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„To hell with being nice” - Wütende Frauen in neuen Horrorgeschichten

Szene aus dem Film "Lisa Frankenstein". Hauptfigur Lisa in schwarzer Trauerkleidung und mit einer Axt in den händen, im Hintergrund eine grüne Wiese und einige Bäume
© Universal Pictures

Janna Krone, 13.02.2025

"Your body my choice", tönte es zynisch nach der Wahl Trumps im letzten Jahr. Frauenrechte, Feminismus, aber vor allem Frauen selbst und Menschen aus der LGBTQ+-Community sind wieder stark bedroht durch einen patriarchalen Backlash. Und die Frauen ... sie sind wütend, wie sich auch im Horrorgenre zeigt. Janna Krone erklärt uns warum.

Es ist 2025 und es gibt viele Gründe, wütend zu sein. Klimawandel, Rechtsruck, wachsende soziale Ungerechtigkeit, zerbröselnde Infrastruktur, you name it. Innerhalb dieses frustrierenden Konglomerats an Missständen gibt es jedoch eine Reihe an Wutauslösern, die primär eine Gruppe von Menschen betrifft, nämlich Frauen und Mädchen. In Frankreich wurden Dutzende Männer überführt, eine unter Drogen gesetzte Frau vergewaltigt zu haben. In Deutschland deckten Journalist*innen auf, dass zigtausende Männer in Telegram-Gruppen darüber fantasieren, ihnen bekannte Frauen zu betäuben und zu missbrauchen, sich gegenseitig in diesen Gewaltfantasien bestätigen, sich untereinander dabei helfen, diese in die Tat umzusetzen und die in Bild und Video festgehaltenen Vergewaltigungen bejubeln. In sozialen Medien züchten Influencer eine neue Generation von Männern heran, deren Frauenbild man selbst in den 50ern als verstörend betrachtet hätte. Und diese Liste ließe sich problemlos seitenweise fortführen.

Natürlich ist all dies nichts neues. Misogynie ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Neu ist die Aufmerksamkeit, die diese Missstände durch die Möglichkeiten des Internets und insbesondere der sozialen Medien bekommen. Seit #metoo als Initialzündung finden die Erzählungen über Frauenfeindlichkeit, Übergriffe, Sexismus und patriarchale Strukturen nicht mehr alle paar Wochen irgendwo im hinteren Bereich des SPIEGEL statt, sondern überall in den sozialen Medien. Man muss keine feministische Zeitschrift kaufen, um mitzubekommen, dass auch andere Frauen und Mädchen Erfahrungen mit patriarchaler Gewalt haben. Sofern man nicht völlig den Kopf in den Sand steckt, reichen zehn Minuten auf Instagram oder Bluesky.

Und diese neue Präsenz der Erzählungen über Gewalt hat Folgen. Wer täglich erfährt, wie viele Frauen und Mädchen Opfer werden, der wird – sofern nicht sofort Verleugnungsstrategien aufgefahren werden – ängstlich, frustriert oder – und das ist das Thema dieses Textes – wütend. Wütend über eine Welt, in der Gleichberechtigung nominell existiert, aber in der Praxis immer noch nicht erreicht ist, über heuchlerische Doppelstandards, über Männernetzwerke, die im Hintergrund weiter ihre gewalttätigen Spiele spielen.

Diese Wut findet natürlich auch ihren Niederschlag in Texten. So werden sexuelle Gewalt und Missbrauchsstrukturen in zahlreichen Filmen und Büchern der letzten Jahre aufgegriffen, etwa in Promising Young Woman (2020) und She Said (2022) und selbst Barbie darf im gleichnamigen Film gegen das Patriarchat in Form des Kendoms erfolgreich ankämpfen.

Insbesondere das Horrorgenre war schon immer in der Lage, gesellschaftliche Konflikte in teils eindeutiger, teils metaphorischer Art und Weise darzustellen und zu verarbeiten. Im Gegensatz zu vielen Mainstream-Texten ist hier die Freiheit größer, auch extreme Darstellungsweisen zu wählen, da das Publikum zu verstören hier nicht unbedingt ein Bug sondern oft sogar ein Feature ist. Und so kann im Schutzraum des Genres das gezeigt werden, was in anderen Texten sonst dezent ausgeblendet wird, wie etwa extreme Gewalt, Bodyhorror oder zutiefst gestörte Persönlichkeiten. Dazu kommt die lange Tradition weiblicher Protagonistinnen in diesem Genre. Sei es die unschuldige, naive Protagonistin der Gothic-Tradition von Mina in Dracula bis hin zur Ich-Erzählerin in Rebecca, seien es all die tapferen Final Girls in den Slashern, die Racheengel aus dem Subgenre des Rape and Revenge, oder die sensiblen, verängstigen Frauen in den Spukhäusern Europas und Amerikas. Es ist also kein Wunder, dass besonders im Horror momentan Wut und Frustration von Frauen über gesellschaftliche Missstände und Sexismus einen deutlichen Niederschlag finden, und auf ganz unterschiedliche Weisen verhandelt werden.

In den vergangenen Jahren gab es eine Vielzahl von Romanen und Filmen, in denen Protagonistinnen ihre Wut ausleben konnten, sei es durch mörderische Gewaltexzesse, verstörende Körpertransformationen oder die völlige Abkehr von der Gesellschaft und ihren Werten. Zwar ist die aktiv Gewalt ausübende Protagonistin im Horror nicht neu, so basiert nahezu das gesamte Subgenre der Rape and Revenge darauf, doch neu ist, dass der Zorn sich meist nicht gegen einzelne Täter richtet, sondern ganze Strukturen das Problem darstellen. Es reicht nicht mehr, die einzelnen Schurken zu richten, diese Protagonistinnen müssen gegen die Welt antreten. Dazu kommt eine andere Haltung, die die Texte selbst gegenüber den Frauen einnehmen. Ihre Wut wird ernst genommen und selbst wenn sie, wie einige Frauen in den im folgenden erwähnten Texten, sehr unsympathisch, egoistisch und teils narzisstisch sind, wird ihnen – und damit auch den Leser*innen – dieser Exzess gegönnt. Die Katharsis, eine Figur nach ihren niedersten Instinkten handeln zu sehen, die man im tiefsten Inneren vielleicht doch teilt oder nachvollziehen kann, wird damit auch für Frauen nutzbar, von denen heute immer noch oft genug Zurückhaltung, Freundlichkeit und Selbstlosigkeit erwartet wird. Es ist ein Modus des Umgangs und der Haltung gegenüber den Protagonistinnen, die diese Texte einnehmen, eine Solidarisierung mit den wütenden Frauen, ein Zulassen des Wutexzesses, der früher Männern vorbehalten war.

Aber betrachten wir einfach mal einige Beispiele.

Die Emanzipation der geschaffenen Frau

H.G. Wells‘ Die Insel des Doktor Moreau ist ein Klassiker der Phantastik und beschreibt die Erlebnisse eines schiffbrüchigen Briten auf einer Insel, auf der der von wahnsinnigem Schöpfungsdrang motivierte Doktor in grausamen Operationen Tiere in menschenähnlichen Kreaturen verwandelt. Dabei bleibt, bei allem Mitleid, dass der Ich-Erzähler gegenüber den Tiermenschen zeigt, stets deutlich, dass sie für ihn immer noch Tiere sind, und ohne die medizinischen Eingriffe des Doktors verfallen diese auch in kurzer Zeit wieder zurück in ihre tierischen Verhaltensweisen. Sie sind keine Menschen und werden auch niemals welche sein. Ihre finale Auflehnung gegen ihrem Schöpfer Moreau ist Ausdruck ihrer Unfähigkeit, als Menschen zu funktionieren und ihrer fundamental animalischen Natur, die auch die Wissenschaft nicht dauerhaft bändigen kann.

Silvia Garcia Moreno greift diese Konstellation in Die Tochter des Doktor Moreau auf, stellt aber die – bei Wells nicht vorkommende – Tochter des Doktors, Carlota, in den Mittelpunkt und verlegt die Handlung von einer einsamen Insel nach Yucatan auf dem mexikanischen Festland. Im Verlauf der Handlung erfährt Carlota, dass sie selbst ein von Moreau geschaffener Hybrid ist und von ihm nicht nur über ihre wahre Natur belogen, sondern durch Drogen ruhiggestellt wurde. Im Gegensatz zu anderen „künstlichen“ oder tierhaften Frauen in Literatur und Film, man denke z.B. an Frankensteins Braut oder Irena in Tourneurs Katzenmenschen, ist dies für Carlota aber keine Enthüllung, die sie in den Wahnsinn oder den Selbstmord treiben würde. Im Gegenteil: es ist ihr tierischer Anteil, der ihr die Stärke gibt, sich gegen die Männer, die über ihr Leben bestimmen wollen, auch physisch zur Wehr zu setzen. Es ist keine Schwäche, sondern ein Quell der Kraft. Sie solidarisiert sich nicht mit den menschlichen Männern in ihrer Umgebung, sondern den anderen Tiermenschen, die ihr Freundschaft und Liebe entgegenbringen und sie nicht als Verfügungsmasse in ihren Spielen um Geld und Macht betrachten. Carlota nimmt ihre tierischen Anteile an, und aus dieser Akzeptanz kann im Text letztendlich eine positive Utopie des Zusammenlebens entstehen.

Wie auch Wells` Novelle endet Moreno Garcias Roman mit Gewalt und Mord. Bei Wells ist dies jedoch eine Warnung davor, die Grenzen der Natur zu missachten und aus Hybris etwas zu schaffen, das nicht kontrolliert werden kann. In Die Tochter des Doktor Moreau ist die Auflehnung der Kreaturen notwendig, um ein besseres Leben und eine Emanzipation von männlich-patriarchaler Unterdrückung zu erreichen, und Carlotas Wut und die Nutzung ihrer tierischen Anteile ist ein Werkzeug im Kampf.

Carlotas Weg in die Unabhängigkeit dürfte bei den meisten Leser*innen Sympathie und Zustimmung finden, denn ihre Unterdrückung und die ihrer Mitkreaturen ist objektiv unvereinbar mit unseren Vorstellungen von Freiheit und rechtfertigt damit ihre Handlungen. Aber wie ist das, wenn die erfahrene Unterdrückung oder Missachtung in keinem Verhältnis zu den Taten der Protagonistinnen steht? Nun, in modernen Horrorgeschichten dürfen Frauen auch überreagieren, egoistisch und narzisstisch handeln, wie die beiden folgenden Beispiele zeigen.

Fliegende Penisse und andere Boy Parts

In Lisa Frankenstein trifft die 18jährige Lisa auf die wiederbelebte Leiche eines romantischen Pianisten, an dessen Grab sie vormals Zuflucht vor den passiv-aggressiven Kommentaren ihrer Stiefmutter, der wohlmeinenden Bevormundung ihrer Cheerleader-Stiefschwester und den Anfeindungen ihrer Mitschüler*innen gesucht hat. Im Verlauf des Films tötet das Paar mehrere Menschen, darunter die Stiefmutter und einen übergriffigen Mitschüler, und nutzt deren Körperteile, um die fehlenden Gliedmaßen des lebenden Leichnams zu ersetzen. Der Film gipfelt darin, dass Lisa ihren Schwarm Michael, den Herausgeber des Literaturmagazins ihrer Schule, im Bett mit ihrer Stiefschwester Taffy, einer freundlichen, aber eher schlicht gestrickten Cheerleaderin erwischt, just in dem Moment, als sie ihn aufsucht, um ihm ihre Jungfräulichkeit zu „schenken“.  Rasend vor Zorn und Enttäuschung brüllt sie: „You like cool movies and music and stuff, but only for you! You want to be the smart one who likes cool stuff, and you don't want your girlfriend to like cool stuff. Do you know how uncool that is?“

Hier zeigt sich nicht nur die Eifersucht darüber, dass ihre Stiefschwester vorgezogen wurde, hier bricht sich die Wut darüber Bahn, dass ihre eigenen Qualitäten, die sie im Objekt ihrer Liebe widergespiegelt sah, für diesen in ihr keine Rolle spielen. Michael, dessen gesamtes Image auf seiner Performance als sensibler Außenseiter beruht, unterscheidet sich in Wirklichkeit kein Stück von den anderen Jungen der Schule. Er will keine Partnerin, die genauso „dark and twisted“ ist wie er selbst, er will die hübsche Cheerleaderin.

Doch verzage nicht, Lisa! Im nächsten Moment stürmt die Kreatur eine Axt schwingend in den Raum und hackt beherzt Michaels Penis ab, der in Zeitlupe, untermalt von den Klängen von „On the Wings of Love“ in den Mülleimer fliegt. Später wird deutlich, dass dies von Seiten der Kreatur durchaus geplant war, denn so kann Lisa dieser den Penis annähen und, nachdem sie erkannt hat, dass die Kreatur ihre wahre Liebe ist, haben sie Sex und Lisa muss nicht als Jungfrau sterben.

Wie aus der Zusammenfassung hervorgeht, ist Lisa Frankenstein kein gewöhnlicher Highschool-Film. Selbst Klassiker des Genres, wie etwa Heathers, der hier klar ein Vorbild war, scheuen davor zurück, die Protagonistin derart selbstbezogen handeln zu lassen, ohne sie zu verurteilen. Lisa schämt sich nicht dafür, den Tod mehrerer Menschen verursacht zu haben. Sie kommt am Schluss nicht zu einer weiterführenden Erkenntnis, sie will nicht „gut“ oder sozial sein. Anders als Veronica in Heathers, die zwar ebenfalls zur Mörderin wird, beschließt sie am Ende nicht, ihre Fähigkeiten zum Guten zu nutzen und sich in Zukunft um andere Außenseiter*innen zu kümmern. Lisa will Liebe, sie will Sex, sie ist wütend auf Menschen, die sie ihrer Ansicht nach schlecht behandeln, und sie nimmt sich, was sie braucht. Und der Film gönnt ihr dies. Das mag pädagogisch nicht wertvoll sein, und Lisa ist definitiv kein Vorbild für den konstruktiven Umgang mit Enttäuschungen, aber ihr Handeln ist kathartisch, denn es zeigt ein kompromissloses Ausleben von Wut und Wünschen, das insbesondere Mädchen sonst selten in Medien sehen können.

Einen (oder mehrere) Schritte weiter geht Eliza Clarkes Roman Boy Parts. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Irina ist Fotografin, sie ist spezialisiert auf Fetischfotos von Männern, ihre Modelle scoutet sie im Alltag, etwa im Supermarkt oder Bus. Dabei spielen Fragen von consent, auch was das Alter ihrer Modelle angeht, oder deren psychisches Wohlergehen für sie keine Rolle. Sie überschreitet regelmäßig Grenzen, ohne sich um die Folgen zu kümmern: „And I’ll say now, I never actually deliberately intended to do stuff just for shock value. I can’t really help it if things just bother me less than they bother other people” (S.79).

Im Verlauf der Handlung konsumiert Irina gewaltige Mengen an Drogen, verkauft Fotos eines minderjährigen Modells an einen privaten Sammler und – durch ihre Unzuverlässigkeit als Erzählerin bleibt unklar, inwiefern dies wirklich passiert – tötet einen obdachlosen Jungen. Je mehr das Publikum über Irina erfährt, umso deutlicher wird ihre komplette Verachtung gegenüber der Welt und den Menschen um sie herum. Was für sie zählt, ist der künstlerische Erfolg und das Ausleben ihrer hedonistischen Bedürfnisse. Sie fühlt sich allen anderen überlegen, und manipuliert ihr Umfeld ohne Rücksicht auf die Folgen.

Dabei wird immer wieder deutlich, dass ihr überhöhtes Selbstbild nicht mit der Realität übereinstimmt. Ihre ehemaligen Mitstudent*innen von der Kunsthochschule betrachten sie als gescheitert, da sie nie einen großen Durchbruch erlebte und jetzt abseits der Londoner Kunstszene in Newcastle arbeitet, und ihre Beteuerungen, wieviel Geld sie mit dem Verkauf ihrer Fotos an Privatsammler hat, sind nicht geeignet, diesen Eindruck zu entkräften. Der reiche Mäzen der Galerie, den sie zu manipulieren glaubt, sieht sie nicht als Künstlerin, sondern als armselig-bemühte junge Frau, die glaubt, sich hochschlafen zu können, und deren Verhalten und Auftreten ihm zunehmend peinlich ist. Irinas Freund*innen halten nicht aus Bewunderung zu ihr, sondern aus Mitleid, und sind immer unwilliger, ihre Eskapaden mitzutragen.

Nicht zu Unrecht wird Boy Parts regelmäßig in einem Atemzug mit Bret Easton Ellis‘ American Psycho genannt, denn die Parallelen liegen auf der Hand: eine narzisstische, zutiefst unzuverlässige Erzählerfigur, drastische Schilderungen von Gewalt und Sex, ein satirischer Tonfall und ein mitleidloser Blick auf ein privilegiertes Milieu. Dergestalt ist Boy Parts kein originelles Buch. Was es ungewöhnlich macht, ist die Darstellung von Irinas Taten.

Frauen, die schreckliche Dinge tun und psychopathische Züge aufweisen, gibt es in Büchern und Filmen zur Genüge. Was Irina ungewöhnlich macht und sie in einen Kontext mit Lisa Frankenstein und den anderen erwähnten Texten rückt, ist dass sie diese Dinge für sich selbst tut. Die Bedürfnisse, die sie durch ihre Taten befriedigt, sind Gier und das Ausleben von Wut. Sie nimmt nichts hin, sie schlägt zurück, auch wenn die vermeintlichen Kränkungen dies objektiv nicht rechtfertigen.

In den beiden genannten Geschichten handelt es sich um Protagonistinnen, die – auch wenn sie als weibliche Personen in patriarchalen Strukturen zu benachteiligten Gruppen gehören – als weiße cis Frauen der Mittelschicht einige Privilegien genießen. Es gibt jedoch auch Protagonistinnen, die innerhalb des Systems noch stärkerer Unterdrückung ausgesetzt sind und deren Wut und deren Weltbild dadurch bedingt sind, wie die nächsten Beispiele zeigen werden.

Gegen die Menschheit oder für die Hoffnung

Hailey Pipers Roman All the Hearts You Eat zeigt zunächst eine Protagonistin, die versucht, mit ihrer aufgestauten Wut und ihren Traumata auf sozial kompatible Art und Weise umzugehen. Ivory, eine trans Frau Ende 20, sieht sich selbst als „a creature of life“. Diesen Slogan hat sie sogar auf die Innenseite ihres Oberschenkels tätowiert, wo er eine Narbe eines entsetzlichen Übergriffes in ihrer Jugend überdecken soll. Ihre größte Angst ist es, negativ aufzufallen und eine Rechtfertigung für weitere Attacken zu liefern: „I played nice, played pretty. Otherwise everyone would decide I was only good for burning.” (S.382) Und so nimmt sie Demütigungen hin, versucht für ihren Liebhaber stets verfügbar zu sein und auf keinen Fall eigene Ansprüche zu stellen, und lebt isoliert und angepasst.

Nachdem die Leiche des trans Mädchens Cabrina am Strand angespült wird, bekommt Ivorys Panzer Risse. Sie identifiziert sich immer mehr mit der Toten, insbesondere nachdem sie erfährt, dass diese von ihrer transfeindlichen Mutter unter ihrem Deadname bestattet wurde. Als eine übernatürliche Macht von außerhalb der Realität versucht, in Ivorys Heimatort Fuß zu fassen, stellt diese sich nach anfänglichem Zögern gerne als Helferin zur Verfügung. Ivory sieht für sich selbst keinerlei Verpflichtung gegenüber einer Menschheit, die Menschen wie sie misshandelt und am liebsten Ausrotten möchte. Cabrinas Mutter ist dabei nur ein Symptom einer größeren, strukturell verankerten Ungerechtigkeit. Rache an einer einzelnen Person ist nicht genug: „To hell with being nice. And to hell with being pretty. There was only joy to be had, amid the beasts, and the blood, and the dream to blot out the sun. The days of mankind were done. Now came the endless night of beasts.” (S.300)

Ivorys Abstieg zur willigen Vollstreckerin für die Feinde der Menschheit ist im Kontext des Romans eine absolut nachvollziehbare Entwicklung. Selbst wenn Leser*innen ihre Taten nicht gutheißen können, erscheinen sie doch als logische Reaktion auf eine Welt, die für sie nie eine Heimat sein konnte. Piper belässt es jedoch nicht dabei: mit Rex und Xi, den beiden Freund*innen von Cabrina, die ebenfalls trans sind, wird Ivorys nachvollziehbarer Wut ein positives, konstruktives Verhalten gegenübergestellt. Auch Rex und Xi leiden unter der Welt, und als Menschen, die Cabrina persönlich kannten und liebten, sind sie also emotional ebenso betroffen wie Ivory. Doch ist ihr Leben noch nicht so stark von Traumata dominiert wie Ivorys. Und so sind sie in der Lage, zu verzeihen und Hoffnung zu hegen. Sie wollen die Welt noch nicht brennen sehen, da sie dort noch einen Platz für sich sehen.

Bei aller Anklage gegen die Transfeindlichkeit der Gesellschaft und die Erwartungen, dass Frauen sich anpassen und unterordnen sollen, gibt es in All the Hearts You Eat noch Auswege. Ivorys Hass und maßloser Zorn wird als verständliche Reaktion dargestellt, aber letztlich nicht als alternativlos. So lange auch junge trans Menschen noch hoffen können, ein Leben in Würde und Glück zu führen, ist nicht alles verloren.

Ob diese Hoffnung angesichts des momentanen Backlashs gegen LGBTQ+ Menschen noch aufrechterhalten werden kann, ist eine Frage, die eine andere Autorin in ihren Texten klar mit „nein“ beantwortet. Wir kommen nun also zum finstersten und kompromisslosesten, was die Horrorliteratur zu weiblicher Wut zu sagen hat, nämlich Alison Rumfitts Brainwyrms.

Hirnwürmer, Parasiten und eine Welt voller Hass

Brainwyrms ist definitiv keine Lektüre für schwache Nerven oder Mägen. Die Triggerwarnungen zu Beginn und in der Mitte des Textes sind keine Dekoration, sondern absolut berechtigt. Kaum ein Text der letzten Jahre ist dermaßen geeignet, sich selbst an die Grenzen des Erträglichen zu bringen. Rumfitt zeigt hier eine Welt ohne Hoffnung, die von Gewalt und Hass zerfressen ist und in der es letztendlich keinen Ausweg mehr gibt als die totale Hingabe an den Schrecken.

Die Protagonistin von Brainwyrms, die trans Frau Frankie, hat ursprünglich in einer britischen Gender Identification Clinic gearbeitet, bevor diese bei einem terroristischen Anschlag zerstört wurde. Jetzt ist sie Content-Moderatorin bei einer Social-Media-Plattform und wird jeden Tag mit den schrecklichsten Auswüchsen des Internets konfrontiert, was sie jedoch relativ unberührt lässt. Vanya, die zweite Erzählerfigur, ist nichtbinär und ihr Fetisch ist es, sich selbst mit Parasiten zu infizieren. An diesen selbstzerstörerischen Handlungen ist auch Gaz, Vanyas Dom beteiligt, der Vanya seit früher Jugend gegroomt hat.

Die Themen von Unterdrückung, Gewalt und Infektion durchziehen den gesamten Roman. Körper werden freiwillig oder unfreiwillig mit allen möglichen Parasiten kontaminiert. Vanya und Frankie sind Opfer von sexuellem Missbrauch, die Täter kommen ungeschoren davon. Eine bekannte Kinderbuchautorin – Parallelen zu J.K. Rowling sind offensichtlich – hetzt gegen trans Menschen und beherbergt eine Kolonie von Würmern, durch die der Hass auf ihre bereitwilligen Mitstreiter*innen übertragen wird. Die britische Oberschicht, verkörpert durch Vanyas Dom Gaz, benutzt LGBTQ+ Menschen für ihre seltsamen Rituale und Orgien. Und auch Vanyas und Frankies Beziehung ist geprägt von gegenseitigen Verletzungen und kann keinen positiven Gegenentwurf zu einer durch und durch verrotteten Welt schaffen.

Angesichts des versammelten Hasses um sie herum, erscheinen Frankies selbstzerstörerisches Verhalten, ihre ungesunde und kaputte Beziehung zu Vanya und ihr teilnahmsloses Desinteresse an der Welt nicht als extrem. Frankie ist keine sympathische Protagonistin, ähnlich wie Irina in Boy Parts, fühlt sie wenig Verantwortung gegenüber anderen Menschen, und verfolgt in erster Linie ihre eigenen Ziele. Im Gegensatz zu Irina tut sie dies aber in einer Welt, in der dies noch die harmloseste Variante der Selbstbezogenheit ist, denn alle anderen Menschen sind noch wesentlich schlimmer. Und wenn Frankie am Schluss jeglichen Bezug zur Welt verliert und möglicherweise durch ihren Körper das Ende der Welt hervorbringt, erscheint dies weder als Triumpf noch als Tragödie. Es ist schlussendlich nur die letzte Konsequenz einer Welt, die so verkommen und verwest ist, dass sie natürlich den Würmern gehört.

Fazit: Warum Wut wichtig ist

Geschichten sind wichtig. Sie ermöglichen uns Zugang zu fremden Welten, fremden Gefühlen, großen Abenteuern und einen neuen Blick auf unser Leben. Sie sind, wie der berühmte Ausdruck des Filmkritikers Roger Ebert besagt, „Maschinen, die Empathie erzeugen“. Wenn wir die Wut der Frauen in den genannten Texten miterleben, verstehen wir besser, was die Ungerechtigkeit der Welt in den Köpfen und Seelen der Menschen anrichtet und vielleicht hilft es sogar dabei, ein wenig dazu beizutragen, die Ursachen dieser Wut zu bekämpfen.

Gerade Horror hat aber eine weitere, ebenso wichtige Funktion: Hier können wir uns unseren dunkelsten Gefühlen stellen, all unserem Zorn, unserer Gier nach Leben, Anerkennung und Liebe, unserem Selbsthass und unserer narzisstischen Selbstliebe. Wir können eine Katharsis erfahren, eine im Wortsinne Reinigung von Impulsen, von denen wir uns teilweise gar nicht eingestehen, dass wir sie haben. Und besonders in diesen Zeiten des Backlashs und der gesellschaftlichen Kämpfe um Gleichberechtigung und Privilegien kann es wichtig sein, einen Ort zu haben, an dem wir unseren Frust ausleben und ablegen können, um im Anschluss mit klarem Blick, aber auch mit kühlem Kopf weiter an dem zu arbeiten, was wir schließlich alle wollen: eine Welt, in der wir alle möglichst frei von Hass, Angst und Unterdrückung leben können.

Janna Krone

In grauer Vorzeit hat Janna Krone in Mainz Deutsch und Englisch auf Lehramt und Anglistik studiert. Heute arbeitet sie tagsüber als Lehrerin und nachts als Mitarbeiterin bei https://www.gamespodcast.de/ , wo sie über Games, Filme und Monster redet. Die restliche Zeit findet man sie in ihrem Kopf, wo sie über Horror, Phantastik und Kuchen nachgrübelt.

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