Otherland, 06.06.2024
Regelmäßig gibt euch das Team der Berliner Fantasy- und Science-Fiction-Buchhandlung Otherland Tipps zu den interessantesten neuen Büchern aller Verlage.
Otherland, 06.06.2024
Regelmäßig gibt euch das Team der Berliner Fantasy- und Science-Fiction-Buchhandlung Otherland Tipps zu den interessantesten neuen Büchern aller Verlage.
Wahrscheinlich gab es schon immer magisch Begabte unter den Menschen, aber jetzt sind sie in der Öffentlichkeit: die Gloamisten, die einen belebten Schatten haben, der ihnen wie ein mächtiger Handlanger zu Diensten ist.
Im Internet füllen sich die Foren seitenweise mit Tipps, wie man seinen Schatten beleben kann. Muss man dafür jemanden umbringen? Muss man jemandem seinen Schatten stehlen? Charlies Schwester Posey durchforstet das Netz Tag und Nacht, auf der Suche nach einer erfolgreichen Methode. Charlie selber hat keinerlei derartige Ambitionen. Sie arbeitet in einer Bar als Hauptjob und als Auftragsdiebin im lukrativen Nebengewerbe, das sie von der Pike auf bei einem zwielichtigen Mentor gelernt hat. Außerdem ist sie seit kurzem in einer Beziehung, obwohl sie gar nicht nach einer gesucht oder sich eine gewünscht hat, die vielen verkorksten Verbindungen, die ihre Mutter eingegangen ist, immer im Hinterkopf. Auch ist Vince eigentlich gar nicht ihr Typ. Aber so kommts ja manchmal, und manchmal passts gerade dann ganz gut.
Obwohl die Schatten-Magie in "Book of Night" und Charlies Diebereien nicht wirklich spektakulär sind, funktioniert der Roman erstaunlich gut! Man kann mit dem Schattenthema vieles anstellen, was eine spannend-düstere Atmosphäre erzeugt (zum Beispiel der Fund einer Leiche, deren Schatten wie ein zerfetztes Segel in einem unfühlbaren Wind weht – schaurig, oder?). Dann sind da Figuren mit einem reichen Gedanken- und Gefühlsleben und mit einer, in fast allen Fällen, unschönen Kindheit; diese Figuren werden in interessanten Konstellationen neben- und gegeneinander gestellt. Erzählt wird die Geschichte nicht geradlinig von A nach Z, sondern in einer gelungenen Verschachtelungsmethode, bei der die Autorin ein feines Gespür dafür beweist, wann sie wessen Vorgeschichte einflicht und an welcher Stelle der Leser weitere Teile des großen Puzzles serviert bekommt.
Spannend und gut erzählt, dem Düsteren gegenüber sollte man aufgeschlossen sein.
Das Schatten-Thema hat übrigens schon so manchen Geschichtenerdenker verfolgt. In „Book of Night“ wird Andersons Märchen „Der Schatten“ nacherzählt, in dem der Schatten eines Mannes ein Eigenleben beginnt und so stark wird, dass er am Ende den Mann ersetzt und dieser selbst zu einem schwachen Schatten wird. Eindeutig davon inspiriert ist Clive Barkers Kurzgeschichte „Menschliche Überreste“, in der er den Schatten allerdings durch eine andere Art von Doppelgänger ausgetauscht hat. Und dann ist da natürlich „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ von Adalbert von Chamisso. Schlemihl, der Mann, der seinen Schatten verkauft, wurde von E.T.A. Hoffmann in „Die Abenteuer der Sylvesternacht“ wieder aufgegriffen und taucht auch in der Offenbach-Oper „Hoffmanns Erzählungen“ auf. Verstörend und auf übernatürliche Weise lebendig werden Schatten auch in der erfolgreich verfilmten Comicserie „Locke & Key“ von Joe Hill, die ihre Inspiration wahrscheinlich nicht von Ungefähr auf Vorläufer wie Lovecrafts „Schatten über Innsmouth“ zurückführen lässt. Der Schatten hängt hier nicht mehr nur wegen der Lichtverhältnisse an einem Menschen dran, sondern ist eines ganz und gar außerweltlichen Ursprungs. Es gibt so viel zu entdecken, im Dunkel, im Licht, und in den Zwischenräumen. [Caro]
Yey, der neue Bardugo ist da!! Bin mir allerdings nicht so sicher, ob „Der Vertraute“ eine gute Übertragung des Titels „The Familiar“ ist. In der Geschichte sind ganz klar beide Bedeutungen gemeint: das Verwandte, Vertraute, das der titelgebende Guillén Santángel im Laufe der Geschichte für jemanden werden wird, aber auch die Bedeutung eines dienstbaren Geistes, der durch magische Bande an eine Familie oder Gruppe gebunden ist.
Ja, schade, dass das Deutsche kein Wort zu haben scheint, das beides beinhaltet und als Titel herhalten könnte für diese Geschichte, die im Madrid des späten 16. Jahrhunderts angesiedelt ist. Dass der schwächliche spanische König Magier für die Kriegsfront sucht, lässt historische Fantasy à la „Jonathan Strange und Mister Norrell“ erwarten, aber weit gefehlt. Der Krieg und die historische Zeit bleiben ein sehr vages Hintergrundgemälde. Bardugo geht es in erster Linie um die Figuren und deren Geschichte, diese erzählt sie dafür hingebungsvoll.
In den Hauptrollen zwei Underdogs: die Spülmagd Luzia Cortado und der unsterbliche Familiar Santángel, der zwar sehr mächtig, aber über Generationen als Diener an eine bestimmte Familie gekettet ist. Eine wunderbar erzählte Annäherungs- und Liebesgeschichte! Und doch, ganz fehlen das Umfeld und die Historie natürlich nicht. Es wimmelt nur so von spanischen Ausdrücken und herrlichen Namen! Luzias Wurzeln im Judentum und die erzwungene Konvertierung ihrer Familie spielen eine Rolle, nicht zuletzt für ihre magischen Fähigkeiten, die, zumindest anfangs, auf einer gesungenen Phantasiesprache, die sich aus alten vorchristlichen Sprachen speist, beruhen. Und dann ist da die komplizierte Hierarchie dieser Gesellschaft, in der sich, wenn man zum Beispiel am ganz unteren Rand der Oberschicht angesiedelt ist, sehr eigene Probleme einstellen. Ist man zurückhaltend und hat keine Ambitionen, droht man weiter hinunter zu rutschen. Oder man will sich halten oder aufsteigen dann muss man die Beziehungen zu anderen Häusern pflegen, Einladungen annehmen und aussprechen, Bankette ausrichten, etwas bieten, das man sich eigentlich nicht leisten kann. Diese Ebene wird auf wirklich faszinierende Art miterzählt!
Macht Spaß, lesen! [Caro]
Darf sich in unserer englischen Auslage als „ungewöhnlicher Erfolg“ bezeichnen. Auch ohne extra Empfehlung oder schreiendes Cover hat’s „The Very Secret Society of Irregular Witches“ schon in so manches Buchregal geschafft! Schon Terry Pratchetts Hexen wussten, dass man komisch wird, wenn man zu lange allein und ohne den Kontakt zu anderen Hexen bleibt.
Und so tut auch Sangu Mandannas Single-Hexe Mika Moon den Schritt in die Geselligkeit und übernimmt die verantwortungsvolle Aufgabe, drei junge Hexen zu unterrichten. Im Nowhere House findet sie nicht nur neue Freunde, sondern auch die Liebe. Cozy Fantasy zum Entspannen und Wegträumen!
Eine Autobiographie zum Mitleiden und Mitfreuen!
Wer hätte gedacht, dass der Shakespeare-König von der Bühne, der Captain von der Brücke der Enterprise aus ärmsten Verhältnissen kommt? Dass seine Kindheit geprägt war von Armut, häuslicher Gewalt und nun ja, einem sehr seltsamen Dialekt. Patrick Stewart ist Yorkshire lange treu geblieben, doch irgendwann zog es ihn in die größeren Städte und dann winkte auch noch Hollywood von fern. Doch egal wie erfolgreich er irgendwann war, ständig nagen an dem Schauspieler die Selbstzweifel. Lange wollte er auf Star-Trek-Conventions nicht als Gast erscheinen aus Angst, dass die Ankündigung über die Bühne schallt: „Patrick Stewart“ und dann sind da keine Leute im Saal.
Patrick Stewart malt ein emotionales, lustig-trauriges, keinesfalls strahlendes Selbstportrait. In punkto Ehe hat er vieles nicht gut hingekriegt, viele Scheidungen, viel böses Blut, viel Bedauern, dass es so gelaufen ist. Man muss ein bisschen warten aber irgendwann erreicht man nach etwas Journalismus und viel Theater die Star-Trek-Phase und die strotzt nur so vor Infos, Anekdoten und Gedanken zu Picard, zu einzelnen Folgen, zu den Kollegen. Wer jetzt außerdem erfahren will wie ein Hund alle Blicke des Shakespeare-Publikums auf sich zog, wie grauenhaft die Zusammenarbeit mit David Lynch gelaufen ist und warum Patrick Stewart (vielleicht) an Geister glaubt, sollte unbedingt 1. das englische Hörbuch erwerben und anhören, (weil es von Patrick Stewart selber eingelesen worden ist und man nur staunen kann wie der 83-Jährige alle Emotionen seines langen Lebens noch einmal durchmacht und man als Hörer nicht anders kann als mitzulachen und mitzuweinen) und 2. auf den Kauf des Buchs – deutsch oder englisch – nicht verzichten, da dort viele tolle Fotos zu finden sind, die das Gehörte prächtig bebildern.
Eine absolute Empfehlung! Und ja, auch geeignet für Leute, die gerne Biographien lesen, aber keine Ahnung haben, wer das eigentlich sein soll, dieser Patrick Stewart. [Caro]
Perfekt für den heißen Sommer, überrascht uns unser liebster Horrorverlag mit der Übersetzung des Südstaaten Opus Magnum von Michael McDowell. Leider etwas in Vergessenheit geraten, hat er nicht nur "The Elementals" (Lieblingsbuch von Caro und mir!) gezaubert, sondern auch die Drehbücher für Tim Burton's Klassiker "Beetlejuce" und "Nightmare before Christmas".
Wer Bock auf einen richtig guten Geschichtenerzähler hat und vor bisschen Grusel nicht zurückschreckt, ist hier im richtigen Sumpf, äh Stelle. Für Fans von den eher düsteren Sachen von Neil Gaiman und Ray Bradbury geeignet.
Dadurch, dass 6 Bücher mit funky Covern auf euch warten, habt ihr auch den ganzen Sommer etwas davon. ;)