Science Fiction

Quo vadis Science Fiction? Warum verschwindet die Science Fiction immer mehr aus den Verlagsprogrammen?

Coverausschnitt aus "Neoppolis. Einen Art stilisierte digitale Stadt mit Hochhäuser, die nur aus Punkten und Strichen besteht, davor digitale Wellen, die teils rosafarben vor einem schwarzen Hintergrund leuchten. Ist leider schwer zu beschreiben.
© Piper Verlag

Markus Mäurer, 20.03.2025

Warum finden sich immer weniger Science-Fiction-Bücher in den Verlagsprogrammen und Regalen der Buchhandlungen? Verkauft sie sich wirklich so schlecht? Wenn ja, woran könnte das liegen? Dafür hat unser Redakteur Markus Mäurer in Verlagsredaktionen und Buchhandlungen nachgefragt.

Als ich im Frühjahr 2024 die Herbstvorschauen der großen Publikumsverlage im Bereich der Science Fiction und Fantasy durchging (was ich seit Jahren mit allen Vorschauen mache), fiel mir auf, wie wenig Science Fiction sich darin befindet. Und noch weniger SF, die im Weltraum spielt. Dabei war die Space Opera doch lange Zugpferd des Genres. Ich habe zwar nicht genau nachgezählt und verglichen, aber selbst beim Platzhirsch Heyne scheint es deutlich weniger geworden zu sein.

Was ist da los? Eine erste Antwort könnte ein Blick auf die Verkaufszahlen liefern.

Als (fester freier) Mitarbeiter eines Verlags für phantastische Literatur bekomme ich teilweise mit, wie sich unsere Bücher verkaufen. Und durch Einblicke bei Media Control bekomme ich auch mit, wie sich die Bücher anderer Verlage verkaufen. Da sind mir zuletzt einige Sachen bei der Science Fiction aufgefallen, denen ich mit diesem Beitrag genauer auf den Grund gehen möchte. Und am Ende des Beitrags gehe ich auch noch darauf ein, warum ich es für wichtig halte, dass Science Fiction weiterhin gelesen wird.

Auf den oberen Plätzen der Verkaufslisten tummeln sich vor allem Klassiker (1984, Dune, Foundation) und Werke, die kürzlich (ebenfalls) erst verfilmt wurden.

Der Rest verkauft sich aktuell nicht wirklich gut. Das ist schon mal die offensichtliche und logische Antwort. Denn wenn er sich gut verkaufen würde, würden SF-Verlag auch mehr SF bringen.

Aber warum ist das so? Im Kino und in Serien-Form boomt das Genre aktuell. Es gibt eine ganz Flut an aufwendig produzierten Science-Fiction-Serien. Allein schon bei AppleTV+. Und auch im Computerspielbereich ist Science Fiction weiterhin angesagt.

Und in unserem Alltag ebenso. Seit ChatGPT und Bilderstellungsdienste wie Midjourney online gingen, überschlagen sich die Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Und zwar auf eine Weise, die für viele schon bedrohlich wirkt. Wir scheinen nicht in Fukujamas Ende der Geschichte zu leben, sondern am Anfang einer besorgniserregenden Zukunft.

Klimakrise; Kriege; Rückgang an Demokratie; neue Weltordnung; neue Bedrohungen; Konzerne und Superreiche, die zu mächtig werden und nach ihren eigenen Regeln spielen. Wir scheinen immer mehr in jene Dystopie zu rutschen, die die SF der 1970er á la John Brunner und der Cyberpunk der 80er vorausgesagt haben. Bei all den Meldungen über neue Überschwemmungen, Hitzerekorde, Meereserwärmung, Artensterben, brennende Regenwälder usw. – wer möchte darüber dann auch noch in seiner Freizeit in Romanen lesen ...

Doch warum verkauft sich dann die eher eskapistische angelegte Space Opera ebenso wenig? Sind wir da vielleicht übersättigt von all den Serien? Allein die ganzen Star-Wars-Serien.

Science Fiction bei Piper

Das sagen Verlage und der Buchhandel dazu

Um der Frage nachzugehen, habe ich in Verlagsredaktionen und im Buchhandel nachgefragt. Die Interviews führte ich bereits im letzten Jahr, an der Marktlage hat sich aber nichts verändert, nur die Weltlage hat sich weiter verschlechtert. Und der nächste große Science-Fiction-Bestseller blieb aus.

Kathrin Dodenhoeft, Programmchefin der Phantastik im Piper Verlag, bestätigt, dass Science Fiction aktuell nicht gut laufe und Verlage eben jene Genres im Programm reduzieren würden, die sich nicht gut verkaufen. Beatrice Lampe von Blanvalet erklärt, sie würden bis auf ein paar Ausnahmen, wie einige Star-Wars-Romane, sowieso keine SF mehr bringen und sich auch in Zukunft nicht in diesem Genre bewegen. Andy Hahnemann von Fischer Tor meint: 

„Die Berichte vom Ableben der SF sind gründlich übertrieben. Auch wenn es kaum Instant-Bestseller gibt, finden jede Menge Bücher eine große Leserschaft. Manchmal braucht es halt etwas länger oder passiert an Orten, wo es nicht so auffällt, beispielsweise im E-Book. Autoren, die aus dem Selfpublishing kommen wie Phillip P. Peterson oder Brandon Q. Morris, schreiben teilweise enorme Zahlen und haben viele Fans. Ich glaube, Buchhandlungen und Verlage machen einen Riesenfehler, wenn sie dem Genre keinen Platz einräumen, insgesamt steigt das Interesse an der Phantastik gerade in den jüngeren Altersgruppen, und davon profitiert auch die Science Fiction. Auch politische Autor*innen wie Ursula K. Le Guin oder Theresa Hannig stoßen auf reges Interesse.“

Zur Frage, ob Science-Fiction-Serien im Streaming eine Konkurrenz für Bücher darstellen, antwortet Dodenhoeft:

„Ich würde sagen, die Streaming-Verfilmungen stellen nicht nur Konkurrenz dar, sondern bringen der literarischen Phantastik auch neue Leser*innen ein. Betrachtet man die Bestsellerlisten und Verkaufszahlen, glaube ich aber, dass die meisten sich dann leider nur mit genau dem einen Werk auseinandersetzen, dass ihnen schon als Serie gefallen hat, und sich dann nur in den wenigsten Fällen breiter umsehen. Insgesamt nutzt die Popularität der Phantastik bei Serien und Filmen dem Buchmarkt (abseits von den Verfilmungs-Vorlagen) leider nur wenig, was man z.B. im Superheldengenre sieht. Mit Marvel-Filmen und -serien können sehr viele Menschen etwas anfangen, mit Romanen über Superheld*innen leider nur die wenigsten.“

Dazu sei noch zu erwähnen, dass der (inzwischen abgeflaute) Erfolg der Marvel-Filme den Marvel-Comics keinen wirklichen Schub gebracht hat, die haben sich trotz des Mega-Erfolgs der Avengers-Film immer schlechter verkauft und stecken aktuell tief in der Krise. Und auch der Erfolg der Serie Game of Thrones brachte der Fantasyliteratur keinen Schub, sondern allein den Buchverkäufen von George R. R. Martin.

Science Fiction bei Fischer Tor

Doch wie sieht das der Buchhandel, der ja direkt an den Kund*innen ist? Dazu habe ich Melina Krause von der Osiander-Buchhandlung in Reutlingen und Wolfgang Tress vom Otherland in Berlin befragt.

Melina Krause: „Nur sehr wenige Autoren, wie hierzulande beispielsweise Andreas Brandhorst, können noch mit Weltraum-SciFi punkten. Ansonsten sind die großen Gewinner 2023 + 2024 definitiv Frank Herbert mit der Wüstenplanet-Reihe und Cixin Liu mit seiner Trisolaris-Trilogie – somit kann ich auch den Teil mit ‚Büchern die kürzlich verfilmt wurden‘ bestätigen. Im Falle Herberts gleich doppelt, da es sich hier ja um einen Klassiker handelt. Weitere Klassiker aus den oberen Verkaufsrängen sind 2024 beispielsweise Ray Bradburys Fahrenheit 451 und Jule Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde – insgesamt sind jedoch weniger Klassiker vertreten, als ich vermutet hätte und auch neue SciFi ist in den Top 50 in diesem Jahr so gut wie gar nicht zu finden.“

Zur Frage, welche Science Fiction denn gut laufe, lautet ihre Antwort:

„Neben den bereits genannten Bestsellern ‚Bücher zu Verfilmungen + Klassiker‘ sind immer noch auffällig viele Star-Wars-Romane in den Top 50 von 2023 und 2024 bis jetzt zu finden (wobei man die ja auch zu Verfilmungen zählen kann ; ) ). Des Weiteren sind Dmitry Glukhovskys Bücher immer mit dabei, vor allem seine Metro-Reihe. Die wenigen neuen Autoren, die es in die oberen Verkaufsränge schaffen, wählen statt der unendlichen Weite des Alls nun eher Klima- bzw. Katastrophenthematiken, bei denen die Zerstörung unserer schönen Erde droht.“

Was Streaming-Adaption angeht, sieht Krause durchaus einen Synergieeffekt:

„Wenn ich mir die Verkaufszahlen der Osianderschen Buchhandlungen von Cixin Lius Büchern nach dem Netflix Serienstart von 3 Body Problem im März 2024 anschaue, dann ist ein enormer Anstieg erkennbar. Die Verkaufsmenge von Band 1 der Taschenbuchausgabe hatte sich im Vergleich zum Vormonat sogar verdoppelt und das große Interesse an den Büchern hielt über mehrere Wochen an. Das gleiche Phänomen war im September 2021 nach dem Apple TV Serienstart der Verfilmung von Isaac Asimovs Foundation-Trilogie zu beobachten: Verdoppelung der Verkaufszahlen der Taschenbuchausgabe und danach ebenfalls ein anhaltendes Interesse. Selbst Tolkiens Der Untergang von Númenor und andere Geschichten aus dem Zweiten Zeitalter von Mittelerde erreichte nach dem Serienstart von Rings of Power im September 2022 eine große Absatzmenge, obwohl es nicht direkt den Inhalt der Serie widerspiegelt. Nicht nur diese Verkaufszahlen sprechen dafür, dass die Verfilmungen der literarischen Phantastik eher von Nutzen sind: Auch zahlreiche Gespräche mit Kundinnen und Kunden, die durch diese Serien überhaupt erst zur Phantastik gefunden haben und danach ‚noch mehr wollten‘ – und das ‚mehr‘ waren in diesem Fall Buchempfehlungen für das gleiche Genre, untermalen diesen Eindruck.“

Science Fiction bei Blanvalet

In der auf Phantastik spezialisierten Buchhandlung Otherland sieht die Lage bezüglich der SF-Verkäufe etwas besser aus als im regulären Buchhandel, in dem die Science Fiction nur einen überschaubaren Platz im Sortiment einnimmt.

„Ich bin ja der Meinung, dass die SF eine der wichtigsten Literaturkategorien unserer Zeit ist. Nur die SF schafft es uns Möglichkeiten anderer Welten offen zu halten, wenn die Tagesnachrichten nur noch Tunnelblick erlauben. Hätte man Media Control gefragt, ob Cixin Lius Drei Sonnen Erfolgschancen hat, wäre die Antwort sicherlich nein gewesen. Zu abgefahren, zu weit weg. Klassiker gehen immer, weil man schon davon gehört hat oder denkt, dass wenn es noch lieferbar ist, es wohl gut sein muss.

Neue Science Fiction tut sich schwer, weil den Leser*innen die Orientierung fehlt. Verfilmungen wie The Expanse oder Altered Carbon (leider furchtbar umgesetzt) liefern da Anhaltspunkte.

Es gibt viele gute, neue Science Fiction, die dem Hirn beim Lesen ein neues Drehmoment verpasst, wie Sequoia Nagamatsus How High we go in the dark, Naylers Mountain in the Sea (Die Stimme der Kraken) oder im Deutschen Aiki Miras Neongrau oder Nils Westerboers Athos 2643. Aber auch die klassische Space Opera wie etwa Adrian Tchaikovskys Shards of the Earth (Scherben der Erde) mit viel Raumschiff und Weltraum läuft bei uns super. Wäre ich Dennis Scheck, würden alle mehr Science Fiction lesen und Media Control müsste sich korrigieren. Klar sind wir nicht repräsentativ, weil nur wenige ins Otherland stolpern, die keine Phantastik lesen wollen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass mehr es lesen würden, wenn sie wüssten, was für unfassbar tolle neue Bücher es da gibt.“

Die Zukunft der Science Fiction

Ich bin da ganz bei Wolf und halte die SF-Literatur für wichtig. Studien haben gezeigt, dass Leser*innen von SF und anderer phantastischer Literatur wie Horror eine größere Resilienz für Ausnahmesituationen wie Pandemien besitzen und besser mit Krisensituationen umgehen können. Wer schon Bücher über weltweite Seuchen gelesen hat, kann sich das Ausmaß und die Auswirkungen besser vorstellen, ist weniger überrascht und geistig flexibler im Umgang damit. Wer John Brunner, William Gibson, Neal Stephenson oder Octavia Butler gelesen hat, dürfte nicht so überrascht über die jüngsten Entwicklungen in den USA sein. Und wer Kim Stanley Robinson liest, weiß, welche Auswirkungen die Klimakatastrophe schon sehr bald noch haben wird. Wobei ich auch verstehen kann, dass viele angesichts der regelmäßigen schrecklichen Ereignisse und Schreckensmeldungen nicht auch noch in ihrer Freizeit darüber lesen möchten, weshalb die Climate-Fiction auch so schnell wieder verschwunden ist, wie die Klimakrise aus den Wahlprogrammen der Parteien und das öffentliche Bewusstsein für den Ernst der Lage.

Science-Fiction-Autor*innen sind keine Prophetinnen, aber sie nehmen oft die Gegenwart, beschäftigen sich mit wissenschaftlicher Forschung und zeigen mögliche Richtungen auf, die unsere Zukünfte einschlagen können.

Doch wie passt da die Space Opera rein?

Wir sollten uns auch Raum für ein wenig Eskapismus lassen, in dem wir abschalten und unsere Batterien aufladen können. Und wir sollten uns unsere Lust auf Abenteuer und einen gewissen Sense of Wonder bewahren, an dem sich unser Optimismus nähren kann.

Verlage sind Wirtschaftsunternehmen, die Umsatz und Gewinn erzielen müssen, aber ich sehe sie auch in einer gesellschaftlichen Verantwortung, mit einem kulturellen Auftrag, Literatur zu fördern, die uns als Gesellschaft voranbringt und bereichert. Science Fiction gehört ganz sicher dazu.

Markus Mäurer

Der ehemalige Sozialpädagoge und Absolvent der Nord- und Lateinamerikastudien an der FU Berlin, der seit seiner Kindheit zwischen hohen Bücherstapeln vergraben den Kopf in fremde Welten steckt, verfasst seit über zehn Jahren Rezensionen für Fantasyguide.de, ist ebenso lange im Science-Fiction- und Fantasy-Fandom unterwegs (Nickname: Pogopuschel), arbeitet seit einigen Jahren als Übersetzer phantastischer Literatur und ist auf Tor Online für das Content Management und die Redaktion verantwortlich.

Mehr Science Fiction von Fischer Tor