Franziska Thurau und Lennard Schmidt, 13.03.2025
Nachdem es in Teil 1 um antisemitische Tropen in der Fantasy ging, widmet sich Teil 2 der Darstellung des Holocausts, Verschwörungen und positiven Gegenbeispielen. Erklärt, wie grauenvolle reale Ereignisse in Fantasywelten verarbeitet werden und karikaturhafte Bösewichte zur Verhamlosung beitragen, die Fantasy aber auch dafür geeignet ist, überholte Erzählmuster zu brechen.
Der Artikel enthält Spoiler zur Metro-Reihe von Dmitri Gluchowski, zur ursprünglichen Klingen-Trilogie von Joe Abercrombie, zu Der dunkle Turm von Stephen King und der Anime-Serie Attack on Titan.
1. Der Holocaust in der Fantasy-Literatur – eine Polemik
Zu Beginn eine Frage: Warum fühlen sich so viele Autor:innen bemüßigt, den Holocaust zu thematisieren? Ob als direkte historische Referenz – etwa in X-Men, wo Magneto als Holocaust-Überlebender zum Schurken wird, oder in Die Bücherdiebin, in der der Holocaust durch das Prisma einer jungen Deutschen erzählt wird, in die sich der Tod selbst verliebt – oder als Allegorie, die das Grauen des Holocausts auf fantastische Welten überträgt.
In vielen dieser Welten gibt es eine symbolische Entsprechung für Verfolger und Verfolgte, für Täter und Opfer. In Sapkowskys Witcher-Saga etwa nehmen die Elfen und Zwerge diese Rolle ein. Sie werden aus ihren angestammten Gebieten vertrieben, in Ghettos gesperrt und stehen kurz vor der Auslöschung – nicht etwa wegen konkreter politischer oder strategischer Entscheidungen, sondern allein aufgrund der irrationalen Angst der Menschen vor ihrer „Andersartigkeit“. Ähnlich verhält es sich mit den Skaa in Sandersons Mistborn, den unterjochten Stämmen des Imperiums in The Broken Empire von Mark Lawrance oder den Speerlies in The Poppy War von R. F. Kuang.
Der Holocaust dient hier als Blaupause für die Darstellung systematischer Verfolgung – mal mit bewusster Anlehnung, mal als unreflektiertes Muster. Es scheint fast so, als sei die Holocaust-Metapher ein erzählerischer Reflex geworden, eine Art literarischer Standard, an dem sich die Darstellung von Unterdrückung orientiert. Doch warum eigentlich? Warum wird der Holocaust so häufig als erzählerischer Bezugspunkt herangezogen – und was bedeutet das für unser Verständnis von Geschichte und Erinnerung?
Nicht, dass es keinen Anlass dafür gäbe: Der Holocaust ist das Zivilisationsverbrechen schlechthin. Eine literarische Auseinandersetzung damit ist nicht nur legitim, sondern notwendig. Doch hier liegt der Warg begraben: Wer sich des Holocaust als Erzählmotiv bedient, trägt die moralische und intellektuelle Verantwortung, es mit Sorgfalt zu tun. Sonst passiert, was viel zu oft geschieht: Der Holocaust wird nicht in seiner historischen und politischen Spezifik begriffen, sondern als vage Referenz, als Schablone für ultimative Bosheit verwendet – oder schlimmer noch, als Verschwörungserzählung.
Dass die Thematisierung des Holocaust eher zur Ver- als zur Erklärung seiner Ursachen, Dynamiken und Motive beiträgt, beginnt oft bereits damit, wie die Nazis – oder eben die entsprechende Fantasy-Variante der Nazis – dargestellt werden.
Nazis sind die bequemsten Bösewichte, die sich ein Autor oder eine Autorin vorstellen kann. Keine Fraktion kann man mit weniger Skrupeln verprügeln, erschießen oder in die Luft jagen. Das Problem: Viel zu oft werden Nazis auf eine reine ästhetische Bedrohung reduziert, während ihre Ideologie völlig entkernt wird.
Beispiele dafür gibt es unzählige: Hellboy, Indiana Jones, Wolfenstein – überall sind Nazis nicht etwa antisemitische Ideologen, sondern finstere Strippenzieher, die sich mit Dämonen, dunkler Magie oder okkulten Mächten verbünden oder wahlweise wahnsinnige Knallchargen mit absurden Welteroberungsplänen. Nazis sind keine Menschen mehr, sondern groteske Karikaturen des Bösen.
Das mag gut gemeint sein – aber es führt zu einem paradoxen Effekt:
Je dämonischer Nazis dargestellt werden, desto weniger setzt man sich mit ihren realen Gedanken auseinander. Ihre Ästhetik wird endlos kopiert – dunkle Uniformen, finstere Symbole, markige Reden –, doch ihr Inhalt verschwindet dahinter. Diese Dämonisierung macht es leicht, sich von ihnen zu distanzieren, denn sie sind dann keine reale Gefahr mehr, sondern nur noch Märchenfiguren. Und genau dadurch werden sie harmlos.
Wenn Nazis zu reinen Symbolen für das Böse werden, was bleibt dann für ihre Opfer? Meistens nicht viel. Der Holocaust wird in vielen Werken als Kulisse für die moralische Läuterung der Figuren genutzt – während jüdische Figuren oft als passive Märtyrer erscheinen, die der Geschichte keinen eigenen Antrieb geben.
Bestes Beispiel: Das bereits erwähnte Die Bücherdiebin.
Die Geschichte spielt im Dritten Reich, es gibt einen jüdischen Flüchtling namens Max, doch das eigentliche Drama dreht sich um das deutsche Mädchen Liesel und ihre Entwicklung. Max ist passiv. Er bleibt im Keller, wartet, hofft – aber er handelt nicht. Der Holocaust wird nicht als Geschichte jüdischer Verfolgung erzählt, sondern als Geschichte deutscher Moralität.
Das ist ein Muster, das sich oft wiederholt: Jüd:innen existieren in vielen Holocaust-Erzählungen nur als symbolische Opfer. Ihre Perspektive bleibt ausgeblendet, ihr Handeln ist irrelevant – ihr Leid dient einzig dazu, den moralischen Ernst der Erzählung zu unterstreichen. Und weil sie nicht mehr als Marker sind, interessieren sich die Autor:innen auch nur sehr selten dafür, warum sie überhaupt verfolgt werden. Ihre Gegner sind eben böse, das heißt rassistisch, das heißt auch irgendwie antisemitisch. So genau weiß man das aber auch nicht – oder möchte es auch nicht wissen. Was aber die Nazis in ihrem Wahn antrieb, war eben nicht ihre moralische Verkommenheit, sondern Antisemitismus. Und der zeichnet sich in seiner eliminatorischen Spezifik dadurch aus, dass er weit mehr ist als »Rassismus gegen Juden«. Es wäre die Aufgabe der Autor:innen, das zu reflektieren und künstlerisch zu verarbeiten.
Noch problematischer wird es, wenn Holocaust-Allegorien eine perfide Wendung nehmen – und die Opfer am Ende als eigentliche Täter dargestellt werden. Immer wieder tauchen in der Fantasy-Erzähltradition Figuren auf, die zunächst als unterdrückte, marginalisierte Gruppen inszeniert werden, sich dann aber als existenzielle Bedrohung entpuppen. Besonders auffällig ist dieses Muster im Manga/Anime Attack on Titan.
Die Eldia, die in Ghettos gesperrt, mit Armbinden markiert und systematisch unterdrückt werden, sind zunächst klar als Holocaust-Allegorie angelegt. Der Antisemitismus-Vergleich liegt nahe: Eine Gemeinschaft wird als unberechenbare Gefahr konstruiert und von der Mehrheitsgesellschaft mit Gewalt unter Kontrolle gehalten. Doch je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr verschiebt sich das Bild. Am Ende der Erzählung stellt sich heraus, dass die Eldia tatsächlich die ultimative Bedrohung für die gesamte Menschheit sind. Eren Jäger, die zentrale Figur der Serie, entscheidet sich, die Weltbevölkerung fast vollständig auszulöschen, indem er die Titanen entfesselt. Die Implikation ist nicht zu übersehen: Der Verdacht, dass die Eldia eine Bedrohung darstellen könnten, war letztlich nicht unbegründet. Ihre Verfolgung, ihre Ghettosierung, ihre systematische Entrechtung – all das erscheint nachträglich in einem anderen Licht. Die Geschichte suggeriert: Vielleicht hatten die Unterdrücker ja doch recht.
Dieses Muster ist nicht nur erzählerisch problematisch, sondern auch gefährlich, weil es reale Diskriminierungsideologien spiegelt. Antisemitische Verschwörungsmythen haben seit Jahrhunderten behauptet, dass Jüd:innen insgeheim an der Vernichtung der nichtjüdischen Welt arbeiten würden. Genau dieses Bild – eine verfolgte Minderheit, die sich schließlich als existenzielle Bedrohung entpuppt – wiederholt sich in diesen Fantasy-Erzählungen. Die angeblich kritische Auseinandersetzung mit Faschismus und Unterdrückung endet hier in einer Täter-Opfer-Umkehr: Die Opfer erweisen sich als die eigentlichen Täter, ihre Unterdrückung wird im Nachhinein als präventive Notwendigkeit dargestellt. Eine beunruhigende Erzähltradition, die mehr über unreflektierte Narrative im Geschichtsbewusstsein verrät, als den meisten Autor:innen vermutlich bewusst ist.
Der eigentlich kritische Impetus wird hier geopfert für eine billige Verschwörungsgeschichte, die die Komplexität der realen wie fantastischen Welten ad absurdum führt. Und daran schließt sich die Frage an: Warum zum Teufel eigentlich immer diese Verschwörungen?