Oliver Plaschka, 16.01.2025
Wie steht es eigentlich um die Phantastik an deutschen Universitäten? Wird ihr immer noch mit gerümpfter Nase begegnet? Autor Oliver Plaschka berichtet aus seiner Praxis als Dozent, wie er phantastische Literatur unterrichtet.
Wie kommt man dazu, an Hochschulen Phantastik zu lehren, und wie stellt man es an? Sicher gibt es viele Wege, und meiner war vielleicht etwas umständlicher als andere. Abgesehen von meinen Lehraufträgen liegt mein beruflicher Fokus heute auch auf dem Schreiben und Übersetzen von Texten, nicht auf der Wissenschaft. Dennoch hatte ich das Glück, über die Jahre Erfahrungen sammeln zu dürfen, die ich hier teilen möchte. Doch beginnen wir von vorn.
Schlüsselmomente
Die traurige Wahrheit ist: Ich war in Deutsch ein fauler Schüler. Ich habe gern mitgeredet, aber selten die Lektüren gelesen. Überraschenderweise gelang das ganz gut.
An der Universität sah das anders aus. Ich hatte mich vorsichtshalber für Anglistik entschieden, ich las sogar die Bücher – aber meine Noten waren wirklich schlecht. Das Problem mag freilich dasselbe gewesen sein: Die meisten Texte interessierten mich nicht. Ich war ignorant genug, dass mir alles außer Science Fiction und Fantasy wie eine bourgeoise Übung in Langweiligkeit vorkam.
Ein Schlüsselerlebnis war mein erster Phantastikkurs bei Erik Hauser. Ich lernte H.P. Lovecraft kennen und bekam selbst im warmen Sonnenschein des Instituts eine Gänsehaut. Ich las Roger Caillois, der "das Wunderbare" als etwas für Kinder abtat und fühlte mich persönlich von ihm angegriffen. Mit einem Wort: Ich war auf einmal involviert – so sehr, dass ich bald darauf aus reinem Trotz Fairwater schrieb.
Eine andere wichtige Station war mein Auslandssemester in England. Dort bot der Institutsleiter persönlich einen Science-Fiction-Kurs an, in dem ich mangels anderer Interessen bald zu einem der fleißigsten Studenten wurde. Mein Interesse war in beiden Fällen der Schlüssel. Dass man sich supernatural oder science fiction mit dem gleichen wissenschaftlichen Ernst wie Shakespeare und anderer canon literature nähern konnte, war eine neue Erfahrung für mich: dass ich lernen konnte, was ich auch gerne las.
10 Prozent
In Großbritannien oder Irland hat man eine andere Haltung als wir. Autoren wie J.R.R. Tolkien, C.S. Lewis oder Mervyn Peake haben eine phantastische Tradition selbst über die Weltkriege gerettet und den Wert von Eskapismus auch in dunklen Zeiten verteidigt (s. Tolkien, "On Fairy-Stories"). Schon deshalb schien mir die Anglistik stets einladender als die Germanistik, die diesen Schritt lange nicht machen konnte oder wollte. Auch die Trennung von "Hoch-" und "Trivialliteratur" ist typisch deutsch. (Glaubt man Wikipedia, gehen die oft gehörten Begriffe "E" und "U" aufs Kaiserreich und die Anstalt für musikalisches Aufführungsrecht zurück, die irgendwas bei Schopenhauer nicht verstanden hatte. In der Literaturwissenschaft hat das nichts zu suchen.)
Die englischsprachige Welt macht sich das Leben hier weniger schwer. Auch Ernstes darf unterhaltend, Unterhaltung darf ernst sein. Und Genre hat nichts damit zu tun. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis, die ich aus meinem SF-Kurs in England mitnahm, war Sturgeon's Law:
Ninety percent of S.F. is crud.
[But:] Ninety percent of everything is crud.[...] The existence of immense quantities of trash in science fiction is admitted and it is regrettable; but it is no more unnatural than the existence of trash anywhere [...] The best science fiction is as good as the best fiction in any field.
Meine Promotion schrieb ich entsprechend leidenschaftlich über H.P. Lovecraft, James Branch Cabell, Mervyn Peake und William Gibson. Auf Anraten meines Doktorvaters, dem ich ebenfalls sehr viel verdanke, geht es außerdem oft um Schafe darin. Und damit durfte ich dann plötzlich selbst unterrichten: erst Literaturwissenschaft in Heidelberg, später Literaturübersetzen in Düsseldorf. Und auf die Suche nach den 10 Prozent gehen.