der Epic Fantasy auch Genres wie Romantasy, Dark Fantasy, Urban Fantasy & Co. Im Programm gehabt, was sich aber geändert habe, sei das Verhältnis diese Stoffe, und dass epische Fantasy aktuell zumindest nicht zu Spitzentiteln erklärt würde. Diese Rolle übernehme aktuell die Romantasy.

„Es vollzieht sich gerade eine kleine Revolution. Das gesamte Genre der Fantasy wird aus einer Romance-Perspektive neu interpretiert. Die erfolgreichsten Romane vermischen klassische Motive der epischen Fantasy (Drachen, Turniere auf Leben und Tod, Heldenreisen etc.) mit den Tropes der klassischen Liebesromane. Und das bringt zwei Hauptveränderungen mit sich: Erstens stellen Frauen jetzt (noch deutlicher als vorher) den Löwenanteil der Lesenden und zweitens werden die Romane kürzer. Ich meine Slowburn schön und gut, aber wer will schon eine Liebesgeschichte auf dreitausend Seiten lesen? Meistens tun es ein paar hundert.“ (Andy Hahnemann)

Kathrin Dodenhoeft wird noch etwas deutlicher: „Aktuell ist es schwer, epische High-Fantasy-Romane mit 800 Seiten und mehr auf wirtschaftliche Art und Weise zu veröffentlichen, denn die Leserschaft ist stark geschrumpft. In Zeiten hoher Papier- und generell hoher Produktionskosten ist das abseits von wenigen bekannten Namen eine große Herausforderung. Darum wird allgemein auf einen geringeren Seitenumfang geachtet und auch die Reihen werden kürzer.“

Lampe fragt deshalb: „Wo sind die Leser*innen epischer Fantasy? Wir können sie nämlich anhand der Verkaufszahlen innerhalb der Fantasy-Warengruppe kaum ausmachen. Suchen sie überhaupt neue Bücher oder warten sie nur auf Nachschub von George RR Martin, Brandon Sanderson oder Patrick Rothfuss? Oder lesen diese erfahrenen Fantasy-Fans zurzeit alle Bände von Frank Herbert, die sie aber möglicherweise schon seit Jahrzehnten zuhause im Regal stehen haben?“

Ein Blick auf die Zahlen bei Media Control zeigt, dass es vor allem die Klassiker sind, die sich weiterhin gut verkaufen, oder zumindest Werke von Autoren, die schon so lange schreiben, dass sie zu den modernen Klassikern zählen. Neue Autor*innen scheinen es schwer zu haben.

„Wir haben vor einer Weile beobachtet, dass neue epische Stoffe wie "Die Söldnerkönig-Saga" von Nick Martell oder Sohn der Sieben von Justin Travis Call bei Blanvalet versandet sind, weil sich niemand für sie interessiert hat. Es wäre grob fahrlässig von uns, in dem Genre weiter Autor*innen groß aufbauen zu wollen.“ (Beatrice Lampe)

Epische Fantasy von Blanvalet/Penhaligon

Das muss sich für Autor*innen epischer Fantasy bitter anhören, ist aus Sicht der Verlage aber verständlich.

So ganz will man die epische Fantasy bei Blanvalet aber nicht aufgeben, und so wird die Drachenlanze von Margaret Weis und Tracy Hickman neu aufgelegt und mit Drachen des Verrats gibt es auch eine Erstveröffentlichung. Und auch von Brent Weeks erscheint mit Nachtengel neue epische Fantasy. Mit etablierten Autor*innen scheint also eher noch was zu gehen.

Den Teufelskreislauf bzgl. Reihen, die von Leser*innen erst gelesen werden, wenn sie vollständig erschienen sind, aber möglicherweise eingestellt werden müssen, weil schon der erste Band keinen Erfolg hat, bestätigten sowohl Lampe als auch Dodenhoeft. Lampe schreibt, die Verkaufszahlen einer Reihe würden sich mit jedem neuen Band halbieren, was bereits vor Akquise eines Titels mit in die Kalkulation einfließe. Und Dodenhoeft bestätigt:

„Wenn dann die Verkaufszahlen schon bei Band 1 schlecht sind, werden Reihen oft eingestellt, um Verluste gering zu halten/zu vermeiden. (Oder Reihen, bei denen dies vorausgesehen wird, werden gar nicht erst publiziert.) Genau das passiert bei der Programmplanung.“

„Wir haben ganz gute Erfahrungen mit großen, schönen HC-Bänden gemacht, in denen wir eine ganze Reihe in einem einzelnen Band anbieten. Beispielsweise ‚Shades of Magic‘ von V.E. Schwab, den gesammelten ‚Elric‘ von Michael Moorcock oder ‚Erdsee‘ von Ursula Le Guin. Hier müssen die Leser*innen keine Angst mehr haben, dass die Reihe abbricht. Aber das geht eigentlich nur bei bekannten Autor*innen und Klassikern. Bei extrem gut angenommenen Reihen – wie Das Reich der Vampire von Jay Kristoff, warten die Leser*innen aber auch gern mal zwei Jahre auf den nächsten Band.“ (Andy Hahnemann)

Epische Fantasy von FISCHER Tor

Die Faktoren Romantasy und Tik Tok

Was die Romantasy angeht, begrüßt Lampe vor allem den Enthusiasmus, mit dem sich die Leserschaft über die Bücher unterhalte. Romantasy sorge aktuell für einen enormen Zuwachs an jungen Leser*innen. Und sie setzt Hoffnung darauf, dass diese Leser*innen langfristig auch mal über den Tellerrand der Romantasy schauen werden und in andere Genres lesen. Dodenhoeft sieht ebenfalls einen Aufschwung, der durch die Romantasy und deren Verbreitung auf TikTok ausgelöst worden sei.

Sichere Planbarkeit bietet das aber anscheinend nicht für die Verlage. „Es ist einfach unklar, wohin die Reise der Leser*innen geht. Was werden sie lesen, wenn ihnen die achtzehn Romantasy-Tropes doch ein wenig zu eintönig geworden sind? Werden sie das Genre wechseln oder aufhören zu lesen? Werden sie zur realistischen Literatur wechseln oder tiefer ins Genre einsteigen? Entscheidend wird nicht nur das Angebot der Verlage sein, sondern vor allem ein globaler Trend, der sich via TikTok verbreitet und die gesamte Alterskohorte erfasst.“ (Andy Hahnemann)

„TikTok ist eine wilde und nicht vorhersagbare Trend-Maschine, bei der man von Glück reden kann, wenn man die Stoffe bereits unter Vertrag hat. Auf der Jagd nach neuen Stoffen befinden sich traditionelle Fantasy-Verlage plötzlich in hochkompetitiven Auktionen um Rechte, bei denen uns das Jugendbuch, Kleinst- und Selbstverlage und neuerdings auch belletristische Reihen auf den Pelz rücken. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, rüsten wir unsere Spitzentitel regelmäßig mit Farbschnitt aus – aber wie so oft stellt sich die Frage: Können wir uns das überhaupt leisten, wenn wir am Ende nur ein paar tausend Exemplare verkaufen?“ (Beatrice Lampe)

Kathrin Dodenhoeft von Piper bestätigt, dass Planbarkeit nur innerhalb gewisser Grenzen gegeben sei, schreibt aber auch, dass es keine Garantie auf Erfolg mit Farbschnitten sei und sich die erhöhten Kosten auch erst einmal rechnen müssten. Ihr aktueller Blick auf den Buchmarkt der Fantasy fällt trotzdem positiv aus:

„Wenn man die Romantasy einbezieht, geht es dem Genre allgemein auf dem deutschsprachigen Markt gerade sehr gut. Mich stimmt das sehr positiv, denn sowohl Romantasy als auch Cozy Fantasy eignen sich sehr gut für Fantasy-Einsteiger*innen, die dann hoffentlich dabeibleiben und breiter lesen, vielleicht den Einstieg auch in komplexere, epische Fantasy finden. Das kann für die Fantasyszene nur gut sein.“ (Kathrin Dodenhoeft)

Epische Fantasy von Piper

Auch Beatrice Lampe blickt grundsätzlich positiv auf den Markt und die Zukunft, wenn auch mit kleinen Abstrichen:

„Die Warengruppe Fantasy verkaufte 2023 deutlich mehr Bücher als 2022 – das ist eine großartige Wendung, hängt aber auch mit dem sich überschlagenden Erfolg einiger weniger Umsatzbringer zusammen. Besonders die deutschsprachigen Autor*innen stehen vor der Herausforderung, angesichts von Yarros & Co. überhaupt wahrgenommen zu werden. Und viele Verlage, die neuerdings Fantasy veröffentlichen, werden überrascht sein, wenn sie nur wenige tausend Exemplare ihrer deutschen Ausgaben von gehypten Büchern aus US/UK verkaufen – und sich möglicherweise bei Garantiezahlungen verausgabt haben.

Vor dem Hintergrund denke ich, dass bald Ernüchterung bei allen Beteiligten eintritt – und dass auch der Buchhandel wieder nach Nicht-Romantasy verlangt. Einfach weil die Stoffe in der Menge zu viele und zu austauschbar sind. Und dann sind wir Fantasy-Traditionsverlage zur Stelle – mit unserem vielfältigen, progressiven und hochwertigen Titeln.“

„Rein rechtemäßig habe ich den Eindruck, dass wir uns bei der internationalen Romantasy gerade in einer Art Tulpenwahn befinden: Hier werden sehr hohe Vorschüsse für Serien und Autor*innen gezahlt, die lediglich eine steile Karriere auf dem Amazon-Selfpublishermarkt und ein paar Dutzend begeisterte TikTok-Rezensionen vorzuweisen haben. Dabei können wir nie sicher sein, ob der Hype überhaupt bis zur deutschsprachigen Ausgabe trägt. Und dass uns gerade bei Erfolgstiteln die englische Ausgabe fast die Hälfte des Umsatzes abgräbt, macht die Sache auch nicht besser. Der Markt ist nicht einfacher geworden, auch wenn ein Teil der Branche zu glauben scheint, wir hätten mit der Romantasy jetzt eine Gelddruckmaschine im Keller.“ (Andy Hahnemann)

So viel zur Verlagsperspektive. Hier geht es zu Teil 3, in dem sich Buchhandel  und Leserschaft zum Thema epische Fantasy äußern.

Epische Fantasy ab September 2025 bei FISCHER Tor

Markus Mäurer

Der ehemalige Sozialpädagoge und Absolvent der Nord- und Lateinamerikastudien an der FU Berlin, der seit seiner Kindheit zwischen hohen Bücherstapeln vergraben den Kopf in fremde Welten steckt, verfasst seit über zehn Jahren Rezensionen für Fantasyguide.de, ist ebenso lange im Science-Fiction- und Fantasy-Fandom unterwegs (Nickname: Pogopuschel), arbeitet seit einigen Jahren als Übersetzer phantastischer Literatur und ist auf Tor Online für das Content Management und die Redaktion verantwortlich.

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