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Was ist mit der epischen Fantasy los? Teil eins: Die Ausgangslage

Coverausschnitt des Buchs »Sommer der Zwietracht« von Daniel Abraham, mit einem Motiv von Stephan Martiniere. Wir sehen eine Gestalt in weitem Gewand und mit langem Stab, die den Hafen einer riesigen Stadt beobachtet, der Gebäude im Stil der Antike sich links erheben, während rechts Schiffe zu sehen sind. Alles in grünen und gelben Farben gehalten.
© Stephan Martiniere/Blanvalet

Markus Mäurer, 24.10.2024

In dieser dreiteiligen Artikelserie möchte ich der Frage nachgehen, wie sich der deutschsprachige Buchmarkt für die epische Fantasy in den letzten Jahren verändert hat. In Teil eins beschreibe ich die Ausgangslage, in Teil zwei kommen einige Fantasylektor*innen zu Wort und in Teil drei der Buchhandel und die Leser*innen.

Im Frühjahr 2024 veröffentlichten einige der größten englischsprachigen Booktuber wie Petrik Leo und Library of a Viking Videos mit Titeln wie Is Epic Fantasy dying? Damit griffen sie Äußerungen von Fantasyautoren auf, die diese in Interviews oder den sozialen Medien getätigt hatten. Es ging darum, dass von den Verlagen aktuell keine epische Fantasy mehr gewünscht würde, es Wort- bzw. Seitenzahlbegrenzungen gebe und die Bände abgeschlossen sein sollten.

Was ist da los?

Dass die Fantasyprogramme – auch der deutschen Publikumsverlage – vor allem von Romantasy dominiert werden, wird durch die aktuellen Frühjahrsvorschauen mehr als deutlich. Dazu noch ein wenig Cozy Fantasy und alles, was halbwegs farbschnitttauglich ist. Aber großangelegte Fantasy-Serien, die von Anfang an über mehr als drei Bände geplant sind: Fehlanzeige.

Doch vielleicht sollten wir erst einmal klären, was mit epischer Fantasy gemeint ist.

Was ist Epic Fantasy?

Ein Epos, wie es die alten Griechen verstanden, ist einfach eine erzählende Dichtung. Prominentestes Beispiel dürfte Homers Odyssee sein, die eine epische Geschichte über Krieg und Schicksal spinnt, also vom titelgebenden Odysseus, dem trojanischen Krieg und der jahrelangen Irrfahrt voller Abenteuer zurück nach Hause, die unser Held nach dem Krieg erlebte.

Es geht um Ereignisse, die in einem großen Rahmen stattfinden, mit einer Handlung, die oft Jahre, Jahrzehnte oder, wie in mancher Fantasy, gar Jahrtausende umspannt. Und viele Bände. Ich denke da z. B. an Robert Jordans „Das Rad der Zeit“ mit seinen 15 Bänden. Terry Goodkinds „Das Schwert der Wahrheit“ mit 11, oder Raymond Feists Midkemia-Saga mit 30 Bänden.

In der Regel gibt es ein großes Figuren-Arsenal, deren Geschichten oft in sich abwechselnden POV-Kapiteln erzählt werden. Es geht um große Konflikte zwischen unterschiedlichen Ländern und Reichen, mit Intrigen, Verschwörungen, Attentaten und Schlachten. Es wird groß gedacht. Steven Eriksons „Malazan Book of the Fallen“ („Das Spiel der Götter“) umfasst z. B. zehn Bände (in der Originalfassung, im Deutschen sind es 19), die eine in sich geschlossene Handlung erzählen, die von Anfang bis Ende durchgeplant ist, unzählige Figuren und Fraktionen enthält und einen Zeitraum von mehreren hunderttausend Jahren abdeckt.

Andere Serien, wie zum Beispiel. R. A. Salvatores Drizzt-Saga enthalten in sich abgeschlossene Zyklen, die alle in der gleichen Welt spielen, und in denen es wiederkehrende Figuren gibt. Hier schreiben die Autor*innen oft einfach aufgrund des Erfolgs weiter, ohne einen großen Plan zu haben.

Ihre Hochzeit hatte die epische Fantasy in den 1990ern und den frühen Nullerjahren. Wer damals in die Buchhandlung ging, traf in den Fantasy-Abteilungen oft ganze Regalreihen mit Büchern im gleichen Design an, die alle zu einer Fantasy-Serie oder Reihe gehörten. Damals konnte man oft tatsächlich sämtliche erschienenen Bände vom "Rad der Zeit" im Buchladen finden.

Für Verlage und Autor*innen bedeutete eine erfolgreiche Fantasy-Serie Planungssicherheit, weil sie sichergehen konnten, vom nächsten Band eine bestimmte Mindestzahl zu verkaufen. Und die epische Fantasy als Subgenre bot sich perfekt an, die Leser*innen bei der Stange zu halten und neugierig auf den nächsten Band zu machen. Verträge wurden oft direkt über mehrere Bände abgeschlossen und enthielten sogar eine Mindestzahl an Worte bzw. Normseiten, die nicht unterschritten werden sollte. Fantasy wurde vor alle mit dicken Schinken assoziiert.

Die Ursachen für den Einbruch der epischen Fantasy

Das hat sich inzwischen geändert, Peter McLean, Adrian Tchaikovsky und andere Autor*innen berichten davon, dass jetzt in den Verträgen eine maximale Anzahl an Worten bzw. Seiten festgelegt wird, die weit unter dem liegt, was früher die Norm war. Einst berichtet Bernhard Hennen auf einer Lesung davon, er habe im Vertrag für die Elfen-Romane eine Mindestzahl an Normseiten von 700 stehen gehabt. Mit Ausnahme des Auftaktbandes haben die vier Folgebände seiner aktuellen Schattenelfen-Saga alle unter 500 Seiten. Die Rückkehr der Zwerge von Markus Heitz wurde auf zwei Bände mit je weniger als 500 Seiten aufgeteilt. Vor 15 Jahren noch undenkbar.

Falls ihr die Programme der Verlage in den letzten Jahren etwas genauer im Auge behalten habt, ist euch vielleicht aufgefallen, dass der Trend sogar weg von der geheiligten Trilogie hin zur Dilogie geht. Also maximal zwei von vornhinein geplanten Bänden, die eine abgeschlossene Geschichte erzählen, aber auch die Option auf eine Fortsetzung bei Erfolg enthalten.

Das hat Gründe. Da in der Vergangenheit immer wieder Fantasy-Serien vorzeitig abgebrochen (oder zumindest nicht fertig ins Deutsche übersetzt) wurden, oder die nächsten Bände ewig auf sich warten lassen, gibt es immer mehr Leser*innen, die Fantasy-Serien erst kaufen, wenn alle Bände erschienen sind. Das sorgt natürlich für einen Teufelskreis, da so weniger Exemplare von den ersten Bänden verkauft werden, als möglich wäre, und damit die Gefahr steigt, dass der Verlag die Serie vorzeitig einstellt. Deshalb werden so lange Sachen gar nicht mehr geplant. Der Verlag geht lieber auf Nummer sicher und suggeriert den Leser*innen, dass sie hier auf jeden Fall eine abgeschlossene Geschichte erhalten. Was in Deutschland unter anderem dazu führt, dass bei Mehrteilern die verschiedenen Teile innerhalb relativ kurzer Zeitabstände von wenigen Monaten veröffentlicht werden.

Wie es scheint, ist aber auch die Aufmerksamkeitsspanne des Buchmarktes und der Leser*innen gesunken. Da Romane inzwischen noch viel stärker mit anderen Medien wie Serien und Computerspielen konkurrieren müssen, geraten sie viel schneller in Vergessenheit bzw. verschwinden rascher aus dem öffentlichen (bzw. Fandom-) Diskurs.

Die Folgen

Für Verlage und Autor*innen bedeutet dies eine geringere Planungssicherheit. Die Autor*innen verlieren vielleicht die Bindung an eine treue Fanbasis. Die Wiederverwertbarkeit der aufwendig entworfenen Welt sinkt. Wir Leser*innen können nicht mehr so intensiv über viele Bände in riesigen Welten versinken. Die Welten- und Geschichtenentwürfe werden weniger komplex.

Ausblick

Trends finden auf dem Buchmarkt und in der Fantasy oft in Zyklen statt. Was für einige Zeit von der Bildfläche verschwunden ist, könnte in zehn Jahren plötzlich wieder gut laufen und gewünscht sein. Ob das bei der epischen Fantasy aber auch der Fall sein wird, ist allerdings fraglich. Denn der Trend zur niedrigen Aufmerksamkeitsspanne ist Teil einer längerfristigen und tiefgreifenden Entwicklung. Auch bei Serien und Filmen sinkt die Halbwertszeit immer weiter. Selbst in der Musik hat der Erfolg von TikTok dafür gesorgt, dass Songs immer kürzer werden und Snippets in TikTok-Länge enthalten. Die Verkürzung und Vereinfachung von einst komplexen Werken scheint einem gesamtgesellschaftlichen Trend zu entsprechen, der sich gleichermaßen in den Sphären der Kultur, der Bildung und der Politik vollzieht. Zeugt nicht auch der Aufstieg populistischer Parteien davon, dass viele Menschen (vermeintlich) einfache Lösungen für komplexe Probleme suchen?

Ein Hoffnungsschimmer könnte ausgerechnet im Selfpublishing liegen. Dort haben aktuell Autor*innen wie Ryan Cahill („The Bound and The Broken“) oder M. L. Wang (Sword of Kaigen) weiterhin großen Erfolg mit epischer Fantasy. Ihnen ist es gelungen, sich eine treue Fanbase zu erarbeiten, die dafür sorgt, dass sie es sich weiterhin erlauben können, größere Entwürfe zu planen.

So viel zu einer ersten Einschätzung der Lage. In Teil 2 erfahren wir mehr über die Sicht der Verlage.

Markus Mäurer

Der ehemalige Sozialpädagoge und Absolvent der Nord- und Lateinamerikastudien an der FU Berlin, der seit seiner Kindheit zwischen hohen Bücherstapeln vergraben den Kopf in fremde Welten steckt, verfasst seit über zehn Jahren Rezensionen für Fantasyguide.de, ist ebenso lange im Science-Fiction- und Fantasy-Fandom unterwegs (Nickname: Pogopuschel), arbeitet seit einigen Jahren als Übersetzer phantastischer Literatur und ist auf Tor Online für das Content Management und die Redaktion verantwortlich.

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